Man ist, was man isst? Svankmajers Antwort auf jene banal-sinnlose Frage wäre vermutlich "jein". Zumindest kommt man zu dieser Ansicht, wenn man seinen kulinarisch inspirierten Kurzfilm "Food" betrachtet. Ein ironisches Werk über das Essen, das Kauen und über das Verschlingen, teils mit echten Akteuren gefilmt, teils durch surreale Animation angereichert. Ein echter Svankmajer also.
"Food" ist in drei Episoden aufgeteilt, die Titel bilden die drei wichtigen Eckpfeiler der tagtäglichen Nahrungsaufnahme in der zivilisierten Welt: "Frühstück", "Mittagessen" und das "Abendessen" werden hier auf Svankmajers Art und Weise untersucht. Je später die Stunde der traditionellen Essenszeit der einzelnen Episode wird, desto höher klettert Svankmajer in den Gesellschaftsschichten. "Frühstück" findet in einer Art öffentlichen Einrichtung statt, in der viele Männer in einer Warteschlange hinter den drei Hauptfiguren der Episode stehen, und darauf warten, selber an der Reihe zu sein. Das "Mittagessen" gibt's dann in einem gut besuchten Restaurant. Das "Abendessen" scheint in gediegener, luxuriöser, individueller Atmosphäre eingenommen zu werden.
Da "Food" wohl der bis dato erschreckendste Svankmajer-Film ist, dürfte klar sein, dass es hier nicht um bloße Nahrungsaufnahme im klassischen Sinne geht. Das "Frühstück" besteht aus einer Bratwurst, Senf, einem Stück Brot und einem Bier im Pappbecher. Und zwar in allen drei Variationen, die wir zu sehen bekommen. Herr Babický setzt sich gegenüber Herrn Albert. Nun wird dieser Herr Albert als menschlicher Essensautomat benutzt. Babiscký zieht in seinen Ohren, drückt in seine Augen, um das Essen aus einem eigenartigen Mechanismus innerhalb seines Körpers serviert zu bekommen. Das Plastikbesteck beispielsweise schiebt sich aus den Ohren Alberts heraus. Als Babiscký mit seinem Mahl fertig ist, fällt er in einen tranceartigen Zustand, und wird für den nächsten Gast, Herr Cecil, der sich auf den Platz des Herrn Alberts, der aus seinem Komazustand wiederum erwacht und gegangen ist, zum lebenden Essensspender.
Der Mensch kreiert hier also das Essen für seine Mitmenschen. Nicht aber im Sinne eines "chef de cuisine", sondern als emotionsloser Apparat, der sein vorhergehendes leibliches Wohl in Form von Speis und Trank gegen spätere unterworfene Lethargie eintauscht. Beim "Mittagessen" wird der Mensch allerdings nicht zur Maschine, sondern zum Tier. Zwei Männer, der feine, elegante Herr Evzen und der jüngere, leicht verwahrloste Herr Dobrichovský, sitzen an einem kleinen Tisch in einem Restaurant. Der herumrennende Kellner scheint sich nicht für die eindeutigen Gesten Evzens, endlich doch bedient zu werden, zu interessieren. So beginnen Evzen und Dobrichovský die getrockneten Blumen, die als Dekoration auf dem Tisch in einer Vase stehen, zu essen. Die anhaltende Ignoranz des Kellners gegenüber den hungernden Gästen lässt die beiden Männer so weit gehen, dass sie gar die Vase, die Teller, ihre Kleidung und letzten Endes sogar das Besteck herunterschlingen. Während Dobrichovský seine Schuhe, ein Taschentuch und den Rest seiner Bekleidung ohne Rücksicht auf die Etikette aufmampft, bewahrt Evzen trotz der Absurdität seines Mahls immer zurückhaltend und legt sogar sein Hemd vor dessen Verspeisung noch korrekt auf seinem Teller zusammen. Doch als selbst der Tisch, an dem die beiden gespeist haben, in den Mägen der Männer liegt, ist der Hunger noch immer nicht besiegt. Evzen kann sein Besteck wieder erbrechen und macht sich über Dobrichovský her. Die Kamera blendet aus, klar wird allerdings, dass Evzen hier zum Kannibalen wird.
Im finalen Teil von "Food" geht es um das Abendessen. In kultivierter Atmosphäre stellt sich Herr Filip sein Dinner zusammen. Er bedient sich an Dressings, Saucen, kleinen Früchten, die er immer wieder genüsslich auf sein Hauptmahl fallen lässt. Dieses jedoch bleibt erst einmal für die Kamera außen vor. Erst als er mit seinem exzessiven Garnieren fertig ist, sehen wir, erahnen wir, dass auch diese Episode höchst seltsam enden wird: Der Gourmet schlägt zwei Nägel über eine Gabel, so dass diese an seiner linken Hand, die vollends aus Holz besteht, festgemacht ist. Als seine Prothese für das Festmahl präpariert ist, sehen wir nun auch endlich seinen vermeintlich köstlichen Schmaus: Seine eigene, noch blutende, linke Hand. Die Kamera wendet sich ab, und schaut, bevor "Food" dann schließlich endet, auf noch mehr kuriose, autokannibalistische Begebenheiten zum Abendessen. Ein Läufer verspeist seinen Fuß, eine Dame träufelt den Saft zweier Zitronen auf ihre abgetrennten Brüste und zu allerletzt müssen wir mit ansehen, wie ein Mann die Gabel in seinen auf einem Teller zum Verzehr vorbereiteten Penis rammt.
Svankmajers "Food" ist humorvoll, ekelhaft und absolut ironisch. Der Film hat keine klare Aussage, stellt aber eine Frage nach einer möglichen Degradierung unserer Menschenwürde auf animalische Instinkte, die er nicht beantwortet haben möchte, sie aber mit süffisanten Lächeln stellt. "Food" ist eins seiner unterhaltsamsten Werke, leicht zu kauen, aber am Ende doch eher schwer komplett zu verdauen.