Review

Die 80er-Jahre waren cineastisch ja für so manche Geschmacklosigkeit bekannt, boten aber neben der Perfektionierung der Blockbusterindustrie auch viele gute Ansätze, die es möglich machen, sich so manchen Film heute noch anzusehen.
Besonders die Filme für das jugendliche Publikum kamen endlich aus dem disneyfizierten Nischendasein und gerieten dank des sogenannten Hollywood-Bratpacks zu Kassenschlagern. Eine schier endlose Reihe von frischen Jungdarstellern erprobte sich an der Spitze der Besetzungsliste und auch wenn nur ein geringer Teil es dauerhaft zu Superstars schaffte, hatten sie alle ihre Phase der enormen Popularität.
Abseits von Matthew Broderick, Molly Ringwald, Robert Downey jr, Anthony Michael Hall oder Judd Nelson wuchsen jedoch die jungen Gesichter bald nach, wenn sich das Gesicht der Kinoszene alsbald auch wieder änderte.
Doch 1987 schob Joel Schumacher, der bereits einen von vielleicht fünf definitiven 80er-Brat-Filmen mit "St.Elmos Fire" abgeliefert hatte, noch einen Film nach, der nicht nur das Beste und Schlimmste des Jahrzehnts zu gleichen Teilen beinhaltete, sondern das alles stilistisch (stylistisch?) sogar auf die Spitze trieb. "Lost Boys" war das finale Feuer, in dem die 80er für Teenager schlußendlich verbrannten, was danach kam, war entweder kleiner im Wuchs oder schon von den 90ern touchiert.

"Lost Boys" ist, wenn man ihn heutzutage erstmals sieht, praktisch nicht zu fassen und läßt einen fassungslos zurück - eine brachiale Attacke auf alles, was auch nur halbwegs als Zielgruppe in Frage kam und es ist rätselhaft, ob die Kompilation verschiedener Elemente nun geplant oder zufällig war. Sein Arm reicht, obwohl der Film heute kaum noch jemanden aus den Socken reißen wird, ziemlich weit und die Echos sind auch heute noch in Filmen und TV-Serien zu hören.

Was den Film so erinnerungswert macht, sind der Stil, der Umgang mit klassischen Themen, seine Figurenwahl und eine gut ausgewählte Besetzung, bei der man sich heute wundern würde, wie sie zusammengestellt wurde.
Um es grob zusammen zu fassen: eine Style-Attacke auf Optik und Geschmackssinn in erster Linie.
"Lost Boys" zielt auf die Teenager, ganz klar, aber er deckt sowohl die Pubertierenden wie die just Volljährigen bis zu den Twens ab und das versucht er mit aller Gewalt: schmissige Rocksongs, eine ebenso pulsierende wie hinter der Oberfläche verfallende kleine Küstenstadt, abwechslungsreiche Sets, Festivalstimmung, Ethnokitsch, Späthippietum und ein geradezu magenzerfetzendes Worst-Of von 80er-Jahre-Klamotten und, schlimmer noch, Frisuren. Das alles bisweilen sogar ein bißchen selbstironisch aufgetürmt, bis die Pupillen rauchen.

Klassische Elemente aus dem Bereich "Coming-of-Age" treffen auf die berühmtesten Versatzstücke des Vampirfilms und werden dann modern aufgekocht und geradezu postmodern durch den Mixer geschickt.
Da ist die Familie, die am anderen Ende von Amerika den Neuanfang sucht: vaterlos, die Mutter mit dem Spätsummer-of-Love-Hauweg, der ältere Sohn im besten Bonjovi-Softrocker-Alter, der jüngere ein Fashion-Victim-Comicfan, dessen aufgesetzte Coolness dermaßen penetrant wirkt, daß er garantiert das Role Model für die Serie "Parker Lewis" wurde. Man hält Einkehr in Santa Carla, einem Küstenstädtchen am Pazifik, erdbebengeschädigt, alt und neu unter einem Dach, voll von jungen Leuten, Rockfans, Dealern, Punks, Grufties, Spinnern und Ausgeflippten und als Mordhauptstadt der Welt gekennzeichnet. Die Vermisstenquote ist auch hübsch hoch. Der Großvater ein charmant-verquerer alter Mistkerl und sobald man in die Stadt zieht, geht der Ärger los: dem Älteren, Michael, wird von einer hübschen Fee der Kopf verdreht; der Jüngere, Sam, gerät an zwei noch bizarrere Charaktere, die jugendlichen Leiter eines Comicladens und gleichzeitig Vampirjäger, die Frog-Brothers. Und dann hat Mom auch bald noch einen neuen Verehrer. Der Konflikt ist vorproduziert, noch dazu weil wir zusätzlich schon das Grauen in Person gesehen haben: ein Quartett der schlimmsten, bösesten und schlechtfrisiertesten Bösewichte aller Zeiten, die "Lost Boys", angeführt von einem platinumblondierten Kiefer Sutherland, der vor Freude an seinem miesen Image um ein Haar erstickt. Die Tunichtgute verführen natürlich als bald den dunkelgelockten Michael, der sich vor den Augen seiner Familie in den unkontrollierbaren Überteenager verwandelt, tageslichtscheu, nachtaktiv, mit Sonnenbrille und schlechter Laune. Dagegen wirkt Sam meistens wie ein gut gegelter, leicht schwuler Softie (dank des Kostümausstatters), der sich und seine Pomade überwinden muß, um den Tag zu retten, weil die Erwachsenen einem natürlich nichts glauben.

Das dreiköpfige Autorenteam hat hier einen Höllenjob erledigt, reichert klassische Vampirthemen und Grundkonstellationen mit modernen Mitteln an: die Frog-Brothers lassen Sam über Comics lernen, wie er vorzugehen hat und eine Sequenz läßt die Jugendlichen den neuen Verehrer der Mutter bei einem Essen auf die Probe stellen, was Parallelen zum klassischen Draculafilm aufwirft. Das versunkene Hotel, in dem die Vampire schlafen und feiern, stellt eine moderne Variante zur klassischen Schlußgruft dar und im finalen Belagerungsfight kommen mit Knoblauch, Weihwasser und verschiedensten Pflockversionen ebenfalls die bekannten Tötungsvarianten zum Tragen.

Was die Story angeht, so ist sie zwar keine meisterliches Material, aber sie spricht genau ihre Zielgruppen an, zumindest rückblickend (im neuen Jahrtausend wirkt das Geschehen zunehmend wie eine alberne Kostümsatire, ein Schicksal, das andere 80er-Filme wie "The Goonies" übrigens nicht teilen). Jason Patric, der sich später nie als "lead actor" durchsetzen konnte, ist ein idealer "Heartthrob" zum Anschmachten, lange dunkle Haare, Motorrad und sowohl Rebell wie guter Junge im Herzen. Corey Haim, sein jüngerer Bruder könnte nicht gegenteiliger sein. Haim, der für sein Alter damals extrem sympathisch aussah (immerhin wurde er in der Folge Star einer Reihe von B-Filmen mit seinem Partner aus "Lost Boys", Corey Feldman), ist eine alberne Geschmacksverirrung und liegt somit genau im Pubertätstrend des Posens und Ausprobierens. Corey Feldman und Jamison Newlander als die Frog-Brüder sind in diesem Fall die nötigen Nerds, die sich allerdings wiederum wie die harten Jungs geben. Und die wahren Bad Boys, die Rocker, sind behängt wie die Christbaumkugeln; tragen ein Grellst-Of abgefahrener Kleidung und freuen sich über ihre waghalsige Verdorbenheit einen Keks. Eine Mutprobe unter einer befahrenen Eisenbahnbrücke und die Motorradjagden sind dann auch eine nette Reminiszenz an James Deans "Rebel without a cause".

Kiefer Sutherland als der Anführer David war damals schon auf dem ansteigenden Ast seiner Karriere (er hatte zuvor in einer ähnlich bösartigen Rolle in "Stand by me", ebenfalls mit Feldman geglänzt) und bietet nicht nur einen geschmacklosen, aber quietschbunten Anblick, sondern bringt auch die nötige Abgründigkeit als Verführer des Bösen ins Spiel. Jamie Gertz darf, in einer relativ unwichtigen Rolle als teilvampirisierte Damsel-in-Distress ihre dunkle Schönheit ins Spiel bringen und Dianne Wiest als Ethno-Mom rundet mit einem bekannten Gesicht die Ecken ab. Den Verehrer Max gibt übrigens ein recht schlanker Edward Herrmann, der später mit "Gilmore Girls" noch zu würdevolleren Ehren kam.

Eine Leistung, daß sich die Darsteller gegen diese Ausstattungsattacke mit seinen Rummelplatzszenen, Bandstands und Nebelwerfern durchsetzen können, aber im Grunde ist der Film vergnüglich und solide geplottet und macht Spaß, auch wenn man öfters mal über die Modesünden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte. Ein perfekt ausgewogener Soundtrack (der Song "Cry Little Sister" veredelte in den Spätachtzigern so manche Party in den frühen Morgenstunden und brach sicher so manches Herz nach Beziehungsende) tut sein Übriges, damit der Grundton in fast jeder Szene perfekt sitzt.

Per se ist "Lost Boys" heute sicher optisch eine anachronistische Geschmacklosigkeit sondergleichen, aber auch ein visuelles Faszinosum, dessen Reiz man sich eigentlich kaum entziehen kann, außer man winkt als Vertreter des klassischen Horrorfilms sofort ab. Jedoch wurde der Horrorfilm in den 80ern so derbe durch jede erdenkliche moderne und überflüssige Variante gedreht, daß man der Sorgfalt - auch wenn die Mode sich schnell ändern sollte - Tribut zollte.
"Lost Boys" ist so gut wie schlecht zugleich - und genau deswegen vielerorten noch einer der Orientierungspunkte in der Landschaft einer vergangenen Zeit oder Kindheit, ein Leuchtfeuer, das so grell ist, daß es uns noch viele Jahre daran erinnert, wie es einmal war, obwohl es eigentlich nie wirklich so war. Aber wie schon John Ford wußte: "Wenn die Legende zur Wahrheit wird, dann druck die Legende!". Denn so hält sie länger. (8/10)

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