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“My Rock’n’Roll is not to entertain but to annihilate. I’m trying to bring danger back in the Rock’n’Roll and there are no limits, and no laws, and I break down every barrier put in front of me ‘til the day I die!”

US-Regisseur Todd Phillips suchte sich für sein Regiedebüt niemand Geringeren als GG Allin aus, seines Zeichens Sohn eines irren religiösen Fanatikers, der ihm ausgerechnet den Namen Jesus Christ gab, vor allem aber selbstzerstörerischer Punk-Musiker, Pate des Scumpunks, Tabubrecher und exzentrischer Enfant terrible, die pure Provokation, und drehte einen Dokumentarfilm über ihn und seine Begleitband, die Murder Junkies in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre. Allins Mission war es, die Gefahr zurück in den Rock’n’Roll zu bringen und das war durchaus wörtlich zu nehmen, denn aus gutem Grund hielt sein Publikum i.d.R. einen nicht zu knappen Sicherheitsabstand ein: GG war bekannt dafür, auf sich selbst und sein Publikum einzuprügeln, sich komplett entkleidet mit Fäkalien einzuschmieren, sich in ihnen zu wälzen und mit ihnen um sich werfen, während er hasserfüllte, jenseits sämtlicher Moralvorstellungen liegende Lieder über Sex und Gewalt sang. Zu den Murder Junkies gehörten sein Bruder Merle mit einem Faible für ungewöhnliche Bartmode und der „Naked Drummer“ Dino, der grundsätzlich nackt hinter der Ballerbude saß und sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. GG Allin zelebrierte sein Image als unberechenbarer Sozio-/Psychopath ohne Rücksicht auf Verluste, Konzerte wurde häufig schon nach kurzer Zeit abgebrochen und von der Polizei aufgelöst. Allin war der verkörperte Höhepunkt des selbstzerstörerischen, nihilistischen, misanthropischen Elements des Rock’n’Roll, mehr ging nicht. Und all das war keine Show, es war real. GG lebte in den Tag hinein, schmiss sich alles Verfügbare an Drogen rein und war ständig im Knast. Nichts war ihm heilig, er hat im wahrsten Sinne des Wortes auf alles geschissen. Doch er war auch ein genialer Künstler, der sowohl in extremer Musik als auch in gefühlvollem Country zu Hause war und es innerhalb kürzester Zeit fertigbrachte, ein kompletten Album zu schreiben; seine Lieder sind bei aller Überzeichnung und oftmals oberflächlicher Eindimensionalität hochinteressante, wertvolle Zeugnisse einer derangierten Seele. Er kündigte mehrmals seinen eigenen Selbstmord auf der Bühne an und man ist sich einig, dass er ihn auch einiges Tages durchgeführt hätte, wäre ihm nicht eine Überdosis 1993 zuvorgekommen.

Philipps begleitete GG Allin & The Murder Junkies auf Konzerten, unterhielt sich nicht nur mit Allin, Merle und Dino, sondern auch mit einem ehemaligen Bandmitglied, der von all dem nichts mehr hält und ehemaligen Weggefährten aus der Schulzeit sowie mit Fans, die versuchen, die Faszination für Allins Treiben zu erklären.

Nun mag man angewidert, entsetzt und empört vorm Bildschirm sitzen oder eben begeistert darüber, dass GG all das tat, was man sich selbst nie trauen würde, doch es gibt auch eine andere Möglichkeit, diesen Film zu konsumieren: Wenn die „Washington Post“ schreibt, „Hated is actually funnier than Spinal Tap“, ist das nicht von der Hand zu weisen. Was GG und seine Band damals anstellten, ist so dermaßen übertrieben, so was von „over the top“ und so herrlich die Klischees bis zum Gehtnichtmehr ausreizend und auf die Spitze treibend, dass es beinahe mehr wie eine Karikatur wirkt als Rob Reiners berüchtigte „Rockumentary“ über die vom Pech verfolgten Hair-Metaller. Hinzu kommt, dass GG Allin auch „Spoken Words Performances“ (!) absolvierte, beispielsweise in einer Universität, aus der nach wenigen Minuten die Zuhörerschaft kollektiv die Flucht antrat, oder seine Thesen über Rock’n’Roll in US-amerikanischen Talkshows einem breiteren Publikum unterbreitete. Philipps verstand es zudem, all diese Szenen so aneinanderzureihen, ohne dabei auf Kommentare aus dem Off zurückgreifen zu müssen, dass eine schwer unterhaltsame Freakshow daraus wurde. So verwundert es dann kaum, dass er sich später vor allem mit Komödien wie „Road Trip“ oder „Hangover“ einen Namen machte. Im Bonusmaterial der DVD-Veröffentlichung wird auch deutlich, dass sich die Band ihrer Absurdität durchaus bewusst war und sich nach Konzerten häufig kaputtlachte. Insofern besteht vermutlich kein Verdachtsmoment, dass Philipps sich über GG & Co. lustig gemacht oder ein manipuliertes Zerrbild abgeliefert hätte.

GG starb 1993, sein Erbe hat bis heute niemand angetreten, zumindest nicht in der Konsequenz, wie GG zu Lebzeiten agierte. Wer GG noch nicht kennt und glaubt, irgendwelche albernen „Schock-Rocker“ o.ä. wären der Gipfel der Provokation und Subversion, wer Punk mit studentischen Weltverbesserern, Rock’n’Roll mit netten Oldie-Bands und Country mit spießigen Republikanern in Verbindung bringt, sollte sich diesen Dokumentarfilm ansehen und sein Weltbild zum Einsturz bringen.

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