„I’m the all night drug-prowling wolf who looks so sick in sun / I’m the white man in the Palais… just looking for fun”
The Clash, jene legendäre britische Punkband, drehte in den Jahren 1978 und 1979 unter Regie von Jack Hazan und David Mingay den semi-dokumentarischen Film „Rude Boy“, der 1980 veröffentlicht wurde. „Rude Boy“ zeigt um Spielfilm-Elemente angereicherte, zahlreiche Originalaufnahmen des Englands der späten 1970er: Die politischen Querelen, Alltagsrassismus, eine erstarkte „National Front“, die entsprechenden Gegenbewegungen u.a. der „Socialist Workers Party“, die Orientierungslosigkeit der Jugend angesichts von Massenarbeitslosigkeit – und die Punk-Explosion, in deren vorderster The Clash mitmischten und sie entschieden mitprägten. Lose zusammengehalten und verknüpft werden die Bilder und Themen von einer Rahmenhandlung um den jugendlichen Herumhänger Ray Gange, der sich in der Punkszene herumtreibt, politisch ungefestigter The-Clash-Fan ist und als Roadie bei der Band anheuert – seinen Job aufgrund seines Alkoholkonsums jedoch nicht sonderlich zur allgemeinen Zufriedenheit ausführt.
Man sieht „Rude Boy“, dessen Name der aus jamaikanischen, Ska und Reggae hörenden Einwanderern bestehenden Subkultur entlehnt wurde, deutlich an, dass keine professionellen, erfahrenen Filmmacher am Werk waren. Ein roter Faden ist nur schwer zu erkennen bzw. besteht in erster Linie aus der Band The Clash, die sich auf Tour befindet und ihr zweites Album einspielt. Eine klassische Dramaturgie und Spannungsentwicklung sucht man vergebens. Man sieht Ray Gange, der sich selbst spielt und am Drehbuch mitschrieb, gelangweilt im „48 Book Shop“, einem Pornoladen, hinterm Tresen sitzen, erhält Einblicke in seinen nicht sonderlich aufregenden Alltag und sieht ihn vor allem häufig von A nach B schlurfen. Auf der anderen Seite bekommt man unheimliche energiegeladene, hasserfüllte Auftritte von The Clash um die Ohren geschlagen und es wird nur allzu verständlich, weshalb Ray die Nähe zu Punk allgemein und speziell dieser Gruppe sucht. Als er eines Tages tatsächlich den begehrten Roadie-Job bekommt, steckt er trotz des Engagements der Band weiterhin in der allgemeinen gesellschaftlichen Verwirrung zwischen linken und rechten Parolen und ungewisser Zukunft fest und ertränkt seinen Frust in literweise Bier.
Dabei ist Ray durchaus das, was man damals als „Punk“ bezeichnete: Ein weißer Jugendlicher aus der Unterschicht, dem das normale gesellschaftliche Leben nicht viel zu bieten hat und der aus seiner Langeweile in die wesentlich aufregendere Welt des Rock’n’Roll flieht, zu Typen, die die gleichen Probleme haben wie er und keine abgehobenen, unnahbaren Stars, sondern in den gleichen Läden anzutreffen sind und für wenig oder gar kein Geld kleine Clubs in Tollhäuser verwandeln, in denen sich der aufgestaute Frust in aggressiver Musik entlädt. Rays politische Orientierungslosigkeit in einer Zeit, in der die Punkbewegung tatsächlich noch eine war, bevor sie später in die Subkultur abtauchte und u.a. von The Clash mitentwickelte Ideale als Identifikationsmerkmal etablierte, steht dabei stellvertretend für die britische Gesellschaft, die schließlich ihr Heil ausgerechnet in der reaktionären Politik Margret Thatchers suchte, die in „Rude Boy“ mit markigen, hetzerischen Worten zitiert wird.
Anstatt die Punks auf ein Podest zu hieven und zu idealisieren, bleibt „Rude Boy“ einem wenig schönen, doch sicherlich realistischen Bild der damaligen Zeit und Protagonisten verpflichtet und zeigt die typischen Probleme der noch jungen Szene auf: Der ewige Geldmangel, die Identitätssuche zwischen den politischen P(ar)olen und das Fehlen eigener, subkultureller Strukturen. So muss man sich schon einmal Geld stehlen, umständliche Telefonate führen, sich mit wildgewordenen „Ordnern“ eines Konzerts herumprügeln, sich verhaften lassen – und kann noch nicht einmal die eigene Crew pünktlich bezahlen. Weshalb man im Zusammenhang mit der allgemeinen Politverwirrung jedoch auch Clash-Frontmann Joe Strummer Worte wie „Die RAF erschießt Kommunisten“ in den Mund legt und Mick Jones in aggressiver Stasi-Manier Ray eine ständige Beobachtung androhen lässt, wird mir nicht ganz klar und dürfte der Hauptkritikpunkt sein, den die Band am Film, mit dem sie im Nachhinein mehr als unzufrieden war, auszusetzen hatte.
Herzstück des Films sind jedoch weder Ray Ganges schnoddrige Schlurfereien, sein unheimlich müder Blick und sein ständiges Versagen, noch die skurrilen Szenen, zu denen es im Tour-Alltag insbesondere nach den Auftritten kommt, auch nicht die abgefuckten, improvisiert wirkenden Dialoge in herrlichem Cockney-Slang oder die Bilder von Demonstrationen, Straßenschlachten, verrammelten Jugendzentren und Jagd auf Betrunkene und Kleinkriminelle machenden Bullen. Herzstück ist selbstverständlich die Musik! Die Original-Konzert-, Proberaum- und Studio-Mitschnitte von The Clash, zumeist wesentlich rauer als die LP-Versionen, vermitteln den perfekten Eindruck, wie und was Punk damals war, welche Energie freigesetzt wurde, wie und warum sich Band und Publikum mit dem rüpeligen Sound von der Straße identifizierten. Joe Strummer wird auf der Bühne zu einem Wahnsinnigen, zu jemandem, dem man jede mit Inbrunst und vollster Überzeugung vorgetragene Silbe abnimmt, zu einem gefährlichen Revolutionär, bewaffnet mit einer Gitarre anstelle eines Maschinengewehrs – die er mit derselben Durchschlagskraft zu benutzen weiß. Die Konzertausschnitte zählen zum Besten, was man seinerzeit mitgeschnitten und später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Sicherlich, die Instrumente hat man später im Studio „overdubbed“. Nichtsdestotrotz strahlen die sehr zahlreich eingeflochtenen Liveaufnahmen maximale Authentizität aus, atmen den umstürzlerischen Geist, schwitzen wut- und euphoriegenährtes Adrenalin. Hinzu kommt, dass man die Vorliebe der Band für Ska- und Reggae-Sounds berücksichtigte und direkt nach der besten „Police & Thieves“-Version, die jemals aufgenommen wurde – vorgetragen von einem schweißtriefenden, sabbernden, hassverzerrten Joe Strummer in einem überfüllten Club – die Originalversion anspielt, um eine weitere Gange-Schlurfszene zu untermalen. Ferner bekommt man „Johnny Too Bad“ von den Slickers zu hören und stellt damit auch beim Zuschauer die Verknüpfung rebellischer Jamaika-Sounds mit Punkrock her, die The Clash zu solch grandiosen Songs wie „(White Man) In Hammersmith Palais“ inspirierte, der auch in „Rude Boy“ in einer fantastischen Live-Version dargeboten wird. Mit am interessantesten, was den dokumentarischen Charakter anbelangt, dürften die Aufnahmen vom „Rock against Racism“-Gig im Londoner Victoria Park sein, als The Clash vor Zehntausenden spielten und sich Jimmy Pursey von Sham 69 zu „White Riot“ auf die Bühne gesellte. Ray Gange heizte die Massen an, weitere Zugaben zu fordern, bis man ihm mitsamt der Band schließlich unsanft von der Bühne beförderte – „Diese langhaarigen Studenten-Wichser!“
Es ist eine Schande, dass kein offizielles Soundtrack-Album zum Film existiert – einem Film, der mich Mitte/Ende der 1990er schlagartig zum The-Clash-Fan machte und nachhaltig beeindruckte und beeinflusste wie kaum ein zweiter Musik-/Dokumentarfilm. Noch heute erkenne ich mich in Ray Gange wieder, dem nicht viel mehr einfällt, als seine nutzlose Existenz damit zu vergeuden, sich zu betrinken und mit aufrührerischer Musik zu beschäftigen und es auch gar nicht einsieht, Mittel- bzw. Oberschicht, ideologisierten Hippies oder fragwürdigen Autoritäten in den Arsch zu kriechen. Diese spezielle Stimmung weiß „Rude Boy“ auch losgelöst vom historischen Kontext zu transportieren und fand in mir einen willigen Abnehmer. „Rude Boy“ macht deutlich, dass sich seit damals viel geändert hat – vieles aber eben auch nicht. Allen sicherlich berechtigten Kritiken und Unkenrufen zum Trotz ist „Rude Boy“ ein höchst wertvolles Zeitdokument, das sich noch immer seiner sogartigen Wirkung auf manchen auf eine Initialzündung wartenden, unruhigen, unbefriedigten Zeitgenossen gewiss sein kann. „I want a riot, a riot on my own!“
P.S.: Eine deutsche Synchronisation des Films existiert nicht. Arte aber strahlte „Rude Boy“ einmal mit eigens angefertigten deutschen Untertiteln aus, die für das Verständnis manch dahergenuschelten Slang-Dialogs hilfreich sein dürfte. Besonderer Clou der Arte-Untertitel: Man übersetzte sogar die Songtexte.