In den USA nur mager gestartet und auch hier lediglich stiefmütterlich mit wenigen Kopien im Kino ausgewertet, gehört „City of Industry“ zu jener Sorte von Filmen, die man irgendwann einmal im Abend- oder Nachtprogramm antrifft und sich ob der vielen Namen wundert, dass man noch nie von ihm gehört hat, geschweige denn mal das Cover in den Händen hielt. Dabei hat Regieveteran John Irvin („Raw Deal“, „Hamburger Hill“) hiermit wirklich Brauchbares produziert, dem lediglich die letzte, konsequente Klasse fehlt.
Dabei geht es optisch trist und dreckig zu, denn Irvin meint es mit seinem trostlosen Thriller voller gescheiterter, am Existenzminimum lebenden Menschen, Tod, Rache und Vergeltung bitterernst, zeigt die Kehrseite der Megametropole Los Angeles und taucht nachts in Bildermontagen, die jemanden wie mich, der sich nur allzu gern in Lichtermeere amerikanischer Großstädte verliert, ganz besonders faszinieren. Nicht ganz zufällig diente Drehbuchautor Ken Solarz einst unter dem auf diesem Gebiet visionären Filmemacher Michael Mann („Heat“, „Collateral“) für „Miami Vice“ und „Crime Story“.
„City of Industry“ handelt von Gaunern die keine Chance als das Verbrechen haben, die in den Slums leben und sich damit ein besseres Leben erkaufen wollen. Dementsprechend trostlos fällt die visuelle Grundierung des Geschehens aus. Lee Egan (Timothy Hutton, „Taps”, „Playing God”), sein älterer Bruder Roy (Harvey Keitel, „From Dusk Till Dawn”, „Cop Land”) und Jorge Montana (Wade Dominguez, „Shadow of Doubt”, „The Taxman”) gehören zu dieser Sorte Menschen. Deswegen zieht es sie nach Palm Springs, wo sie einen russischen Diamantenhändler um eine Jahresladung Steine erleichtern wollen. Gesagt getan, der Job funktioniert, nur ist ihr Fahrer Skip (Stephen Dorff, „Blade“, „Riders“) nicht zufrieden mit seinem Anteil und tötet alle bis auf den entkommenden Roy. Der sinnt nun auf Rache und ist entschlossen den Jungen aufzuspüren.
Die Vorbereitung des Coups ist unnötig ausführlich gestrickt und beinhaltet inklusive der Besorgung entsprechender Schießutensilien auch ein paar unnötige Klischees, doch nach dem Überfall gibt „City of Industry“ seinen gemächlichen Trott auf und schaltet einen Gang hoch, um Harvey Keitel, der sich in den Rollen nach „From Dusk Till Dawn“ erstaunlich spielfreudig erwies, in seine Vendetta, die ihn nach Los Angeles zurück und dort durch Bars, Stripläden und Büros führt, zu schicken. Entschlossen, brutal, rücksichtslos und ohne zu zögern, bahnt er sich seinen Weg, der ihn geradewegs ins Verderben führen könnte und erregt dabei mehr Aufmerksamkeit als seiner Mission eigentlich gut tut. Ihm gegenüber spult Stephen Dorff nur sein auswendig gelerntes Standardrepertoire des unberechenbaren, jähzornigen Gangsters mit offensichtlich psychologischem Knacks herunter.
Zwar wird Roy trotz seiner, wie erst später klar wird, guten Seiten nie zur Sympathiefigur stilisiert, doch der Verlust seines Bruders erleichtert das Nachvollziehen seines kompromisslosen Handelns. Sobald er einen Hebel zum Ansetzen gefunden hat, um Skip aufzuspüren, geht er auch schon ohne Feingefühl in die Vollen, droht, prügelt und schießt. Egal auf wen und egal wo, Hauptsache er bekommt seine Informationen. Vom Barmann bis zum Anwalt macht er vor niemanden Halt, muss dafür aber auch Lehrgeld bezahlen und wird vorübergehend stillgelegt, so dass ihn ausgerechnet Jorges Frau Rachel (Famke Janssen, „Deep Rising“, „X-Men“), die ihn bei seinem ersten Gesuch nach Informationen noch verzweifelt rauswarf, wieder aufpäppeln muss. Nicht ganz uneigennützig, wie sich herausstellen soll, denn sie will aus der Ärmlichkeit und ihren beiden Söhnen eine Perspektive geben.
Von schwarzen Gangstern bis hin zu chinesischen Mafiosos, die alsbald auf der Bildfläche auftauchen und alle das Geld wollen, beteiligt Ken Solarz zwar ein paar Parteien zu viel an der Handlung, weswegen man auch zwischenzeitlich schon mal den Überblick verlieren kann, sorgt damit allerdings auch gleichzeitig für einige wachrüttelnde Actioneinlagen, die meist von Mordversuchen auf Ray ausgehen und in sich überschlagenden Autos, Gastankexplosionen oder Schießereien enden. Nichts davon in ausufernder Weise präsentiert, aber soweit nötig in Bild und Ton festgehalten.
Die zwar recht früh in den Opening Credits erwähnten Michael Jai White („Universal Soldier: The Return“, „Undisputed 2“) und Lucy Liu („Charlie's Angels“, „Kill Bill“) haben nur in kleinen Nebenrollen etwas zu vermelden, standen damals allerdings noch nicht so hoch im Kurs, was auch für Famke Janssen gilt, die trotz ihres „GoldenEye“ – Auftritts noch ein paar Jahre an ihrer U.S. – Karriere basteln musste, bis dann die „X-Men“ kamen und sie etablierten.
Final wird es dann melodramatisch, wenn der sich zugrunde richtende Ray aufbricht, um Rachel, der er vorweg ein paar tröstende Worte mit auf den Weg gab, zu retten und seinem Rachedurst endlich genüge zu tun. Diese letzten, nächtlichen Minuten auf einem Industriegelände schrauben dann den Härtegrad noch einmal nach oben, um den Zuschauer in ein längst nicht mehr für möglich gehaltenes Happy End zu entlassen.
Soweit geht Irvins Arbeit hier dann auch in Ordnung. Eine außergewöhnliche Geschichte wurde ihm hier ohnehin nicht vorgelegt, sondern eher ein klassisches Revenge-Motiv aus dem er dank Schauspieler und Location das Optimum extrahiert, weswegen es zum Genreolymp niemals genügt. Doch Zuschauer mit Hang zu tragischen Thrillern werden sich hier allemal heimisch fühlen, obwohl die mit der Suche nach Skip verbrachte Filmmitte sich ein wenig wiederholt und der tobende Ray im Grunde nur neue Informationen ausquetscht oder sich entsandte Handlanger vom Leib halten muss.
Fazit:
Dieser insbesondere von Harvey Keitel gut gespielte Thriller überzeugt durch ein wirkliches Bild von L.A., das abseits des Glitzerfassaden herrscht, eingefangen von „Crying Freeman“ – Kameramann Thomas Burstyn. Dem Filmstoff mag es an Innovativität und Geistesblitzen mangeln, doch das macht er durch seine stimmige Atmosphäre und prima Darstellern wieder wett. Da „City of Industry“ dabei bis zum Schluss Distanz zu Ray wahrt und den Zuschauer damit gar nicht erst in Versuchung führt mit ihm zu sympathisieren, bleibt ein sich schnell unkompliziert entwickelnder Genrefilm mit schroffer Optik und verlorenen Figuren.