Review

Selten ist ein Film im voraus so sehr abgelehnt und für unnütz erklärt worden, wie Gus van Sants Neuauflage von Psycho.
Das liegt weniger an einer visionären modernen Neu-Creation des Regisseurs, als vielmehr an dem seltsamen Entschluß, den Klassiker praktisch Einstellung für Einstellung in moderner Fassung und in Farbe zu wiederholen.
Dabei blieben sowohl sämtliche Szenen des Originals enthalten, wie auch diverse Dialoge gar nicht erst abgeändert wurden, sondern 1:1 übernommen wurden.
Das wiederum wurde jedoch nicht strikt durchgehalten, stattdessen durchziehen zaghafte Neuerungen die moderne Version.
Die alte Villa ist ein Neubau (die übrigens direkt vor der alten auf dem Studiogelände steht), das Motel ist modernisiert, die Summe entwendeten Geldes erhöht sich um das Zehnfache auf 400.000 Dollar, beim Mord unter der Dusche sind endlich Einschnitte (allerdings nur nach vollbrachter Tat) zu sehen.
Die publicityträchtigste (und wie so oft völlig unspektakuläre) Szene des Film ist das Beobachten von Marion Crane durch das Loch in der Wand, während sie sich auszieht. Wie Perkins sieht ihr Vaughn dabei zu, nur kann man hören, wie letzterer dabei in rasantem Tempo onaniert. Das ist insofern unspektakulär, weil der Blickwinkel der Kamera nicht verändert wird (wir sehen nichts davon), als auch weil Perkins Voyeurismus wohl dasselbe andeuten sollte, was man 1960 aber nicht zeigen durfte (Man kann von einer sexuellen Erregung Perkins wohl ausgehen.).
Das gibt dem Kenner von Hitchcocks Film ein unausgeglichenes Gefühl - entweder man verbeugt sich, dann aber ganz oder man dreht seinen ganz persönlichen Film und erschafft etwas völlig Neues.
Diese kreative Zerrissenheit macht allerdings den Genuß dieses "Psycho" nicht ganz unmöglich, beweist uns aber, wie perfekt und ausgewogen das Original gewesen ist, daß man nicht ohne weiteres etwas hinzufügen kann.
Trotzdem bleibt es ein unterhaltsamer Film, wenn auch die Kenntnis des Originals unheilschwanger dieses Werk belastet, da es eh ein Hauptspaß dabei ist, die Parallelen zu vergleichen und die wiederholten Dialoge mitzusprechen.
Vince Vaughn gibt einen ansehnlichen Norman Bates ab, ist jedoch allein aufgrund seiner bulligen Statur als möglicherweise gewalttätig einzuordnen, etwas, daß Perkins völlig abging.
Anne Heche macht das Beste aus ihren Szenen, doch ihr fehlt die Starpower, die Janet Leigh damals besaß, weswegen ihr Tod nie so eine Wirkung haben würde.
Julianne Moore ist als ihre Schwester schon allein optisch fehlbesetzt (die können nicht verwandt sein) und bleibt auch sonst wegen so ziemlich gar nichts in Erinnerung. Viggo Mortensen steht ihr leider in nichts nach, was nach dem blassen John Gavin des Originals schon eine Leistung ist.
Nett dagegen der Schlußauftritt von Robert Forster als Psychiater und William H.Macy als Arbogast ist einfach zum Knuddeln.
Zwei weitere Neuerungen sind noch diskutabel.
Zunächst war es eine interessante Idee, den kargen Keller Hitchcocks in ein Vogelzucht/Vogelausstopflabor zu verwandeln, in dem die Leiche wartet.
Leider jedoch vergeht die Szene zu schnell, um das Set zu genießen. Julianne Moores Schrei ist zu schwach und das Auftauchen Vaughns in Frauenklamotten wiederum ist zu langsam und zäh, um irgendwen zu erschrecken.
Mysteriös auch die visuellen Einschübe während der Mordsequenzen. Hält sich van Sant beim Duschmord geradezu sklavisch an Hitchcocks Vorgaben, fügt er dennoch zwei Bilder von ziehenden Wolken ein, optisch schön, aber unpassend.
Später beim Mord an Arbogast sieht man zwischen den Stichen erst eine halbnackte, maskierte Frau auf einem Bett liegen und dann ein Rind auf einer regnerischen oder nebeligen Straße stehen. Ob dies nun der Film, den Arbogast vor Augen sieht, sein soll oder es sich um blitzartige Visionen von Norman Bates handeln soll, bleibt ungeklärt.
Tatsache bleibt, daß Psycho '98 zwar durchaus genießbar ist, aber in seiner Funktion fragwürdig erscheint. Gegen das Original kann er nur verlieren, aber als Frevel kann ich das nicht verstehen (und ich verehre Hitchcock wirklich), eher als unausgegorenes Experiment, daß keine richtige Linie gefunden hat.
Trotzdem 6/10.

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