„Warum bist Du nicht zurückgekommen? Warum hast Du Dein Versprechen nicht gehalten?“ – Jin-Seok
Als Steven Spielberg 1998 sein Weltkriegs-Drama „Der Soldat James Ryan“ veröffentlichte, standen Kritiker und Publikum Kopf. Die ersten 20 Minuten präsentierten ein Kriegsszenario, dass so noch nicht auf der Leinwand zu sehen war. Die dokumentarisch wirkenden, hektischen und grausigen Bilder prägten die gesamte Filmindustrie. Das der Rest von „Private Ryan“ letztlich doch eine zwar düstere aber unverhohlen patriotische Heldengeschichte erzählte, ging dabei leider unter. 2004 legte dann Kang Je-Gyu seine Version des blutigen Themas vor. Und der Südkoreaner bewies: Seine Heimat ist zurzeit das wohl kreativste Filmland der Erdkugel. „Taegukgi“ zwingt den Zuschauer in die Beobachter-Rolle, der mitten im Korea-Krieg mitbekommt, wie das grausige Geschehen auf den Schlachtfeldern Soldaten entmenschlicht.
1999 rockte Kang seine Heimat mit dem Heroic-Bloodshed-Meisterwerk „Shiri“. Seine offensichtliche Huldigung an die große Zeit des Hongkong-Kinos glänzte nicht mit innovativen Inhalten. In seinem zweiten Film nach „The Ginkgo Bed“ legte er aber eine Dynamik an den Tag, die einem schier die Sprache verschlug. Zudem sorgten gute Darsteller und ausgefeilte Charaktere für eine tiefe emotionale Bindung an die Figuren. In „Taegukgi“ schraubt Kang das Pathos deutlich herunter. Fast zwei Stunden lang verfolgen wir die Geschichte der Brüder Jin-Tae und Jin-Seok aus dem Süden Koreas, die gleich nach Ausbruch des Krieges 1950 eingezogen und in die Schlacht geschickt werden. Episodenhaft umreißt Kang den gemeinsamen Weg der beiden. Jin-Tae will seinen jungen Bruder schützen. Ein Offizier bietet ihm an: Falls er die Tapferkeitsmedaille erhält, darf Jin-Seok nach Hause.
Seitdem lässt der robuste Jin-Tae keine Möglichkeit aus, sich im Kampf auszuzeichnen. Und entdeckt dabei seine Qualitäten als Soldat. Jin-Tae wird zum gefeierten Kriegsheld. Der ahnungslose Jin-Seok dagegen glaubt, sein Bruder habe Gefallen am Krieg gefunden und darüber die kranke Mutter und die eigene Verlobte vergessen. Es kommt zum Bruch zwischen beiden. Erst später muss Jin-Seok erkennen, dass Jin-Tae nur aus einem Grund kämpft: Um den Bruder zu schützen. Dabei spielt es für ihn keine Rolle, gegen wen er die Waffe richtet.
Auch „Taeguki“ hat einige dramaturgische Wendungen, die nicht immer glaubwürdig scheinen. Doch die treten in den Hintergrund. Wenn sich die Hauptfiguren am Ende des 150-minütigen Film-Monsters gegenüber stehen, spielt Kang so gekonnt auf dem Gefühlsklavier, dass es wohl keinen kalt lässt. Vor allem, weil wir bis dahin Zeuge von unorstellbarem Grauen geworden sind. Bemerkenswert: Der fast nie sichtbare Feind aus dem kommunistischen Norden wird bleibt, ähnlich wie die Deutschen in der herausragenden TV-Produktion „Band of Brothers“ meist gesichtslos. Als barbarische Kriegsverbrecher erscheinen die Kommunisten, doch durch die schrecklichen Reaktionen der Südkoreaner wird der Teufelskreis dargestellt, den der Krieg mit sich bringt. Bald werden auch die vermeintlichen Kämpfer für Recht und Demokratie zu mordenden Tieren.
Nahezu unerträglich wirkt die Gewalt. Schusswaffen, Bajonette, Mörser und Messer, aber auch die bloßen Hände werden zu Kriegswerkzeugen. Und dem Zuschauer bleiben die Folgen nicht erspart. Wer diese blutrünstigen Momente als reißerische Action konsumiert, sollte sich untersuchen lassen. Als körperlich schmerzhafter habe ich selten einen Film empfunden. Und „Taegukgi“ lässt einen künftig alte Kriegsfilm-Klassiker in einem anderen Licht sehen. Ob auf Seiten der Sieger oder der Besiegten: Sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Folgen eines Kriegs können nicht vergessen werden.
10/10