Oldboy ist ein Film, der für Kontroversen sorgt und diese sogar in sich selbst birgt. Denn so brutal und hasserfüllt der Film auch wirken mag, so ist er doch auch wie eine wunderschöne Symphonie, mal wuchtig, mal fragil, die einen bis zum letzten melancholischen Schlussakkord gefangen hält. Entweder stößt einen Oldboy wegen seiner brutalen Gewaltszenen ab oder aber—und das weitaus häufiger—er packt uns, frisst sich in unsere Gehirnwindungen und lässt uns so schnell nicht wieder los. So geschehen wohl auch bei etlichen Preisrichtern, die den Film gleich waschkörbeweise mit Preisen überhäuft haben. Dermaßen viele Intellektuelle können kaum irren. Doch: Egal wie fusselig man sich den Mund auch redet, egal wie eloquent der Rezensent—nie wird man damit dem ganzen Ausmaß von Oldboy gerecht. Oldboy muss man letztendlich selbst erleben, um diesen Rachethriller mit einem gewissen Hang zur Melodramatik (wie man ihn bei den Koreanern immer wieder gern antrifft) zu verstehen.
Das große Thema, um das es sich in Oldboy wie schon im Vorgänger Sympathy For Mr. Vengeance dreht, ist Rache. Oh Dae-Su (Choi Min-Sik), ein ganz normaler Mann, wird scheinbar ohne ersichtlichen Grund 15 Jahre lang von einem Unbekannten in einer Zelle gefangen gehalten, in der ihm nur der Fernseher als Fenster zur Außenwelt bleibt. 15 Jahre lang grübelt Oh Dae-Su nach dem Wer und Warum, ohne dabei schlauer zu werden. Nur sein Hass wächst. In seiner Zelle beginnt er zu trainieren und sinnt Rache. Und dann, nach 15 Jahren findet sich Oh Dae-Su plötzlich in einem Koffer auf dem Dach eines Hochhauses in der vermeintlichen Freiheit wieder. Völlig verloren und entfremdet findet er schließlich Halt und Liebe bei der jungen Mido (Kang Hye-Jeong). Nun kann Oh Dae-Sus Rachefeldzug beginnen. Und so ist es längst geplant. Denn Oberbösewicht Lee Woo-Jin (Yoo Ji-Tae) will eine Wette mit ihm abschließen: Kann es Oh Dae-Su innerhalb von fünf Tagen schaffen, das Geheimnis um den Grund seiner Gefangenschaft herauszufinden? Oder wird Mido sterben müssen?
In einem Interview rechtfertigt Regisseur Park Chan-Wook sein Lieblingsthema Rache: "Wir empfinden heute mehr Zorn als es in der Vergangenheit der Fall war. Allerdings leben wir in einer Welt, in der wir daran gehindert werden, unseren Emotionen freien Lauf zu lassen. Wenn wir in der Gesellschaft, in der wir leben, keine Gelegenheit bekommen, unseren Hass und unsere Animositäten aus dem Weg zu schaffen, dann entwickelt sich Rache ganz automatisch zu einem Thema, das uns mehr und mehr beschäftigt und interessiert... [Rache] beschäftigt die Menschen, weil einerseits jeder von uns Rache in seinem Herzen trägt, es sich aber andererseits um ein Tabu handelt, dessen Durchführung den meisten von uns verwehrt bleiben wird." (entnommen aus dem DVD-Booklet)
Und dieses Tabu-Thema versteht Park Chan-Wook auf vielerlei Art und Weise zu brechen und meisterhaft in Szene zu setzen. Mit gekonnten Schnitten und Überblenden, vor Kulissen in edler Optik, die mit ausgeblichenen grünstichigen Farben verwirkt oder in verdreckten grobgemusterten Retrotapeten verpackt sind, wobei der Sättigungsgrad jener Farben je nach Stimmung verändert ist, bekommt man Oh Dae-Sus anfängliche Isolation und seinen psychischen Verfall fast schon am eigenen Leib zu spüren. Da wird ihm das letzte Bisschen Würde genommen, indem man ihn wie ein Tier in einem Käfig hält und ihn psychisch zermürbt, was der Zuschauer so verspielt wie verstörend vorgesetzt bekommt. Oh Dae-Sus eigene Rache fällt dagegen weitaus weniger kreativ und unverschnörkelter aus. Er will nur eins: seinen Peiniger tot sehen, sobald er das Warum erfahren hat, ohne Rücksicht auf Verluste—egal, wie blutüberströmt er selbst von den Kämpfen davontorkelt.
Kommt man dann zusammen mit Oh Dae-Su hinter das Warum, mag man sich zunächst vielleicht fragen, ob eine solche vergleichsweise "Lappalie" überhaupt einen solchen Aufwand wert war. Aber sind es im Endeffekt nicht immer Kleinigkeiten, an denen sich der Mensch aufhängt, in die er sich hineinsteigert, bis es zum einzigen Hauptthema seines ungezügelten Hasses wird? Was rechtfertigt denn überhaupt als Rache gleich Elemente wie Mord und Totschlag? Und wie kindisch ist eigentlich so ein Gedanke an Blutrache? Und so passt dann auch Lee Woo-Jins irgendwie noch jugendliches Gesicht perfekt zum Oberbösewicht. Wirkt er ganz zu Beginn noch wie eine Fehlbesetzung für den Oberbösewicht, wächst er bald schon in seine Rolle hinein wie in eine zweite Haut—denn hinter der hübschen in teure Hemdchen gekleideten Fassade brodelt es bedrohlich. Seine Gedanken an Rache, wegen etwas, das in seiner Jugend geschehen ist, haben ihn nie richtig erwachsen werden lassen.
Oldboy lässt seine Figuren nie richtig an den Zuschauer heran, möchte sie zu einem gewissen Teil für sich selbst behalten. Und das ist vielleicht besser so. Nur bei Oh Dae-Su hätte man sich ein wenig mehr Hintergrund gewünscht. Denn als er sich im Film einmal selbst fragt, ob er nach getanem Racheakt wohl jemals wieder der alte Oh Dae-Su werden kann, ist dem Betrachter nämlich immer noch ziemlich unbekannt, was für ein Typ der "alte" Oh Dae-Su denn nun überhaupt war.
In hoch-ästhetischen, mal verstörenden, mal poetischen Bildern beschreibt Park Chan-Wook drei Personen, die alle drei ihre eigenen Geheimnisse verbergen, und die das Schicksal, das nun gänzlich von Lee Woo-Jin gelenkt wird, wieder zusammengeführt hat. Da ist klar, dass die Geschichte unaufhaltsam auf einen traumatischen Höhepunkt zusteuert, in dem Oh Dae-Su ein letztes Mal seinen Rest Würde verspielt.
Die Gewalt und der Ekel—etwa wenn Oh Dae-Su einen lebenden Tintenfisch verspeist—sind in Oldboy nie selbstverliebt, aber immer aufrüttelnd. Ein Messer im Rücken, ein gezogener Zahn—als Zuschauer kann man den Schmerz fast fühlen. Und selbst wenn man den Akt, der Schmerzen zufügt—wie etwa als sich Oh Dae-Su die Zunge abschneidet—nicht sensationsgeil zu sehen bekommt, so bleibt selbst nach diesen suggerierenden Szenen ein ungutes Gefühl im Magen zurück. Dabei wirken die Optik und die wunderschöne musikalische Untermalung wie unsichtbare Ketten, die einen trotz allem bis zum Schluss an den Film fesseln, der sicher nicht für schwache Nerven oder einen schwachen Magen gedacht ist.
Und wenn dann nach knapp zwei Stunden der Abspann eingeblendet wird, fragt man sich, ob und warum einem das Gesehene gefallen hat, ehe man im Geiste schon eine Bestwertung vergibt. Oldboy bleibt ein kontroverser Film, durch und durch brutal—physisch wie psychisch—, grotesk, fesselnd und unglaublich intensiv. Selbst wenn die Hauptpersonen nicht gerade Identifikationsfiguren sind, so lernt man doch genug von ihnen kennen, um in sicherer Distanz mit ihnen zu fühlen, sie zu lieben, sie zu hassen. So schnell jedenfalls wird man Oh Dae-Sus zerfurchtes Gesicht mit den Triefaugen nicht mehr vergessen—das Gesicht eines gebrochenen Mannes, der alles verloren hat bis auf eins: seine Liebe zu Mido. Und die stellt er schließlich über alles andere.