„Oldboy“ geht an die Substanz!
Das ist doch schon mal was im Kanon der Filmwelt und wenn dies dann auch noch beidseitig geschieht, in punkto Publikum und Figuren auf der Leinwand, dann hat das Hochachtung verdient.
Von der Kritik prachtvoll abgefeiert und mit Preisen bedacht, führt der Film den unbedarften Zuschauer geradewegs hinab in das Tal nicht endender Schmerzen. Oh Dae-su, sich keiner Schuld bewußt, wird zum modernen Graf von Monte Christo, mit dem feinen Unterschied, nicht zu wissen, warum ihn ein Unbekannter für 15 Jahre in demselben Zimmer festhält, ohne Kontakt zu anderen Menschen, weggeschlossen für die Ewigkeit.
Und seine Entlassung in einem großen Koffer gerät nicht zur Befreiung, sondern in ein neues Gefängnis, denn der Unbekannte hat eine Rechnung mit ihm offen. Fünf Tage hat der Ex-Gefangene Zeit, nicht nur den Gegner zu entlarven, sondern auch zu ergründen, warum ihm das alles angetan wurde.
Was man schon bald ahnt, ist, daß die Freiheit und eine morbide Form neuen Glücks in Gestalt der Sushi-Köchin Mido nur ein Teil einer riesigen Falle ist, angetan, die Rache zu vollenden. Bis dahin sieht sich der Zuschauer einem Bilderrausch ausgesetzt, gehetzt zwischen Rachegedanken und gefühlsmäßiger Abgestumpftheit.
Der Rachegedanken führt zu einer brachialen Vorgehensweise, die in Bilder mündet, die man sich allen Ernstes nicht problemlos anschauen kann, so ein Gefecht in einem langen Gang, bei dem die Gegner mit einem Hammer niedergemacht werden, die Entnahme diverser Zähne mit demselben Instrument, das Abschneiden der eigenen Zunge.
Wesentlich intensiver noch die Szene, in der Oh Dae-su etwas Lebendiges verspeisen will und mit einem gewaltigen Bissen (und Nachschieben) einen lebenden Tintenfisch herunterschlingt. Der Todeskampf des Kopffüßlers, der sich mit seinen Saugnäpfen an der Nase seines Verschlingers festklammert, ist an Intensität kaum noch zu übertreffen.
Der Zweck des Konstrukts bleibt jedoch im Dunklen, allenfalls ahnt man, daß hier eine klassische Tragödie eine neue Form findet, ein Drama aus Rache und Trauer (und Gewalt).
Schlußendlich scheint der Grund für die Tortur eine Nichtigkeit zu sein (wenn auch mit Folgen), die Spiegelung des Geschehens der Vergangenheit ein überlebensgroßes Bild der Rache.
Problematisch wird es dort, wo der Film die Emotionen des Zuschauers einfordern müßte, doch da bleibt der gebrochene Hauptcharakter leider ein unterentwickeltes Chiffre, zu wenig erfährt man von ihm und seiner Vorgeschichte, die wenigen Szenen vor seiner Entführung deuten lediglich auf den Grund seiner Gefangenschaft: er redet zu viel.
Natürlich kann Mitleid aufkommen und die Rachegedanken sind nachvollziehbar, aber das Einfühlen in die Figur ist nicht möglich, zu abstrakt scheint die Konstruktion der Situation, zu unpersönlich und fern bleibt der Protagonist, wenn auch die Liebesszen eine brutal-zärtliche Realitätsnähe aufweisen.
Ja, „Oldboy“ ist mir an die Substanz gegangen, schmerzhaft die Bilder, groß das Drama.
Doch die menschliche Komponente, das Andocken an meine Persönlichkeit als Zuschauer findet nicht statt. So steht das intensive Erlebnis für sich allein, großes, schier unerträglich hartes Kino, fürwahr! (8/10)