Der Ruf von „American Pie" ist eher berüchtigt als berühmt. Nicht ganz zu Unrecht, deutet der Streifen seine vordergründigen Verkaufsargumente doch schon im Titel an. Tatsächlich ist „American Pie" jedoch weit mehr als der Film, in dem ein Teenager Geschlechtsverkehr mit einem Apfelkuchen hat. Unter der glitschigen Oberfläche aus Kotze, Kot und Sperma verhandelt Regisseur Paul Weitz überraschend scharfsinnig die Sorgen, Nöte und Befindlichkeiten der Teenagergeneration um die Jahrtausendwende.
Im letzten Jahr der Highschool schließen vier Freunde einen Pakt. Tollpatsch Jim Lievenstein (Jason Biggs), Sportass Chris „Oz" Ostreicher (Chris Klein), Spießer Kevin (Thomas Ian Nicholas) und der Streber Paul Finch (Eddie Kaye Thomas) leiden an extremer Jungfräulichkeit und wollen diesen Zustand vor Ende des Schuljahres unter allen Umständen ändern. Vollkommen darauf fixiert endlich ihre Unschuld zu verlieren, stolpern sie von einer peinlichen Situation zur nächsten und lernen sich dabei ein Stückchen selbst kennen.
„American Pie" ist im Gegensatz zu ähnlichen Genrevertretern wie „La Boum" (1980), „Ferris macht blau" (1986) oder „Superbad" (2006) eine klassische Ensemblekomödie. Grundsätzlich könnte man sich natürlich fragen wie realistisch es ist, dass ein Schulstreber mit einem Sportass befreundet ist. Allerdings gehört das Cliquentum genauso zur Highschool wie historisch gewachsene Freundschaften vollkommen unterschiedlicher Charaktere. Dank der tollen Chemie zwischen den Protagonisten fällt die etwas konstruierte Grundkonstellation der Story allerdings eh zu keinen Zeitpunkt negativ auf. Sie bringt den Film zudem in die angenehme Position, im Verlauf der Geschichte die unterschiedlichsten Winkel einer amerikanischen Highschool um die Jahrtausendwende auszuleuchten. Dabei wird jedem Charakter auf ihrer Suche nach dem ersten Sex annähernd gleich viel Platz eingeräumt. Die Storys geraten dabei witzig und abwechslungsreich und behalten bei allen Übertreibungen und Absurditäten stets einen nachvollziehbaren und sehr herzlichen Kern. Lediglich die Geschichte um Spießer Kevin (Thomas Ian Nicholas), der mit seiner Freundin Vicky (Tara Reed) endlich sein erstes Mal hinter sich bringen möchte, fällt qualitativ ein wenig ab. Dieses Stück des Kuchens bietet zwar ein unerwartet melancholisches Ende, verliert sich im Verlauf aber mitunter in durchgekauten Genreplatitüden, die weder Nicholas noch Reed zu überspielen vermögen. Ansonsten leben die Geschichten in „American Pie" in erster Linie von seinen grandiosen beobachteten Charakteren, die bis in die Nebendarsteller exzellent ausgespielt werden. Angefangen von Sean William Scott als prolliger Partykönig Stifler, der ungeniert durch die Handlung wüten darf und damit jede Szene an sich reißt. Als Szenendieb entpuppt sich auch Eugene Levy, der Jason Biggs wohl die peinlichsten Vater-Sohn-Gespräche der Filmgeschichte drücken darf und dabei immer einen väterlichen Rat zu viel parat hält. Dazu kommt der gesamte weibliche Teil des Casts um Alyson Hannigan, Mena Survari und Tara Reed. In kleineren Rollen glänzen Jennifer Coolidge in ihrer mittlerweile legendären Rolle als Stiflers Mom, Chris Owen als pickliger Möchtegern-Frauenheld „Sherminator" und John Cho als...Partygast. Letzterer durfte den Begriff „Milf" in den europäischen Sprachgebrauch einführen und hinterließ in dieser Miniszene immerhin so viel Eindruck, dass sich eine solide Kinokarriere abschloss (u.a. „Harold & Kumar", Star Trek, „American Dreamz", "Total Recall"). Die große Stärke von „American Pie" liegt dann auch nur vordergründig in dem genauso flachen wie brüllend komischen Gross-Out-Ausschweifungen. Die große Stärke von „American Pie" liegt eindeutig in ihren Charakteren. Als trauriger Beleg für diese Tatsache mag herhalten, dass viele Darsteller auch heute, knapp 13 Jahre danach, auf eben diese Rolle reduziert werden. Was für die Darsteller Fluch und Segen zugleich ist, entpuppt sich für den Zuschauer allerdings als großer Spaß.
„American Pie" hat gleich einen Dutzend Prototypen für alle folgenden amerikanischen Highschool-Komödien etabliert und gilt daher zu Recht als ein moderner Klassiker dieses Genres. Kritiken, die den Film auf seine Körperflüssigkeiten reduzieren, greifen eindeutig zu kurz. „American Pie" ist ein ungemein witziges und dabei scharfsinnig beobachtetes Portrait einer Generation und versöhnt das Grossout-Genre mit ernsteren Teeniekomödien ala John Hughes. 13 Jahren ist für einen Teenagerfilm ein stolzes Alter und so wirken das Sperma, Pipi, der Kot und die Kotze stellenweise schon leicht eingetrocknet. Der Punkpop-Soundtrack klingt eher anachronistisch als modern, die Mode und selbst die Sprache haben schon einigen Rost angesetzt. Trotz dieser Einschränkungen schmeckt „American Pie" aber auch heute noch prächtig.
Daran werde ich mich erinnern. Der Heimscheißer lässt es auf dem Schulklo krachen.