Review
von Alex Kiensch
In einem seiner frühesten Filme entwirft David Cronenberg eine surreal-dystopische Versuchsanordnung, in der er mit diversen filmischen Stilmitteln experimentiert, aber nur sehr indirekt eine tatsächliche Handlung erzählt: Als Zuschauer folgt man dem Leiter einer seltsamen Klinik, in der psychische, physische und metaphysische Folgen diverser Haut- und anderer Krankheiten behandelt werden. Dabei erhält man nach und nach Einblick in ein bizarres System aus pseudowissenschaftlichen Untersuchungsmethoden, skurrilen Figuren und unterschwellig bedrohlichen Abhängigkeitsverhältnissen.
Genauer lässt sich der Inhalt dieses noch in vielerlei Hinsicht studentisch wirkenden Films kaum zusammenfassen. Klar wird nur, dass hier eine Art Parodie auf Gurus der Medizin und Kosmetik versucht wird - der Mix aus körperlichen und esoterischen Krankheitsbildern und Behandlungsmethoden, der hier von einer konsequent lakonischen Stimme aus dem Off beschrieben wird (im ganzen Film gibt es keinen einzigen gesprochenen Dialog, alle Erklärungen finden aus dem Off statt), kann als leicht surreale Verdrehung tatsächlicher medizinischer Berichte interpretiert werden. Interessant ist dabei, dass sich bereits hier bei aller inszenatorischen Zurückhaltung und offensichtlich begrenzter Mittel Ansätze von Cronenbergs späterem Body Horror finden: wenn etwa von einem Patienten berichtet wird, dessen Krankheit im ständigen Nachwachsen neuer, funktionsloser Organe besteht, die dieser nach erfolgreicher Operation in Einmachgläsern mit sich herumträgt. Oder wenn über die genetische Mutation von Zehen schwadroniert wird, die alle evolutionären Entwicklungsstadien von Fortbewegungsapparaten annehmen, von Tentakeln über Flossen zu Füßen. Solche bizarren Spielereien in Verbindung mit der monotonen Sprechweise des Erzählers lassen immer wieder hintergründig-ironische Situationen entstehen, die einen durchaus humorvollen Kern des Films freilegen.
Allerdings reicht das nicht, um „Crimes of the Future" für auch nur 63 Minuten wirklich unterhaltsam zu machen. Cronenberg verliert sich zu sehr in formalen Spielereien: asynchrone Bild- und Tonspur, surreale, mechanistisch anmutende Geräusche, die manchmal zum Gezeigten passen und manchmal nicht, psychedelische Farb- und Lichtspiele, teilweise an Tanztheater erinnernde Bewegungsabläufe der stummen Figuren umeinander herum, mitunter schwer nachzuvollziehende Handlungsweisen unter- und gegeneinander - die minimalistische Handlung wird von Anfang an für eine ganze Reihe an inszenatorischen Experimenten in den Hintergrund gedrängt. Das ist eine Zeitlang durchaus interessant, vor allem weil die Atmosphäre im Anfangsteil durchaus subtil bedrohlich ist und die Kulissen eines weitläufigen, unpersönlich wirkenden Klinikgeländes recht unheimlich, emotional kalt wirken. Aber schon nach relativ kurzer Zeit verlieren sich Darsteller und Inszenierung in dramaturgisch nur bedingt notwendigen repetitiven Zirkeln. Dadurch verliert die anfänglich dichte Atmosphäre einiges an Potenzial - und Langeweile bricht sich Bahn. Die zweite Hälfte des Films muss man schon gezwungen durchstehen, weil einfach nichts passiert, was in irgendeiner Weise aus diesem Kreislauf aus prätentiös aufgeladenen Bildern herausfinden könnte. Und dass ein so kurzer Film so langweilig wird, ist wirklich ein Armutszeugnis.
„Crimes of the Future" ist in vielen Belangen ein durchaus interessanter, vor allem ästhetisch bereits recht reifer Avantgarde-Film aus einer Zeit, in der sich das US-Independent-Kino mit vielen ähnlich bizarren Beiträgen zu formen begann. Für mehr als kunsttheoretische Betrachtungen eignet er sich aber kaum, und durch seine unnötig ausgedehnte und vor allem gegen Ende viel zu sehr ausgebremste Erzählweise verspielt er so ziemlich jedes Interesse, das die handwerklich gekonnte Inszenierung anfangs noch zu wecken vermag. Prätentiöses Kopfkino, das seine spannende Ausgangssituation leider nicht entsprechend umzusetzen vermag.