Die Kritik beruht auf der ungeschnittenen, 126-minütigen DVD-Veröffentlichung von DRAGON!
Von "Profondo Rosso" - im englischsprachigen Raum auch als "Deep Red" bekannt - existieren mehrere Schnittfassungen mit unterschiedlichen Laufzeiten von 85 Minuten bis hin zur vorliegenden 126 Minuten langen Version.
Die Laufzeitunterschiede resultieren dabei überwiegend aus Handlungskürzungen, besonders die humoristischen Einlagen wurden aus dem Werk entfernt.
Was die Qualität von Argentos Humor angeht werde ich im weiteren Verlauf meiner Kritik näher darauf eingehen, zunächst möchte ich jedoch festhalten, dass Argento selbst nach seiner "Tier-Trilogie" ("Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe", "Die neunschwänzige Katze" und "Vier Fliegen auf grauem Samt") hier die Geburtsstunde seines eigenen Stils sowohl in visueller als auch inszenatorischer Hinsicht eingeleutet hat.
Ein Stil, dessen rauschhafte Inszenierung von Morden, untermalt von den harten Kompositionen der Progressive-Rockband The Goblins, einer bildgewaltigen Farbdramaturgie und eleganten Kamerafahrten in den nachfolgenden Werken noch intensiviert und verfeinert werden sollte.
Bei näherer Betrachtung ist auch ganz eindeutig erkennbar, dass der Maestro des Giallo hier am Werk war, denn die signifikanten Versatzstücke des Genre gepaart mit der Handschrift Argentos, prägen "Deep Red" von der ersten bis zur letzten Minute:
angefangen von der einleitenden Vorgeschichte aus der Vergangenheit, eingebaut in den Vorspann und im weiteren Verlauf der Handlung durch diverse Flashbacks noch erweitert, wird Bezug auf das traumatische Kindheitserlebnis des späteren Täters genommen, gefolgt von einer weiteren kurzen Einleitung der Hauptperson und des ersten Opfers, dessen Ermordung gewohnt blutig und in seiner Detailfreudigkeit sehr brutal inszeniert worden ist. Dazu die schwarzen Lederhandschuhe (das typischste aller Versatzstücke des Genre), diverse falsche Hinweise auf den Täter, um den Zuschauer bewusst in die Irre zu führen, die subjektive Kamera aus der Sicht des Täters und der unverkennbare Bezug zur Kunst und Kultur, der sich vor allem in der Inszenierung einzelner Szenen vor imposanten Kulissen widerspiegelt.
Dazu die typische Verbeugung vor Sir Alfred Hitchcock, dem Master of Suspense: Augenzeuge Marcus leidet an Klaustrophobie (bezugnehmend auf James Stewarts Höhenangst aus "Vertigo") bis hin zum mumifizierten Geheimnis eines Hauses, das eine gewichtige Rolle spielt.
Dario Argento ist ein wahrer Künstler, seine Werke sind wie Operetten in verschiedenen Akten und mit einem fulminanten Höhepunkt inszeniert.
"Deep Red" bildet da sicherlich keine Ausnahme und zurecht ist dieser Film als Geburtsstunde des Argento-Styles anzusehen, gleichzeitig aber auch als Mißgeburt, denn im Bereich des Gialli zählt "Deep Red" für mich nach "Opera" zum stupidisten, langweiligsten und zähesten, was der Maestro je auf Leinwand gebannt hat - abgesehen noch von "Mother Of Tears", der in ein vollkommen anderes Genre einzuordnen ist, gleichsam aber als Argentos Tiefpunkt angesehen werden kann.
Die Klasse seiner späteren Meisterwerke sind auch bei "Deep Red" klar erkennbar, aber vollendet war sein Stil damals noch lange nicht. Was jedoch am meisten an diesem Film stört, nach einer Weile wirklich nervtötend ist, ist Argentos Versuch, seinem Werk eine gewisse humoristische Note zu verleihen.
Das mag vielleicht noch bei dem Abenteuerfilm "Die Halunken" gelungen sein (ich selbst habe diesen Film nie gesehen) - doch bei dem vorliegenden Giallo ist das Experiment gründlich in die Hose gegangen. Argento ist ein Meister des Thrills, aber sicherlich kein Inszenator unterschwelligen, subtilen Humors. Dieser wirkt bei "Deep Red" albern, aufgesetzt, unfreiwillig komisch und ist vollkommen deplaziert.
Dadurch wirkt das Zusammenspiel von David Hemmings und Daria Nicolodi auf den Zuschauer mehr anstrengend als angenehm unterhaltend. Die banalen Dialoge und die Spitzfindigkeiten zwischen den beiden passen einfachg nicht in das Geschehen.
Im Gegenteil: dadurch wirkt der Film eher wie eine platte Komödie, die versucht spritzig und witzig zu sein im Stil der US-Krimireihe "Der dünne Mann" aus den 40er Jahren, ohne auch nur einen wirklich guten Gag verbuchen zu können.
Die typischen Argento-Morde erwecken den Eindruck, als wären sie einfach um die Klamotte herum inszeniert worden, wodurch die Intensität der Kills verloren geht.
Auch der von Eros Pagni dargestellte Capitano Calcabrini ist mehr das klischeehafte Abziehbild eines trotteligen Ermittlers, der weder durch Charisma noch durch Spürsinn überzeugen kann und es stellt sich die Frage, was sich Dario Argento dabei gedacht hatte, solche Witzfiguren zu skizzieren.
Ansonsten ist in "Deep Red" alles vorhanden, was frühere und spätere Werke des Maestros ausmachten: ein Amerikaner (hier David Hemmings in umgekehrter "Blow Up"-Rolle) beobachtet einen Mord ("Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe") und beginnt zu ermitteln. Parapsychologische Phänomene ("Die neunschwänzige Katze", 10 Jahre später wird auch in "Phenomena" die Thematik erneut behandelt) spielen ebenso eine gewichtige Rolle wie die Psychologie des Täters, der von einem Kindheitserlebnis traumatisiert ist ("Tenebre" oder auch "Sleepless"). Doch den nötigen Ernst lässt Argento zu fast 70 % der gesamten Laufzeit schmerzlich vermissen.
Umso mehr prägen sich dann die negativen Aspekte des Gezeigten in das Hirn des Zuschauers ein, zumal nach dem ersten Mord fast einstündiger Leerlauf herrscht und die Handlung geschwätzig vor sich hin plätschert.
Dario Argento schrieb und inszenierte eine völlig an den Haaren herbeigezogene Mordgeschichte bar jeglicher Logik.
Argentos Stories litten schon immer unter einem akuten Mangel an Sinn und Verstand, was er stets durch Einfallsreichtum und inszenatorischer Finessen gekonnt zu überspielen vermochte.
Doch was hier auf eine opulente Laufzeit von 126 Minuten aufgeblasen wurde entbehrt in jeglicher Hinsicht dem Ruf dieses Meisterregisseurs.
Da werden Spuren aufgenommen, ohne dass sie weiter verfolgt werden und manche Szenen wirken wie zusammenhanglos aneinander gereiht.
Szenen wie zwei kämpfende Straßenhunde haben weder als Metapher noch für den weiteren Verlauf der Handlung irgendeine bedeutungsvolle Aussagekraft und es mangelt an allen Ecken und Kanten an einer ausgefeilten Dramaturgie und nennenswerten Spannungsmomenten.
Aufkommende Spannung verpufft gleich wieder im unnötigen Klamauk.
Die psychologischen Aspekte um das Trauma des Täters wurden offensichtlich mit dem Holzhammer in das Drehbuch gemeisselt, anders sind die vielen Löcher innerhalb der Handlung kaum zu erklären. Da nützt es auch wenig diese Leere mit blutig arrangierten Mordsequenzen zu füllen.
Die Motive für die Morde erscheinen - auch wenn sie wie vieles andere in dem Film nicht näher erklärt werden - noch nachvollziehbar, der Anlaß, der jedoch zu dieser Mordserie führt, ist genauso absurd wie ein aus dem Hut gezaubertes Kaninchen.
Auch wenn der Titel "Deep Red" genau das Gegenteil vermuten lässt, kommt dieser Giallo für Argento-Verhältnisse relativ unblutig daher. Das Blut der Opfer erscheint zwar in sattem Rot, was für die experimentelle Farbkompositionen Argentos spricht, doch erreichen die dargestellten Morde noch lange nicht die Intensität späterer Tötungsszenarien, obgleich sie für das Entstehungsjahr des Filmes revolutionär und im Bereich des Zumutbaren waren.
Der von einem Autoreifen zermatschte Kopf gegen Ende des Films wirkt im Zusammenhang dann genauso befremdlich, wie der aufgesetzte Humor, der sich mehr wie ein roter Faden durch die Handlung zieht als die eigentlichen Morde.
Und so ist es dann auch weniger überraschend, dass das Finale unspektakulär ausgefallen ist und dem Zuschauer eine unbefriedigende Auflösung mit vielen offenen Fragen präsentiert.
Der inszenatorische Clou mit dem Spiel der Wahrnehmung des Augenzeugen und auch des Zuschauers ist dabei noch einer der wenigen Höhepunkte dieser konfusen und langweiligen Abfolge mehr oder weniger bedeutsamer Szenen.
Um fair dem Regisseur und jedem Argento-Fan gegenüber zu bleiben - zu denen ich mich auch zähle - sei erwähnt, dass dieser Giallo als Fingerspitzenübung angesehen werden kann, dem sieben Jahre später genau das Meisterwerk im Bereich des Genre folgen sollte, dass diese Bezeichnung zurecht verdient hat und ein Paradebeispiel dafür ist, wie man es richtig machen sollte:
"Tenebre", jener harte, nervenaufreibende und hochspannende Schocker, der auch in der fünften und sechsten Wiederholung nichts von seiner Intensität verloren hat und den Zuschauer jedesmal aufs neue in seinen Bann ziehen kann.
"Deep Red" dagegen ist nichts weiter als ein künstlerisch angehauchter, inszenatorisch anspruchsvoller Edel-Trash mit Tunten-Einlage. Ein Bilderrausch ohne nennenswerten Unterhaltungswert, ein Fest der Sinne von ausufernder Bedeutungslosigkeit.