Review

ACHTUNG!!!
TEXT ENTHÄLT SPOILER!!!

Der amerikanische Musiker Marc Daly wird von der Straße aus Zeuge eines Mordes, der über der Wohnung in der er lebt, stattfindet.
Er eilt zur Hilfe, kommt allerdings zu spät und der Mörder ist ihm auch knapp durch die Lappen gegangen. Das Opfer ist ein Medium, das die Anwesenheit eines wahnsinnigen Mörders auf ihrem letzten Kongress gespürt hat. Marc versucht nun mit der Reporterin Gianna den Täter auf eigene Faust zu suchen. Allerdings ist ihm der Mörder immer einen Schritt voraus, dazu dezimiert er Marcs Helfer, sobald sie einer Spur näher kommen.
Allerdings schafft es Marc langsam hinter das Geheimnis des Mörders zu kommen und ist nun selbst in Gefahr.

Profondo Rosso, ein Giallo Meilenstein von Argento. Zugleich auch in meinen Augen der beste Vertreter des Genres. Ich habe bisher keinen Giallo über den Schirm flimmern sehen, der diesem Werk nach all den Jahren das Wasser reichen konnte.
Man merkt hier förmlich, wie Argento zu seinem Stil fand, wie er alles entfesselte, wofür er berühmt wurde. Wo soll man hier nur anfangen?
Schon im Vorspann bekommt der Zuschauer ein(e) Schlüsselerlebnis/Schlüsselszene vorgesetzt, dessen Auflösung allerdings erst am Ende kommt. Auch bewegt sich hier die Handlung in einer Art Kreisform. Nachdem Marc den vermeintlichen Mörder gestellt hat, befindet er sich doch wieder am Anfang, da eben jener Mörder nicht der ist, der die Frau in Marcs Nachbarwohnung getötet haben kann.
Nachdem Marc kurz zu Beginn vorgestellt wurde, fährt die Kamera zum Kongress des Mediums, der der Auslöser für die Mordserie wird. Allein hier schon zeigt Argento, was Sache ist!
Die Kamerafahrt fährt durch einen Vorhang in den Raum hinein. Der Raum scheint mit seinen Farben und Formen selbst inszeniert zu sein (und dies geschieht öfter in Rosso).
Überhaupt zeigt hier Argento seine teils besten Kamerafahrten und Perspektiven. Die Subjektive Sicht des Täters wird sehr oft und mit unheimlicher Spannung passend in Szene gesetzt. Man hat ständig ein mulmiges Gefühl und ist berauscht, wie Argento mit der Kamera durch Räume gleitet oder bestimmte Kulissen in Szene setzt. Oft hat man den Eindruck, die Darsteller agieren in einem überdimensionalen Kunstwerk. Mal aus naher Sicht, mal verloren oder alleine in einer Panoramaeinstellung.
Die Point of View Shots (also aus der Sicht des Täters) sind einfach fabelhaft und man merkt, wo sich John Carpenter ein paar Jahre später für seinen Slasher "Halloween" bedient hat.
Und nicht nur das. Das musikalische Hauptthema von Profondo Rosso hatte wohl auch immensen Einfluss auf Carpenter, dessen bekannte "Halloween" Musik wie eine Hommage des Profondo Rosso Hauptthemas klingt.
Um auch diesen Part "abzuhacken":
Regisseur Argento hat einen absoluten Glücksgriff mit der Gruppe Goblin gelandet, die hier zum ersten Mal die Musik beisteuern. Das Hauptthema hat eine wahnsinns Wiedererkennungseffekt, aber auch der Rest passt punktgenau zur gezeigten Szene.
Der peitschende Sound zum grandios inszenierten ersten Mord (an der übersinnlich begabten Dame) lässt den Puls in die Höhe schnellen. Goblins oft wummernder Bass und die hypnotische Orgel sind einfach perfekt für diesen Film und machen einen sehr großen Teil am Gesamtwerk aus.
Ja, dann haben wir noch Argentos kreative, wie auch blutige Morde. Schon der erste Mord legt hier die Messlatte recht hoch, doch auch im weiteren Verlauf des Films gibt es immer wieder blutige Gewaltspitzen, die dem Filmtitel gerecht werden.
Argento arbeitet in Profondo Ross auch wieder mit dem Thema Wahrnehmung. Der Musiker Marc hat irgendetwas im Flur des ersten Opfers gesehen, was ihn dann auch am Schluss auf den Täter bringt. Wenn man wirklich extrem aufmerksam ist, kann der geneigte Zuschauer den Täter auch entdecken.
Ein weiteres (von Argento beliebtes) Thema sind Ereignisse und Erlebtes in der Kindheit (hier auch schon in der Szene im Vorspann). Wie so oft lässt Argento hier einen Auslöser eines Traumas in der Kindheit walten, womit er auch nicht unrecht hat. Was wir in diesen Zeiten erleben, prägt uns unheimlich stark.

Neben all den positiven Dingen wie die Musik, die Kameraarbeit, die vielen Spannungsbögen und den exzellenten, schon kunsthaften Schauplätze und Kulissen, gibt es leider auch ein paar Kritikpunkte.
Da wären zum Beispiel die relativ witzig aufgezogenen Dialoge zwischen Marc und der Reporterin Gianna, die in dem sonst so spannenden Werk ein wenig deplatziert herausstechen und auch oft in ihrer Länge den Filmfluss und die Spannung ein wenig ausbremsen. Zwar ist die Idee hier die Geschlechterrollen zu tauschen recht nett (Marc ist eher der Sensible und Gianna agiert eher maskulin), aber es bremst doch ein wenig die Geschwindigkeit aus.
Dazu spielt Daria Nicolodi ab und an nahe der Grenze zum Overacting, was dem Film ein wenig schadet. Auch taucht immer wieder Situationskomik auf, wenn die beiden zusammen in Aktion sind (Giannas kaputter Fiat zum Beispiel).
All diese Szene stehen in einem großen Kontrast zu solchen spannungsgeladenen Episoden, wenn beispielweise der Killer sich in Marcs Wohnung schleicht und diesen fast erwischt. Auch der (zum Glück) nur kurz agierende Hauptkommissar, samt Kollegen, ist ein Unsympath und wird nicht gerade als Leuchte dargestellt. Das dies im Giallo Genre oft vorkommt, ist mir ein wenig ein Dorn im Auge. Das das auch anders geht, hat Mario Bava mit seinem Genre-Auslöser "Blutige Seide" gezeigt. Hier löst die Polizei zwar auch nicht den Fall, dafür stellen sie sich nicht wie die letzten Deppen an und sind so gnadenlos überzeichnet wie in sonstigen Genrevertretern... Gut, genug der Negativpunkten.
Dafür nimmt Argento aber auch mal Tabuthemen in die Hand, wie Alkoholismus und Homosexualität (man bedenke, der Film ist von 1975 - heute ist das "kalter Kaffe").
Was bleibt noch zu den Darstellern zu sagen?
Alle liefern hier eine gute Leistung ab, speziell David Hemmings, der Darsteller des Marc, arbeitet hier hervorragend. Negativ sticht hier für mich ein wenig Daria Nicolodi heraus, die mir eben ein wenig zu oft "over the edge" spielt.
Fazit:
Argento hat mit Profondo Rosso wohl neben Mario Bavas "Blutige Seide" die Referenz des Genres abgeliefert. Argento hat hier endgültig zu seinem Stil gefunden, lässt die Kamera prachtvoll umherwandern, platziert die Darsteller in kunstvolle Kulissen und hat mit der Band Goblin die perfekte Crew für die musikalische Untermalung seiner Bilder gefunden.
Argento wird ja oft vorgeworfen, seine Filme bestehen nur aus Optik und haben keine Handlung. Hier aber bekommt der Zuschauer eine wunderbar verschachtelte Geschichte vorgesetzt, die dazu auch noch opulent ausgestattet und fotografiert wurde.
Für Giallo Fans, Freunde blutiger Krimis und Argento-Maniacs ein wahrer Genuss!

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