Nein, gleich in den Kopf des Freaks einzudringen und somit eine vorlagengetreue Adaption der Lovecraft-Kurzgeschichte „Der Außenseiter“ zu wagen, das wäre wohl eine Spur zu ambitioniert gewesen für Charles Band und seine B-Movie-Schmiede Full Moon. Die Geschichte müsse sich einfach nur um einen „Freak“ drehen und ein Schloss solle als Schauplatz dienen; weitere Bedingungen gab Band seinem Regisseur Stuart Gordon nicht auf den Weg. Denn dies waren die beiden einzigen Bestandteile des Posters zu „Castle Freak“, das lange vor Produktionsstart fertiggestellt worden war.
Lovecraft, der ja selbst ein Außenseiter war, drang noch per Ich-Erzähler in die Gedanken der Kreatur ein, so wie er es oft zu tun pflegte. Er bezweckte damit, den aufkeimenden Wahnsinn des Erzählers möglichst direkt erlebbar zu machen. Außerdem sollte dem Leser mit diesem Perspektivenwechsel ein Blick auf die Spiegelseite der mentalen Gesundheit ermöglicht werden. Sein Protagonist war durchaus mit einer gewissen Intelligenz beschlagen, die jedoch angesichts einer unbekannten Zeitspanne der Verwahrlosung in ihrer dunklen Zelle zu einem vertrockneten Pflänzchen verkümmert war. Aberhunderte von Büchern prägten seine verzerrte Vorstellung einer Realität, die schließlich, so die große Pointe am Ende, nicht mit der tatsächlichen Realität übereinstimmen würde.
Es war zu erwarten, dass Gordon solche inneren Monologe nicht in einem Genre-Film aufgreifen würde. Man rückte also erwartungsgemäß von der Egoperspektive Lovecrafts ab und erfand eine zerbrochene Familie mit einer traumatischen Vergangenheit hinzu, die sich im Schloss des Kerkerbewohners einrichtet. Wenn man schon aus dem Kopf des Irren hüpft, benötigt man eben ein anderes Vehikel als Ersatz. Ein Familienvater, der an den Narben seiner eigenen Vergangenheit knabbert, ist da nicht die schlechteste Wahl. Mit Jeffrey Combs ist außerdem sichergestellt, dass man der inneren Zerrissenheit seiner Figur auch wirklich folgt, zumal ihm auch noch Barbara Crampton zur Seite gestellt wird. Was sollte mit dem „Re-Animator“-Duo als Mr. und Mrs. Reilly auch schiefgehen?
Der Freak mutiert währenddessen vom redseligen, belesenen Erzähler zum jaulenden, grunzenden und sabbernden Monstrum, das zu keiner verständlichen Artikulation fähig ist. Nach Lovecraft-Terminologie ist er zu Filmbeginn eher das unergründliche Grauen, das im Verlies vor sich hin vegetiert und kaum Menschliches in sich zu tragen scheint. Doch was wie ein Verlust von inhaltlicher Substanz klingt, könnte man auch als neue Chance betrachten.
Denn der von Jonathan Fuller verkörperte Freak ist gerade in Sachen Make-Up eine außergewöhnliche Erscheinung im Bereich des B-Horrors. Sechs Stunden Maske täglich haben sich jedenfalls mehr als gelohnt: Fuller verschwindet als Darsteller hinter einer Ganzkörper-Abscheulichkeit, die ihren nackten, entstellten und von Amputationen übersäten Leib behelfsmäßig mit einem weißen Laken einhüllt – eine Gestalt, die an einen Leprakranken oder eine Mumie erinnert. Den geistigen Verfall der Figur aus der Vorlage, den Gordon über das Medium Film nicht adäquat abbilden kann, kompensiert er also mit dem körperlichen Verfall aus der Trickkiste der Effektkünstler, der wiederum in der Vorlage wegen des dortigen Mangels an Spiegeln im Unsichtbaren blieb.
Doch nicht nur in Sachen Make-Up erweist sich der Film als gelungene Ergänzung zur Kurzgeschichte; auch die Charakterzeichnung hebt den Freak deutlich vom abgrundtief Bösen ab, das normalerweise in den dunklen und feuchten Ecken lauert und Jagd auf Menschen macht. Es gibt ein, zwei derbe, in ihrer Ausführung durchaus verstörende Verstümmelungssequenzen zu sehen, die manch anderer Produktion aus dem Slasher- und Splatterbereich zur reinen Provokation gedient hätten. Hier jedoch drücken sie durch den geschickten Aufbau der Szene etwas durch und durch Tragisches aus. In der wohl intensivsten Sequenz, der unglücklichen Zusammenkunft zwischen dem Freak und einer Prostituierten, wird nicht zuletzt auch James Whales „Frankenstein“ Tribut gezollt. Das spielerische Missverständnis, mit dem die Kreatur hier Schaden anrichtet, entspringt derselben Art von Tragödie wie die berühmte Szene mit Frankenstein und dem kleinen Mädchen am See… und wird zugleich doch den grauenhaften Momenten der Erkenntnis gerecht, die sich im Schreiben Lovecrafts regelmäßig offenbaren.
Was Familie Reilly angeht, die natürlich einen weniger verständnisvollen Blick auf das Monster wirft als der Zuschauer, darf man sich vom Drehbuch zwar keine psychologischen Wundertaten erwarten. Ihre düstere Vergangenheit, die per Flashback auch kurz bebildert wird, sorgt aber für eine angemessen ernste Grundstimmung, die dem für Gordon typischen schwarzen Humor fast vollständig abschwört. Jessica Dollarhide wandelt als erblindete Tochter wie ein Mahnmal an die Fehler des Vaters durch die Kulisse. Ihre Blindheit sorgt zudem für geschickte Suspense-Spiele mit der Anwesenheit des ungebetenen Gastes, der dann auch bei einer Umarmung zwischen Mutter und Tochter direkt an der Türschwelle kauern kann, solange es nur die Tochter ist, die mit dem Gesicht dem Eingang zugewandt ist. Ein wenig muss man bei ihrer Ausstrahlung außerdem an die junge Jennifer Connelly denken, die in Dario Argentos „Phenomena“ ähnlich verloren durch die Gewölbe schlich.
Charles Bands Bruder Richard sorgt passend dazu immer wieder für ein schleifendes Crescendo aus Streichern, die wie Cellobögen über die Nerven des Zuschauers gezogen werden. Das Schloss im mittelitalienischen Giove überzeugt als Setting mit seinen kalten, nackten Fluren, die im Kontrast stehen zu den eher bürgerlich eingerichteten Gesellschaftsräumen und Schlafzimmern. Insbesondere da in der Umgebung einheimische Statisten und Schauspieler eingesetzt wurden, wirkt der Schauplatz wie ein dunkles schwarzes Loch mitten im „La Dolce Vita“ aus dem sonnigen Italien. Atmosphäre ist also reichlich vorhanden, gerade auch im von Blitz und Regen begleiteten Finale auf dem Dach.
Ein eher konventioneller Abschluss nichtsdestotrotz, der ein gewisses Gefühl der Zwiespältigkeit hinterlässt: Man ist sich nicht ganz einig darüber, wie gut „Castle Freak“ wirklich als Lovecraft-Adaption sowie als Genre-Werk funktioniert. Der Geist des Schriftstellers in allen Ehren – man fühlt eben auch, wie sich die Rädchen aus der Full-Moon-Fabrik in gewohnter Manier drehen. „Castle“ und „Freak“ sind in diesem Zusammenhang nichts als die primitiven Kernzutaten einer High-Concept-Strategie, mit der möglichst viele Videothekenjünger möglichst effizient eingefangen werden sollen. Dann aber merkt man doch die besondere Handschrift des Regisseurs, dem es gelingt, aus dem Kellermonster mehr zu machen als eine weitere gewissenlose Bestie. Die geplagte Seele macht er jedenfalls spürbar. Das reicht schon, um zumindest in den Dunstkreis Lovecrafts vorzustoßen.