Während die Pre-Title-Credits eingeblendet werden, mäandert im Hintergrund ein Strudel aus Farben träge vor sich hin. Das Blaue umschlingt einen roten Kern, als wolle es darin eindringen – spielerisch, sich langsam herantastend wie von kleinen Tentakeln bewegt. Kostbare Minuten entzieht dieses vermeintlich aussage- und inhaltslose Schauspiel dem Film, der mit knapp 80 Minuten ohnehin bemerkenswert kurz geraten ist. Im Verborgenen jedoch, da walten längst die Prozesse, die so vielen Erfahrungen im Umgang mit Lovecraft-Stoffen zu eigen sind. Im Unterbewusstsein wird man langsam in die Dimension der Fiktion gezerrt, und der Strudel entpuppt sich als ein primitives visuelles Werkzeug des Horrorfilms der 60er Jahre, um den Betrachter nicht etwa nur zu einer Geschichte einzuladen, sondern ihn zu einem Teil von ihr werden zu lassen.
Es stellt sich dann heraus: die hypnotische Kreisbewegung wird nie zum Stillstand kommen, zumindest so lange nicht, bis der Abspann vorbei ist. Als Muster bleibt sie an jeder Phase dieser freien Adaption der Lovecraft-Story „Die Farbe aus dem All“ haften. Eine sehr auffällige Überblende bereitet den Übergang vom Vorspann in den Hauptfilm; sie bildet sich in Kreisform und gleicht in ihrer Bewegung dem sich öffnenden Lid einer Kameralinse. Sie verstärkt den Sog-Effekt noch einmal, um gleich im ersten Bild auch noch die Ankunft eines Zuges zu zeigen, der endgültig die Welt der Realität von jener des Übernatürlichen abspaltet. Auftritt Nick Adams, der seinen auffälligen, khakifarbenen Trenchcoat trägt wie ein Ritter seine Rüstung in einem verwunschenen Wald. Er wird die Unfreundlichkeiten der Bewohner eines alten britischen Dorfes über sich ergehen lassen, viele schlecht ins Bild integrierte Matte Paintings passieren und obskuren Fallen im gespenstischen Gehölz ausweichen müssen, um zum Landhaus der Witleys vorzustoßen, in dem seine Verlobte auf ihn wartet. Und nicht nur die…
„Das Grauen auf Schloss Witley“ zeigt sich wenig zaghaft, wenn es darum geht, die ominösen Vorgänge rund um den von Boris Karloff gespielten Hausherrn mit verräterischen Omen zu belegen und den Mystery-Anteil damit in die Höhe zu schrauben. Daniel Haller zaubert allerhand Merkwürdigkeiten aus dem Hut, um die Geschehnisse möglichst rätselhaft wirken zu lassen; abgesehen von den Ereignissen vor der Ankunft, die den Strapazen eines Jonathan Harker vor dem Eintreffen in Draculas Schloss gleichen, strotzt das Gebäude vor merkwürdigen Requisiten, zu denen unter anderem zwei bizarre Portraits nach Karloffs Abbild gehören. Karloff, wie in vielen seiner Spätwerke im Rollstuhl unterwegs, hatte bereits zwei Jahre zuvor im Oakley Court gemeinsam mit Regisseur James Whale („Frankenstein“) die Horrorkomödie „The Old Dark House“ dort gedreht, und man könnte beinahe meinen, er sei längst ebenso Teil der Ausstattung wie all die Bücher, der Whisky und der Tinnef, der dem Szenenbild Charakter verleiht.
Um dem Geheimnis des Hauses Witley auf die Spur zu kommen, verhält sich unser Mann im Trenchcoat gemäß des Archetyps, auf dem er basiert: Seine Verlobte an der Hand führend, streift er von einem Raum in den nächsten, stets auf der Suche nach Hinweisen, um ein Rätsel zu lösen, das den Weg zu einem noch größeren Rätsel freigibt. An einer Aufdeckung der Geschehnisse ist er im Grunde nicht interessiert, er sucht lediglich nach einem Ausgang aus dem Irrenhaus, in dessen Innerstes, wie so oft, die Liebe geführt hat. Doch die Innereien erweisen sich als äußerst verknotet und so kommt es zum wiederholten Male zu einer unendlichen Wanderung von Raum zu Raum, zur Konfrontation mit Sackgassen, zur Rückkehr und hermeneutischen Neueinschätzung der Situation, bis der Fluch und mit ihm das undefinierte Böse endlich besiegt ist.
So gesehen handelt es sich um einen typischen Horrorfilm jener Zeit, der Kulissen beinah wie begehbares Stock Footage verwendet, das sich verschiedene Produktionen untereinander teilen; die Art, wie beispielsweise der Keller eingerichtet und ausgeleuchtet ist, erinnert doch sehr an die Ausstattung der schwarzen Messe, die drei Jahre später in „Die Hexe des Grafen Dracula“ abgehalten wurde – ebenfalls mit Karloff, ebenfalls basierend auf einer Lovecraft-Erzählung und gedreht nur eine gute halbe Autostunde entfernt.
Schmücken kann sich die altmodische, zum Teil auch altbackene Produktion aber zumindest mit Lovecrafts Federn, die dem trägen Aufbau ein paar überraschende Momente schenken. Dem Landhaus gehört nämlich weiterhin ein Treibhaus an, dessen Pflanzen sich verselbstständigen. Mit ihrem vor Chlorophyll triefenden Grün und ihren organischen Verwachsungen bilden sie perfektes Lovecraft-Material, auch wenn in diesem Fall rein tricktechnisch betrachtet kaum mehr geschieht, als dass sich mal ein paar Lianen um die Beine von Susan Witley schlingen. Giesen und Naumann verweisen in ihrem Audiokommentar dennoch zu Recht auf den 1963 entstandenen SciFi-B-Klassiker „Blumen des Schreckens“ und eine spezielle Sequenz aus Carpenters „Die Mächte des Wahnsinns“ (vielleicht immer noch die Lovecraft-Adaption mit der höchsten Immersion), zu ergänzen vielleicht um „Little Shop Of Horrors“ (1960 / 1986) oder Science-Fiction-Filme wie „Lautlos im Weltraum“ (1972) und „Il Pianeta degli uomini spenti“ (1961). Doch ein paar drastische Spezialeffekte hat auch „Das Grauen auf Schloss Witley“ zu bieten. So zerfällt einer Frau unter Einfluss des Kometen das Gesicht und eine Art verschmolzene, undefinierbare Kreatur in einem Käfig macht dann die ganze Bandbreite des Einflusses des Gesteins aus dem All deutlich. Auch Karloffs Figur bekommt noch einen spektakulären Auftritt. Aus seiner Gebundenheit an den Rollstuhl könnte man schließen, dass er wie in so vielen seiner Spätwerke nur aufgrund seines großen Namens noch in einer so großen Rolle zugegen sein durfte, doch Haller nutzt die Passivität seines Altstars für einen effektiven Überraschungseffekt.
Man sollte wohl eher von gepflegtem Grusel sprechen als von echtem Grauen, um zu beschreiben, was sich auf Schloss Witley abspielt. Über naive Tricks darf geschmunzelt werden, manch zäher Abschnitt im Mittelteil vielleicht auch mal mit einem Gähnen quittiert. Nick Adams in der Hauptrolle absolviert seine Aufräumaktion zugeknöpft und weitgehend humorlos, was mit der regelmäßig entgleisenden Visage des körperlich längst versteinerten, mimisch jedoch immer noch engagierten Karloff einen hübschen Kontrast ergibt. Für die notwendigen Farbtupfer sorgt dann eben die Vorlage, die sich in der elliptischen Merry-Go-Round-Erzählweise ebenso niederlegt wie in die Taktik, krude Effekte zur Auflösung mysteriöser Andeutungen anzubieten. Das ergibt 66,6% „old-fashioned Victorian Gothic Horror“, 33,3% „Lovecraftian Cosmic Horror“… und ein reinigendes Feuerchen zur wonnigen Aufwärmung der „The End“-Einblendung.