Review

Die größte Lüge kam schon im Trailer, nur konnte es zu diesem Zeitpunkt niemand wissen.
„Es endet heute Nacht!“ erklang es dort in Richtung der Zuschauer und die hatten alle darauf gewartet.
Gewartet, seit 1999 die Wachowskis mit „The Matrix“ den finalen Kampf der Menschen gegen die Maschinen auf die Leinwand bannten oder zumindest das erste Kapitel.
„The Matrix Revolutions“ sollte das letzte, das endgültige, das finale Kapitel werden, was ein für allemal das Thema abschließt.
Doch vier Jahre sind eine lange Zeit...
...oder sollte man besser sagen, selbst sechs Monate können eine Ewigkeit sein...?

Aber gehen wir zunächst noch einmal in der Zeit zurück.
Mit „The Matrix“ schufen die Wachowskis eine ungemein reizvolle und unterhaltsame Zukunftsvision, erschufen eine Scheinrealität, bauten das Duell Rebellen gegen Maschinen auf, präsentierten mit Neo eine besonders begabte Figur und verhießen zum Schluß, daß von nun an alles anders würde.

Knapp vier Jahre später baute „The Matrix Reloaded“ diesen Mythos nach außen aus, präsentierte philosophische Ansätze zuhauf, visualisierte die Welt um die Matrix herum und einige Menschen in ihr, schuf eine Extremsituation mit dem Angriff der Maschinen auf die Zuflucht Zion und machte aus dem Begabten Neo zunächst eine Erlöserfigur, um sie später wieder zu einer Programmanomalie zu reduzieren, die in den ewig ablaufenden Konfliktprozeß eingriff, um den weiteren Verlauf der Handlung unberechenbar für alle Seiten zu machen, Cliffhanger inclusive.

„Reloaded“ hatte dabei das Problem, seine inhaltliche Problematik dank ihrer Komplexität separat zu den herausragenden Actionsequenzen präsentieren zu müssen und geriet so etwas holprig, der latente Actionoverkill neben breitgewalzten Dialogsequenzen.
Dennoch schürte der zweite Teil nicht nur die Erwartungshaltung, sondern bot auch massiv Raum für Spekulationen über den Fortgang und die eigentliche Realität der Geschichte, eine Art indirektes Versprechen, das der 3.Teil einzulösen hatte.

Betrachten wir den 3.Teil jedoch nun, so wird man in dieser Hinsicht negativ überrascht.
Während „Reloaded“ Bilder und Geschichte bisweilen stark gegeneinander absetzte, scheint „Revolutions“ doch eher auf Erzählungen zu verzichten und seine Bilder für sich sprechen zu lassen. Dabei wird der zuvor mit einem Übermaß an Theorien versorgte Zuschauer plötzlich allein im Regen stehengelassen, indem er den letzten Teil praktisch inhaltlich selbst entschlüsseln muß.
Dabei sind zwar schon diverse Theorien in Reviews schlüssig dargeboten worden, aber es ist die Frage, ob ein Film, der über seine Bilder spricht, nicht dementsprechend leicht entschlüsselbar sein sollte und zwar für ein breites Publikum und nicht ausschließlich für eine begeisterte Minderheit. In diesem Fall muß der geneigte Zuschauer zu Mutmaßungen greifen, um das, was geschieht, halbwegs einordnen zu können – eine Friß-oder-stirb-Haltung der Macher gegenüber dem Publikum.

Darüber hinaus jedoch (es wird noch darauf eingegangen werden) bricht „Revolutions“ mit den Elementen und Qualitäten der vorigen Matrix-Filme derart beständig, als hätte den letzten Film eine dritte Person geschrieben und inszeniert und nicht das gleiche Brüderpaar.

Widmen wir uns also den wesentlichen Brüchen:
Zunächst einmal kehrt „Revolutions“ den durch den Titel vorgegebenen Konflikt vollends nach außen, indem die Matrix an sich kaum noch eine Rolle spielt.
Natürlich gibt es noch Szenen, die dort spielen und wie sich im Verlauf des Films herausstellen soll, kommt von dort auch der wesentliche Antrieb für die Lösung des Konflikts, aber grundsätzlich ist sie zu vernachlässigen, da der eigentliche Kampf in der bekannten Realität ausgetragen wird.

Da wirkt es doppelt irritierend, daß der ultimative, schon mit dem ersten Film eingeführte Konflikt von Mensch gegen Maschine dramaturgisch in den Hintergrund tritt. Natürlich ist inszenatorisch immer noch die Hölle los, aber erzählerisch gerät der Konflikt zu von Programmen eingefädelten Spielchen, um einen gewissen Status Quo zu wahren und die eigene Existenz zu sichern.
Damit löst sich die Abgeschlossenheit der Trilogie auch gleichzeitig in Luft auf. Denn das was uns letztendlich hier präsentiert wird, ist keine Lösung des Konflikts, der nur durch die Vernichtung einer Konfliktpartei beigelegt werden könnte, sondern ein simples Patt.

Neo schafft dieses Patt mittels eines Handels, in dessen Verlauf er eine Bedrohung für die Maschinen eliminiert, sein negatives Gegenstück Agent Smith.
Doch was uns hier als eine Art hoffnungsvolles Finale präsentiert wird, ist im Grunde haltlos und löchrig, wie ein schmieriger Kompromiss. Denn was sollte die Maschinen davon abhalten, den Waffenstillstand einzuhalten, das Versprechen einfach zu brechen, die Menschen zu vernichten. Die wiederum würden sich sicher auch nicht damit begnügen, keine weiteren Menschen aus den Türmen zu befreien.
Gewissen und Ehre oder ein Verständnis dafür wird hier zwar den Programmen untergeschoben (wenn das auch ein zentraler Angriffspunkt für Logiker ist), aber Maschinen sollten da noch pragmatisch und logisch handeln.
Und auch der Titel des Films entlarvt sich somit selbst als Lüge, denn ohne Systemsturz kann es keine Revolution gegeben haben. Niemand steht hier wirklich auf, es gibt keine wirklichen Sieger.

Unlogisch erscheint auch das Opfern jedweden erzählerischen Potentials, daß „Reloaded“ so mühevoll und vielgescholten aufgebaut hat. Die Möglichkeit einer mehrfachen Realität, der Zusammenbruch der Matrix, das Einwirken Neos auf die Systeme – alles weicht einer flächendeckenden Simplifizierung, die den Film erzählerisch erschreckend berechenbar macht.

Neo Erhöhung und Erniedrigung weicht schnellstens dem Prinzip der notwendigen Selbstaufopferung und Stigmatisierung als Märtyrer. Erklärungsversuche und Theorien über seine Kräfte weichen der simplen Tatsache, daß er sie hat und sie einsetzen kann. Neo ist der Erlöser und damit muß es gut sein, eine stilisierte Jesus-Figur, wie sie platter nicht sein kann und damit geradezu unerträglich direkt im Vergleich zum spielerischen Umgang mit philosophischen und religiösen Vorbildern.

Natürlich erleichtert dies die Einfassung des letzten Teils als einen gigantischen Showdown.
Und so einfach, dumm und simpel geschieht es dann auch: erzählerische Schärfe tauscht ihren Platz mit einer vorhersehbaren, überladenen und noch dazu angekündigt irrealen Materialschlacht um die Stadt Zion, ein grenzenloses Geballer und Effektfeuerwerk, dessen 40-Millionen-Budget die Macher wohl selbst mehr erregt hat, als dem durchaus nicht nur an Action interessierten Zuseher eine raffinierte und unerwartete Auflösung vorzulegen.
Natürlich kann man sich an den Dimensionen des Fights ergötzen, doch gerade weil er wie eine pc-generierte Schlacht aussieht, raubt er der Matrix-Idee, nämlich eine perfekte künstliche Realität nachzubilden, komplett die Grundlage. Die Matrix sieht echt aus, die echte Realität wird künstlich erzeugt und sieht danach aus – die Realitäten sind auf den Kopf gestellt.

Gleichzeitig mit dem erzählerischen Potential verkommen so auch die Dialoge, die sich hier allerdings eh nur noch als Monologe manifestieren. Was gesprochen wird, klingt so sinnentleert banal, daß das Gelächter im Publikum kaum unterdrückt werden konnte. Ein paar ruppige One-Liner ergänzen diese schmach- und schmachtvollen Nullzonen – was zuvor scheinintellektuell rüberkommen sollte, gerät hier zur redundanten Lächerlichkeit.
Gegen Ende versagen selbst den Figuren vor Einfallslosigkeit die Worte, wenn der Handel zwischen Neo und Maschinen einzig in den Antworten der Maschinen echot und der finale Kniff in Wortlosigkeit, aber dafür in umso plakativeren Effekten untergeht.

Damit versanden auch die Nebenfiguren ins Nichts.
Trinity erscheint beinahe als die letzte Versuchung Christi, die mit ihrem Ableben sogar noch vorwegnimmt, daß auch der Protagonist den finalen Teil nicht überleben wird, denn die Basis seiner (halb-)menschlichen Existenz wurde ihm durch den Tod seiner Liebe entzogen.
Morpheus gerät zum staunenden Beifahrer, der sorgfältig aufgebaute Rat von Zion zum kurzfristigen Stichwortgeber. Der Merowinger und Persephone erscheinen in einer dramaturgisch sinnfreien Sequenz zu Beginn, stattdessen können sich unwichtige Nebenfiguren wie Niobe oder Mauser als „next generation“ profilieren.

Wie nachlässig wirklich gearbeitet wurde, wird offensichtlich in den Schlußszenen, in denen die überlebenden Menschen mit dem Jubelschrei Mausers ausgeblendet werden, ihr weiteres Schicksal uninteressant geworden ist, obwohl gerade die persönlichen Bindungen, die uns die Filme suggeriert haben, nach einem Abschluß schreien. Nicht einmal einen Gedanken darf Morpheus noch an Neo verschwenden, stattdessen ein obsoleter Clou in der Matrix mit Orakel und Architekt, während ein Sonnenaufgang alle Sorgen vertreibt. Fehlt nur noch Mary Poppins.

Als besonders traurig muß auch bewertet werden, daß die Nemesis Agent Smith zum simplen Bad Guy stilisiert wird, dessen selbstzerstörerische Machtübergriffe in endlosen Monologen münden, die klingen als würde ein Legastheniker Lautschrift lesen.
Als Highlight wird da noch der Fight zwischen Neo und Smith verkauft, der das letzte Fünftel des Films einnimmt, aber schon darunter leidet, daß das Überraschungspotential Langeweile gewichen ist. Denn „Revolutions“ wirkt so routiniert runtergekurbelt, ganz offensichtlich auf Bombast ausgerichtet und ist so vorhersehbar geworden, daß man nicht einmal mehr mitfiebern will, auf welche Weise Neo den Bösen denn nun schafft. Passend zu dieser Leidenschaftslosigkeit (der Reiz der ersten beiden Filme bestand darin, eben auch Kleinigkeiten wie eine einzelne Kugel oder schnelle Bewegungen zu Highlights zu machen), wird die Lösung dann auch nicht weiter erklärt, sondern einfach nur gezeigt – nur daß die Bilder nicht für sich sprechen.

Gut gedreht ist die Sequenz schon, die an Superheldenstreifen erinnert, allein die Regeneffekte sind überaus gelungen, doch mahnt einen beim nunmehr xten Fight an, daß man das alles schon gesehen hat und man doch nun endlich zum Ende kommen sollte.
Das liegt auch an der Erlöserrolle Neos, zu dem die Zuschauer dank seiner nunmehr abgehobenen Fremdheit (blind, dennoch sehend, mit ungewöhnlichen Kräften und opferbereit bis ins letzte Glied) jetzt die Verbindung verloren haben.
Was das dramatische Zentrum sein sollte, gerät zu emotionslosen Materialübung.

Da fallen dann kleinere Mängel kaum noch gegen auf: etwa die Frage, wie Neo in seinem wohl selbstinduzierten Koma in die Gewalt des Merowingers fallen konnte, was der wieder mit den Augen des Orakels wollte und wieso seine beiden besten Killer auf einmal einfach nicht da sind. Eine verschwendeten erste Viertelstunde, angereichert mit einer faden Reprise von einem Waffen-Akrobatikkampf, viel zu viel dante-eskem SM-Kitsch und einer monotonen Erklärungslitanei von besorgten Programmen in Form einer indischen Familie.

Trotzdem werden Effektfreunde sich selig sulen in dem hochgeputschten Dauergeballer, dessen gemilderte Version leider schon vor fast 20 Jahren wesentlich spannender (inclusive Kampf/Verladeroboterdesign) durch James Cameron inszeniert wurde. Der Film hieß „Aliens-Die Rückkehr“ und bot mehr Tiefe. Natürlich klotzen die Wachowskis gewaltig, aber die Parallelen in dem seelenlosen Geballer drängen sich leider auf, wie die Stimme der Maschinen halt an das Finale von „Tron“ erinnert und uns ein Blick auf das Zentrum der Maschinenstadt wohl präventiv verwehrt wird.

Der Glaube an eine brauchbare Abrundung der Trilogie ist allein durch das zweifelhafte Happy-End gegeben und durch die Tatsache, daß das Ableben der zentralen Charaktere wie ein Abschluß wirkt. Natürlich kann man sich Subtilität einbilden, wo keine ist – Tatsache ist jedoch (und eine traurige dazu), daß die Wachowskis sich in erzählerische Mutlosigkeit geflüchtet, den Worten keine Taten haben folgen lassen und, was der eigentliche Wortbruch wäre, die Tür für etwaige Fortsetzungen (von wem auch immer) sperrangelweit offen gelassen haben.

„Matrix Revolutions“ ist einfach nicht der Film, den wir uns nach Teil 1 erhofft und der uns in Teil 2 versprochen wurde, stattdessen haben die Wachowskis nun einen schweren Makel auf ihrem ehedem innovativ weißen Gewand, einen fiesen Brandfleck aus der Hölle der nicht eingelösten Versprechungen.

Es ist kein schlechter Film an sich, aber gemessen am Trilogie-Kontext und an der Balance zwischen Aufbau und Auflösung eine Katastrophe. Ein weiterer seelenloser Blockbuster, den man erfahren kann, ja muß, um keine offenen Ende zu behalten, der aber nur weitere Fragen produziert; neben dem im Film ein weiteres Patt zwischen Originalität und Kommerz.

Arm geworden sind wir daran alle: die Macher an Kreativität, wir an Zufriedenheit und diejenigen, die sich mit dem Ergebnis begnügen oder es gar bejubeln an Anspruch und Geschmack. Aber wie zeigt schon der Film: es gibt keine Gewinner. Damit müssen wir uns bescheiden. (4/10)

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