ACHTUNG: ENTHÄLT SPOILER
Nach der schwachbrüstigen Story des zweiten Teils hoffte ich, dass sich der dritte und abschließende Teil wieder etwas mehr auf den eigentlichen Kern der Geschichte konzentriert. Glücklicherweise tat er dies tatsächlich auch, obwohl für den Interessierten nicht unbedingt etwas wirklich Neues präsentiert wird. (Dass Agent Smith Neos Negativcharakter ist, und also ein Teil seiner "dunklen" Persönlichkeit, wurde bereits im zweiten Teil von Smith selbst vor der Massenprügelei auf dem Spielplatz angesprochen.) Der Tod von Gloria Foster (dem "Orakel") nach dem zweiten Teil und der damit verbundenen Neubesetzung der Rolle durch eine andere Schauspielerin, wurde logisch in die Story eingebaut und im Film durch eine "Änderung ihrer Programmdaten" erklärt:-)
Was die Action betrifft, fand ich allerdings den zweiten Teil (besonders den "Freeway"-Teil, wenn auch insgesamt etwas zu lang) interessanter, da die Endschlacht ein ewiges Geballer ist. Doch dies ist natürlich Geschmackssache. Die "Bullettime" hingegen kommt im dritten Teil recht sparsam zum Einsatz, nachdem sie im zweiten fast zu oft bemüht wurde. Zu Beginn in der Discoschießerei (dabei fällt mir auf, dass eigentlich jeder Teil mit einem "Discobesuch" oder zumindest "Kriegstanz" begann), und bei Neos Endkampf mit Agent Smith. Dazwischen gibt es die riesige Schlacht mit den Maschinen um die Verteidigung Zions ohne Bullettime. Fiel mir zumindest nicht auf.
Die Charaktere selbst bleiben allerdings eben so flach wie im zweiten Teil. Der Film enthält - vor allem zu Beginn - einige längere, zum Teil recht trockene und wortlastige Dialogszenen über Liebe, Schicksal (Karma), Glaube, Hoffnung, sowie Verlust und Schmerz. Auch gegen Ende werden die Themen noch einmal in einer qualvoll langen Sterbeszene aufgegriffen. Anstatt dass dort nun zügig gestorben wird, röchelt Trinity ein mehrminütiges Traktat über Liebe und geschenktes Leben - unterdessen ist der Kampf um Zion noch in vollem Gange! - und der Film schrammt hier nur haarscharf am Kitsch vorbei. Allerdings basiert der gesamte Film, wenn nicht die gesamte Trilogie, auf diesen fundamentalen menschlichen Begrifflichkeiten, die, wie Neo anfangs des Films überrascht zur Kenntnis nehmen muss, mittlerweile auch von den Programmen und Maschinen übernommen wurde. Der kühl kalkulierende Logarithmus des "Merowingers" ist freilich gegen solch menschliche Anwandlungen immun, und fabuliert trocken zynisch, wie wenige Stunden zuvor im zweiten Teil nun auch wieder über das Prinzip der Kausalität. Irgendwie mag ich den Typ mittlerweile! Und Monica Bellucci darf, damit sie als hübsche Staffage auffällt, immerhin auch noch zwei drei (unwichtige) Sätze äußern.
Einer möglichen weiteren Fortsetzung wird vom "Orakel" mit dem Hinweis das Tor geöffnet, dass er (der "Architekt") eventuell noch von Neo hören wird. Doch das sonnenüberflutete Schlussbild ist Kitsch pur, lässt sich jedoch auf Sati, das indische Kind schieben, welches dieses "Sonnenaufgangsprogramm" geschrieben hat. Wer indische Bollywood-Dailysoaps kennt, weiß, dass diese nun mal so bonbonfarben sind. (Mich erinnerte das Bild an diese unsäglichen Zeichnungen von fröhlich-glücklichen Menschen in den religiösen Erbauungsheften so mancher Sekten.)
Und weil wir bereits beim Erlösen sind: Zum heilsgeschichtlichen Ende bricht sich dann das Christentum mit dem "blinden Messias" Bahn. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, liegt der bewusstlose oder tote Neo, so ganz wurde mir dies nicht klar, in seiner letzten Einstellung sogar mit gespreizten Armen, wie der Gekreuzigte, auf dem ihn in die Maschinenstadt bringenden Hovercraft. Irgendwie erinnerte mich die Szene frappant an die altgriechische Vorstellung vom Fährmann Charon, der auf seiner Barke die frisch Verstorbenen über die Lethe (den Unterweltsfluß des Vergessens) von der Welt der Lebenden in die Welt der Toten brachte.
Versuche ich eine philosophische Linie in die Charaktere zu bringen, so steht das "Orakel" für das Prinzip der Unordnung, der "Architekt" für das der Ordnung. Ihre Beziehung ließe sich auch als "Yin und Yang" verstehen, die sich gegenseitig bedingen. Das indische Mädchen Sati symbolisiert die Hoffnung, und Seraph bildet ein dazwischen ruhendes Neutrum.
Wenn Agent Smith, der nun selbst zum sich millionenfach vermehrten Virus mutierte - was er im ersten Teil noch der menschlichen Rasse vorwirft - alles was ihm nützlich scheint sich einverleibt (Zitat, zweiter Teil: "Mehr!"), also auch das Orakel, um damit dessen hellseherische Fähigkeiten zu bekommen, übernimmt er jedoch auch dessen Prinzip der Unordnung, des Unvorhersehbaren, so paradox dies auch für ein Orakel erscheinen mag. Er verliert damit zum ersten Mal die Kontrolle über sein sich selbst reproduzierendes Programm. Denn das Orakel ist nun nicht "nur" ein Teil von ihm, sondern er auch ein Teil des Orakels. Eine Wechselwirkung entsteht; oder um mit dem "Merowinger" zu sprechen: "Ursache und Wirkung". Durch dieses Trojanische Pferd bringt Smith sich unbeabsichtigt selbst eine Achillesferse bei.
Neo vermag das millionenfache Heer von Agent Smiths (die irgendwie an die "Grauen Herren" aus Michael Endes "Momo" erinnern) nur durch eine Kettenreaktion innerhalb der Matrix zu "löschen", indem er sich selbst aus-"löscht", da Smith auch Teil von Neo geworden ist. Daher weißt das Orakel auch ständig auf das "Erkenne dich selbst!" hin, was aus der griechischen Philosophie übersetzt bedeutet: "Mensch, erkenne Deine Endlichkeit! Erkenne, dass Du KEIN Gott bist!" Eine Tatsache, auf die im zweiten Teil beim Schwertkampf, als Neo blutet, vom Merowinger explizit hingewiesen wird: "Seht ihr? Er ist nur ein Mensch!"
Manche als Ungereimtheiten empfundene Handlungselemente sind bei näherem Hinsehen durchaus logisch begründet. Z.B. dass Agent Smith von der Matrix nun in die reale Welt wechseln kann. Im zweiten Teil gibt es dazu die kurze Szene, in welcher zwei Agenten durch die Telefonkabel von der Matrix in die "reale" Welt wechseln möchten, jedoch gelingt dies nur einem. Banes "Restselbstbild" hingegen wird von Agent Smith aufgesogen, und dieser wechselt dann über die Telefonverbindung in den Körper des realen Bane am anderen Ende der Leitung in die reale Welt.
Oder, dass wenn die Maschinen alle Menschen in die Freiheit entlassen, sie sich ihrer Energiequellen berauben. Dabei wird vergessen, dass die Menschen nur eine Sekundärlösung der Maschinen darstellten, nachdem diese ihnen ihre eigentliche Energiequelle, die Sonne, verdunkelten. Oder dass Neo "blind" in der Realwelt die Matrix(-Wesen) sehen kann, aber die unmittelbar vor ihm liegende Trinity nicht sieht, geschweige denn, dass diese von Eisenstäben durchbohrt wurde. Wie bereits erwähnt, ging ein Teil von Agent Smith auf Neo über und somit auch die Fähigkeit diesen Teil der Matrix zu erkennen, oder sich in ihr zu bewegen, wenn er gar nicht "offiziell" Online ist. Deshalb sieht er auch nach seiner Blendung, bei Kampf mit dem von Agent Smith übernommenen Bane, ersteren und nicht mehr Bane.
Zuletzt sei noch bemerkt, dass leider keine der beiden Fortsetzungen, welche man eigentlich als einen einzigen Film sehen muss/sollte, wirklich an den genialen, philosophisch-doppelbödigen
ersten Teil heranreicht.
05.11.2003 WE