Obwohl eigentlich nur die zweite Hälfte eines überlangen Films, wurde von MATRIX REVOLUTIONS vieles erwartet: Er sollte eigenständig, dramaturgisch straffer sein als sein vage dahin schwurbelnder Vorgänger, tricktechnisch noch einen draufsetzen, und vor allem Antworten auf alle offenen Fragen liefern. Fragen zu einer Geschichte, die schon immer mehr andeutete als erklärte. „Reloaded“ war in den Augen vieler Zuschauer nur eine aufgespoilerte Fassung des Originals, „Revolutions“ hatte es jetzt zu richten, aber, ach, die Gesichter wurden noch länger und das Thema „Matrix“ schnell wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein gelöscht.
Stand die Revolution von Anfang an auf verlorenem Posten? Konnte der Film überhaupt noch etwas reißen, nachdem „Reloaded“ quasi öffentlich zerfetzt wurde?
Er gibt sich zumindest Mühe, denn es wird einiges anders angegangen. Ob nun zum Besseren oder Schlechteren, darf jeder für sich selbst entscheiden.
Sicher, auch hier warten wieder hübsche Szenen auf den geneigten Zuschauer. Trinity steigt für ihren Orpheus Neo in die Unterwelt hinab (Club Hell), und darf am Ende sogar in eine dermaßen schöne Sonne blicken, dass Plato die Tränen kommen würden. Die Wachowskis haben ihr Spiel mit Klassikern nicht verlernt, aber der Druck ihrer eigenen Handlung nimmt diesen Szenen nun den gewissen Reiz. Smells like Pflichterfüllung.
Desweiteren spart man sich jetzt den Einsatz der Bullet-Time, was alle erfreute, die den Kampf zwischen Neo und hundert Smiths noch nicht verdaut hatten. Ein knackiges Feuergefecht mit einer Handvoll Gecko-Türsteher, das ist es erstmal. Um solche Spielereien soll es sich nicht mehr drehen. Zügig werden alle Schachfiguren an ihren Platz manövriert, damit die Chose zu einem Ende gebracht werden kann. Neo ist frei von jedem Zweifel, bar jeglicher Illusion, er benötigt seine Augen nicht mehr (das wird uns im Laufe des Films noch plakativ nahegelegt) er kennt nun seinen Weg, und damit wird sein Mentor Morpheus endgültig überflüssig. Nicht mal mehr dicke Reden schwingen darf er. Schon traurig. Aber notwendig. Neo zieht quasi von zu Hause aus, er ist jetzt fast erwachsen. Das Staunen des ersten Teils, das Hadern des zweiten Teils, sie sind abgehakt. Alle Lässigkeit ist von der Geschichte abgefallen, jetzt geht es nur noch um grimmige Konsequenz. Der Ton ist rau, die Kluft zum Original gewaltig, das wird erst jetzt klar.
Zeichnete „Reloaded“ sich durch eine allgegenwärtige Künstlichkeit aus (insbesondere während der Hinterhof-Prügelei), so wird jetzt auf der Realismus-Schiene gefahren, soweit das möglich ist. Schwereloses Kung Fu ade, jetzt kommt der Kriegsfilm. Der Übergang zwischen Träumerei und Tat kennzeichnet also auch die Bilder des Films.
Und das bringt uns ja auch gleich zum Filetstück des Films, der Schlacht um Zion.
Im Voraus schon als teuerste Kampfsequenz der Filmgeschichte angepriesen (und so etwas ist ja eine qualitative Aussage, das weiß man ja), bekommt man hier knapp 17 Minuten furiosesten Blechschaden geliefert, der gleichzeitig zum Schleifstein für die dankbar gezückten Messer der Kritiker wurde, die der Trilogie nun endlich den Todesstoß verpassen konnten. Da hatte man es, seelenloses Videospiel-Kino in Reinform, das Eingeständnis der Wachowskis, doch nicht so genial zu sein. Hier ließ man jede Form von Intellekt hinter sich, das reine Spektakel regierte und das Prinzip „Aktschnfuim“ übernahm.
Doch man macht es sich sehr einfach, diese Sequenz einfach abzutun, denn ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie dramaturgisch unumgänglich war (in meiner „Reloaded“-Kritik erwähnte ich schon die Parallele zum Western – hier haben wir ihn nun, den Kampf ums Fort), zeigt sie doch in aller Schärfe den Standpunkt der Wachowskis auf: Dieser Kreislauf der Gewalt muss durchbrochen werden. Wer in die verzerrten Fratzen der Menschen blickt, die hier die Maschinengewehre glühen lassen, und sich gleichzeitig die Programm-Eltern aus der U-Bahn ins Gedächtnis ruft, die über Liebe redeten, versteht die Mission unseres Helden. Gut und Böse kann es hier nicht geben. Weder ein Sieg der Menschen noch ein Sieg der Maschinen kann die Lösung sein. Das ist eine enorme inhaltliche Reifung, wenn man sich an die schwarz/weiß-Malerei des Originals erinnert. Man stelle sich nur einmal vor, Zion trüge den Sieg davon und verteile massenhaft rote Pillen. Wären alle Erweckten dankbar? Gäbe es dann eine Endlos-Loveparade? Natürlich nicht. Cypher war bestimmt kein Einzelfall. Nein, es muss einen dritten, neuen Weg geben. Neo, walte deines Namens. Wenn diese Schlachtsequenz also abstumpft, dann im Sinne der Geschichte.
Ganz abgesehen davon ist die Szene rechtschaffen spektakulär und dürfte jedem Anime-Fan gefallen, der solche Maschinenschlachten schon aus Japan gewöhnt ist, und diese nun auch in Realfilmen bestaunen darf. Hier präsentiert sich der Film noch mal als Actionvehikel gehobener Machart. Wenn auch eines mit ungewöhnlichen Ecken und Kanten.
Denn die gegen Ende von „Reloaded“ betriebene Vermischung der Welten setzt sich weiter fort: Dass Neo die Wächter-Einheiten in der „realen“ Welt stoppen konnte, sollte einen nun überhaupt nicht wundern, waren wir doch schon zuvor Zeuge von Agent Smiths Reise durch die Telefonleitung in einen realen Körper. Hä? Naja, mit ihm darf sich Neo jetzt herumschlagen, und der Zuschauer ahnt, dass die Illusion des Daseins weiter reicht als angenommen. Das wäre dann ja wieder ganz im Sinne des Buddhismus. Nur wer den Kreislauf durchbricht, der streift jegliche Illusion ab. Da hat Neo ja die besten Karten.
Da der Film diese Tatsache auch nicht weiter kommentiert (noch ein Grund für die bösen Kritiken), macht ihn das zwar zu einem gefundenen intellektuellen Fressen (welcher Blockbuster wagt es schon, dermaßen assoziativ zu erzählen?), aber der Publikumswirksamkeit tut das nicht gut. Da war, ich werde nicht müde es zu erwähnen, der erste Teil wesentlich raffinierter. Aber der hatte ja auch noch nicht soviel zu erklären und zu verknüpfen. Damals hat sich Neo schon entschieden. Jetzt muss die Entscheidung herbeigeführt und erklärt werden.
Es kommt also, wie es kommen muss: Neo, unser Heiland, hält für uns die Wange hin (nicht, ohne vorher Smith ordentlich eins auf selbige zu geben). Er verzichtet auf die Gewalt, er opfert sich für uns und beendet sein Dasein in gekreuzigter Pose über der Maschinenstadt. Ein Waffenstillstand folgt, und die Menschen erhalten das Geschenk der freien Entscheidung. Matrix oder nicht Matrix, das ist jetzt die Frage. Bei soviel Aufopferung kann der Architekt nur staunen, wenn er unter dem wasserfarbenen Digitalfirmament flaniert. Friede, Freude, Pustekuchen. Der Film gönnt uns ein Happy-End, das in seiner zuckersüßen Machart schon wieder skeptisch stimmt. Das war´s? Die Geschichte hat nie ihre märchenhafte Herkunft verleugnet (allein der belebende Kuss von Trinity im ersten Teil samt ich-liebe-dich-also-bist-du-nicht-tot-Gerede war ja schon hart am Limit), und dass die Wachowskis diese märchenhafte Konstruktion bis zum Schluss beibehielten und zu ihr standen, hat viele Fans verärgert. Hier rächt sich die Art der Filme, sich immer schlauer als das Publikum zu geben. Denn als es dann zur Auflösung kommt, kann der Film nur diejenigen enttäuschen, die sich so ihre Gedanken gemacht haben. Ob der Film aber größeren Anklang gefunden hätte, wenn er gegen Ende komplett vage geblieben wäre, darf aber auch bezweifelt werden. Schwierig, schwierig.
Was bleibt uns also von der Matrix-Trilogie? Ein zitatenreiches, heute immer noch sehenswertes Original, das sich geschickt bei allem bedient, was unsere Kultur so hergibt. Und zwei ordentliche, aber dem grenzenlosen Hype nicht gewachsene Fortsetzungen, die es allemal wert sind, mit ein paar guten Freunden ausgiebigst diskutiert zu werden, der Reputation ihres Vorgängers aber eine kräftige Delle in den Lack geschlagen haben. Auch die Wachowskis haben nur mit Wasser gekocht. Seid ihr jetzt zufrieden, ihr Kritiker? Ja, die Trilogie hat sich letztendlich selbst entzaubert. Aber damit hat sie auch eine Geschichte über das Erwachsenwerden erzählt, mit aller einhergehenden Mühsal von Verantwortung und Wahrnehmung, von Ernüchterung und Selbstfindung. Dieser Prozess ist nie einfach, und dies zu illustrieren ist den Filmen vorzüglich gelungen.
Welcome to the desert of the real.