Miranda Grey (Halle Berry) ist eine rationale, vernünftige Psychologin in einer Nervenheilanstalt, in der sie jeden Tag gewissenhaft ihren Job erledigt. Ebenfalls dort an der Arbeit ist ihr Mann Doug (Charles S. Dutton) und Kollege Pete Graham (Robert Downey Jr). In einer Nacht macht sich Miranda mit dem Auto auf den Heimweg von der Arbeit. Einem verstörten Mädchen, das auf der Straße steht, kann sie dabei gerade noch ausweichen, doch das Auto landet im Straßengraben. Miranda nähert sich dem Kind, um zu sehen, ob mit ihm alles in Ordnung ist, doch das geht plötzlich mit ihr in Flammen auf. Als die Psychologin drei Tage später aus ihrer Ohnmacht erwacht, ist sie selbst Patientin der Heilanstalt, weil sie angeblich im Wahn ihren Mann ermordet haben soll. Und seit dem Autounfall sieht Miranda Visionen des kleinen Mädchens, das ihr anscheinend Hinweise auf eine Mordserie geben will. Da aber tatsächlich alle Indizien von Dougs Tod auf Miranda hinweisen und die Mitarbeiter des Instituts sie nun wie eine Ausgesetzte behandeln, glaubt ihr keiner.
Produktionsfirma Dark Castle hat sich inzwischen einen Namen mit zahlreichen CGI-Horrorheulern gemacht, die allerdings mehr auf den Goreeffekt setzten, als auf Tiefgang. Bei "Gothika" sollte sich das anscheinend ändern, also holte man aus Frankreich den talentierten Regisseur Mathieu Kassovitz, seines Zeichens bekannt für grandiose Filme wie "Hass" und "Die purpurnen Flüsse". "Ein Mann dieser Ernsthaftigkeit tut dem Film und vielleicht auch uns richtig gut, das könnte für Tiefgang sorgen...", dachte sich der Produktionschef von Dark Castle.
Und in der Tat schafft es der Regisseur technisch seine alten Werke noch einmal zu übertreffen. Er inszeniert clevere Kamerafahrten, die beeindruckend Stimmung machen, setzt das ganze Szenario in einen düsteren Komplex und schafft eine zum zerreißen angespannte Atmosphäre. Schnitt und Kamera sind hervorragend gelungen und rücken den Film mehr ins Licht, als er es von der Substanz und Story her überhaupt verdient hätte. Denn außer Regisseur Kassovitz und Kameramann Matthew Libatique hat sich fast kein Mitarbeiter des Stabs mit Ruhm bekleckert. Vorallem das Drehbuch von einem gewissen Herrn Sebastian Gutierrez (nein, keine Angst, muss man nicht kennen) ist haarsträubend. Es wird uns eine Story aufgetischt, die in den ersten 30 Minuten trotz Unplausiblitäten noch funktioniert und eine tolle Thriller- und Mystery-Atmosphäre aufbaut, aber danach stetig und beobachtbar immer tiefer in den Keller plumpst. Die Auflösung des Pseudowerks ist so grauenhaft an den Haaren herbeigezogen, dass man nichts weiter tun kann, als sich zu fragen, unter welchen Drogen der Scriptschreiber eigentlich stand. Er warf nämlich sämtliche Logik über Bord und schaffte einen löchrigen Käse, der ungeniert von Genrevertretern klaut und nebenher auch noch kein Klischee ausläßt. Wer etwas aufpasst, erkennt in "Gothika" ein weiteres amerikanisches Möchtegernwerk à la "The Ring" - es fehlt jedoch an jeder Ecke die Substanz und Klasse um dessen Niveau zu erreichen. Das Motiv des imaginären, in Visionen erscheinenden Mädchens, das eine Mordserie oder einen Fall mit der Hilfe eines menschlichen Gegenparts auflösen will, ist inzwischen mehr als überholt. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass "Gothika" in den meisten Szenen extrem vorhersehbar ist, vor allem gen Ende macht der Film viel zu wenig aus der aufgebauten Spannung. Die banalen Schläge, die uns der Streifen verpasst, sieht sogar ein Blinder ankommen. Es ist beinahe schon traurig, dass eine Verrückte, die zwei glasklare Morde begeht, auch noch ungestraft davonkommt - oder wie obligatorisch alle Indizien für die Auflösung des Mordfalles Miranda immer dann in die Hände fallen, wenn sie sie gerade braucht.
Was die Schockmomente angeht gibt es zwar ein paar, die auch gekonnt zu überzeugen wissen, aber im Gesamtbild sind diese eher rar anzutreffen. Und wenns dann mal funktioniert, hat das der Film nur seinem Regisseur zu verdanken, der mit intelligenten Einstellungen hier und da den Tag rettet. Dennoch schafft es auch er nicht, über die Altbackenheit dieser Sequenzen hinwegzutäuschen, und so verbleibt ein bitterer Nachgeschmack.
Untermalt wird das traurige Treiben erst so richtig durch die dümmlichen Klischeefiguren. Da wäre die hartarbeitende Psychiaterin, die plötzlich abdreht oder der sich von oben herablassende, schleimige und notgeile Kollege und die dümmlichen Provinzbullen ... nur um ein paar Beispiele zu nennen. Da gibt es für die Schauspieler, die ständig mit äußersten Dünnpfiffdialogen zu kämpfen haben, nicht viel rauszuholen. Dennoch muss man ihnen zugute halten, dass sie sich beste Mühe geben und dem Film etwas Leben einhauchen. Leider ist es so, dass keiner der Crew, sei es der Stab oder die Darsteller, seine Talente ausspielen und vorführen kann, denn das Drehbuch von "Gothika" ist eine madige Krankheit, die man besser im Regal hätte verstauben lassen sollen. Dagegen ist nämlich noch der schlechteste und haarsträubendste Horrorthriller aus Japan eine willkommene Wohltat.
So bleibt als Fazit zu sagen, dass sich hinter "Gothika" technisch gesehen ein kleines Kunstwerk verbirgt - was aber nützt das schon bei solch einem Drehbuch-Totalschaden, der so brachial seine zerstörerische Linie durch das Werk zieht, dass der ernsthafte Aspekt des Films total suspekt, hanebüchen und teilweise lächerlich wird? Absoluten Fans des Genres oder Kinogängern, die mit jeder Kleinigkeit beeindruckbar sind, sei ein Blick ans Herz gelegt - der Rest schaut weg und vermeidet sich dadurch viel Ärgernis über verlorene Zeit. Eine durchschnittliche Bewertung für diesen filmischen Wichtigmacher gibt es von mir nur wegen den Bemühungen Kassovitz', der sich anstelle solcher klischeebeladenen Humbug-Produktionen lieber wieder handfesten Filmen wie "Die purpurnen Flüsse" widmen sollte. Vergeudetes Talent nennt man so etwas dann wohl...