Review

Hamburger Schnack vs. Wiener Schmäh

„Wenn er nicht hören will, dann gibt’s Protest!“ – „‚Protest’, ‚Protest’ – was heißt ‚Protest’?!“ – „Terror!“

Der deutsche Regisseur Jürgen Roland („Stahlnetz“, „Polizeirevier Davidswache“, „Zinksärge für die Goldjungen“) drehte 1969 mit „Die Engel von St. Pauli“ einen als Unterhaltungsfilm angelegten Kiezkrimi – noch nicht so actionorientiert wie später mit „Zinksärge für die Goldjungen“, dafür um mehr Realismus bemüht, bodenständiger. Die alteingesessenen Luden um Jule Nickels (Horst Frank, „Die neunschwänzige Katze“) kämpfen mit harten Bandagen gegen die in das Geschäft drängenden Wiener um Holleck (Herbert Fux, „Hexen bis aufs Blut gequält“) um die Vorherrschaft im Rotlichtmilieu des Hamburger Kiez, der Reeperbahn. Als, nachdem bereits „Schwuli“ aus Nickels Bande sein Leben lassen musste, zu allem Überfluss auch noch ein impotenter Freier (Werner Pochath, „Der Joker“) die taubstumme Prostituierte Lisa ersticht, wird es der Polizei zu bunt. An Ruhe auf dem Kiez interessiert, vereinbaren Nickel und Holleck einen Waffenstillstand, um den Mörder zu stellen.

Offensichtlich auf wahren Begebenheiten beruhend – so kam es in den 1960ern tatsächlich zu einer „Wiener Invasion“ auf der Reeperbahn –, ist der hervorragend besetzte und an Originalschauplätzen gedrehte Film ein wunderbares Beispiel für einen von Lokal- und Zeitkolorit beherrschten Unterhaltungskrimi, der weder tiefschürfendes Milieudrama noch sleaziger Schmuddel mit Alibihandlung sein will. Lockere Sprüche, wie den Herren (und Damen) die Schnäbel gewachsen sind, nackte Haut, Gewalt und ein, zwei Morde, Intrigen und Machtspielchen, etwas naive Vorstellungen von Ganovenehre – fertig ist der leider fast vergessene Kiez-Klassiker. Roland hat das richtige Gefühl für Tempo und Dramaturgie und versteht es, Ernst und Witz genau richtig zu dosieren, ohne dass der Film zu sehr in eine Richtung kippen und verstören könnte. Stattdessen darf man dem abenteuerlichen Treiben der Rotlicht-Halbwelt aus sicherer Entfernung folgen, Einblicke in deren Alltag erhaschen und sich über das Ausbleiben jeglichen moralistischen Zeigefingers freuen. Einzig der Mord an „Schwuli“ gerät im Laufe der Handlung für meinen Geschmack etwas zu sehr in den Hintergrund und scheint schnell vergessen.

Der Hamburger Kiez wird in prächtigen Bildern eingefangen, die für jeden halbwegs an der „sündigen Meile“ Interessierten schon Grund genug für eine Sichtung sein sollten. Das Beste am Film sind aber zweifelsohne die Dialoge, die eine zitierwürdige Zote und Schote nach der anderen beinhalten und sich ein phonetisches norddeutsch-wienerisches Duell liefern, dass es die reinste Freude ist. Die beeindruckende Besetzung der Rollen lässt ebenfalls aufhorchen. Werner Pochath gefällt mir als differenziert gezeichneter, mit wenig Selbstbewusstsein ausgestatteter Mörder, der verrückt zu werden droht und die Flucht nach vorn antritt, am besten, ein Wahnsinnsauftritt im wahrsten Sinne des Wortes. Herbert Fux ist mit seiner herrlichen Charakterfresse prädestiniert für den schmierigen, verschlagenen Wiener Oberluden, Horst Frank sein besonnener, aber bestimmter Gegenspieler und Platzhirsch – und mehr oder weniger heimlicher, jedenfalls nicht eindimensionaler Sympathieträger des Films. Auch sämtliche Nebenrollen können sich sehen lassen, wirklich einwandfrei.

Fazit: Lockere Milieuunterhaltung nicht nur für Hamburger und Wiener, immer noch „seriös“ genug, um als ernstzunehmender Krimi durchzugehen, technisch und darstellerisch ohne Tadel, dazu anscheinend auch noch historisch verbürgt – zusammen mit Rolf Olsens Beiträgen (ausgerechnet ein Wiener!) zum Thema Pflichtprogramm für jeden, der entdecken will, was früher im deutschen Film so alles möglich war – unverkrampft, unpeinlich und verdammt liebenswürdig.

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