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Bei der Explosion eines mit Drogen beladenen Schiffes lassen 27 Menschen ihr Leben. Neben einem ungarischen Seemann, der schwer verletzt auf der Intensivstation verweilt, überlebt nur der körperlich behinderte Roger Kint das Unglück. Zollinspektor Kujan möchte verständlicherweise das Verbrechen aufklären und verhört Kint, der ihm haargenau, wenn auch widerwillig, erzählt, wie es zu diesem Massaker kommen konnte...
Wenn es das Wörtchen „clever“ nicht gäbe, müßte es für den Plot dieses hochkarätigen Thrillers „Die üblichen Verdächtigen“ erfunden werden, denn was Christopher McQuarrie hier für ein Drehbuch aus dem Ärmel gezaubert hat, verdient meinen höchsten Respekt. Zusammen mit Regisseur Bryan Singer schuf er ein kleines Meisterwerk, das von einigen Kritikern jetzt schon zum Klassiker emporgehoben wird. In der Tat berechtigen nahezu alle Kriterien des Films zu solchen Lobhuldigungen.
Dabei besteht die Geschichte zu guten zwei Dritteln aus Rückblenden, und da die Explosion schon von vornherein als Ausgangspunkt gegeben ist, könnte man vermuten, daß der Film hinsichtlich der Spannung zum Scheitern verurteilt ist. Rückblenden bedeuten in der Regel einen klassischen Anti-Klimax. Doch Singer und McQuarrie verstehen es, mit zahlreichen überraschenden Wendungen - nicht nur innerhalb des Rückblicks, sondern auch in der Gegenwart - das Interesse des Zuschauers nie erlischen zu lassen: Zunächst werden die fünf Hauptfiguren, unsere „üblichen Verdächtigen“, bei einer Gegenüberstellung zusammengeführt. Das sind fünf Charaktere mit sehr unterschiedlichen Charaktereigenschaften - gerade Benicio Del Toro als Fenster ist in Sachen Skurrilität eine echte Schau und vom ersten Augenblick sympathisch -, fünf Gangster, die gemeinsam einen gefährlichen Drogencoup aushecken und sich dabei versehentlich im Netz des übermächtigen Mafiabosses Keyser Soze, für viele der Teufel höchstpersönlich, verheddern, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Parallel zu Kints Erzählungen, die sich in einem Zeitrahmen von sechs Wochen bewegen, gehen die Ermittlungen weiter, der schwerstverwundete Ungar kann im Krankenhaus ein Phantombild Sozes erstellen, und langsam, ganz langsam kommen die Ermittler hinter die wahren Gründe der Schiffsexplosion - auch weil Kujan den recht schüchternen Kint zu durchschauen scheint und ihn durch immer neue Hintergrundinformationen, die ihm während des Verhörs mitgeteilt werden, immer mehr in die Enge treiben kann.
Daraus resultiert durchaus ein beträchtliches Maß an Spannung, wenn in meinen Augen auch die letztendlich geschilderten Ereignisse auf dem Schiff zu stark ausgewälzt werden. Hier hätte man ein bißchen raffen können. Das soll aber auch mein einziger Kritikpunkt sein, denn was danach noch folgt, zieht einem wahrlich die Schuhe aus und läßt die Gänsehaut aus ihren Löchern kommen. Auf den letzten Metern folgt eine Pointe, die nur wenige Augenblicke später wieder verworfen wird - zugunsten eines unglaublichen, auch inszenatorisch meisterhaften Über-Schlußgags, der in der jüngeren Filmgeschichte seinesgleichen sucht und derart unerwartet kommt, daß man sich als Zuschauer einfach verarscht vorkommen muß. Man kann während des Abspanns förmlich das Lachen der „Die üblichen Verdächtigen“-Verantwortlichen hören, weil sie es geschafft haben, den gemeinen Zuschauer so hinters Licht zu führen. Einfach genial, allein dieser Schluß ist Kult und verdient seinen Platz in den Geschichtsbüchern (wurde ja in „Scary Movie“ bereits erstklassig veralbert). Und wer glaubt, beim zweiten Ansehen könnten sich eventuell Lücken in der Logik auftun, der sieht sich getäuscht: Selten zuvor kam mir ein Film durchdachter vor als dieser.
Besonders erfreulich die Tatsache, daß Genre-Klischees komplett umschifft werden.
Für ein perfektes Skript benötigt man nach Möglichkeit passende Darsteller, und die hat Singer gefunden: Gabriel Byrne, Stephen Baldwin, der bereits erwähnte Benicio Del Toro und Kevin Pollak überzeugen vollends und verleihen ihren Rollen den erforderlichen Tiefgang. Aber über allen steht einer meiner Lieblingsschauspieler - Kevin Spacey als Krüppel Kint. Der spielt sie wirklich alle an die Wand, logische Folge war der Oscar als Bester Nebendarsteller. Gesondert hervorheben will ich auch noch Chazz Palminteri als Inspektor Kujan, der mit seinem charismatischen und sehr einprägsamen Gesicht eine Idealbesetzung darstellt.
Hinzu kommt eine Musik, die die ziemlich düstere Atmosphäre des Films perfekt untermalt und gerade in den letzten Minuten voll zur Entfaltung und zur gewünschten Wirkung kommt.

Fazit: Ein hierzulande (leider) ziemlich unbekanntes, nichtsdestotrotz anerkanntes Juwel der 90er Jahre, das nicht umsonst einen Drehbuch-Oscar erhalten hat. Meisterhaft inszeniert, von grandiosen Darstellern getragen (Kevin Spacey!), und nicht zuletzt dank des völlig unvorhersehbaren und daher um so paukenschlagartiger kommenden Finales ein unverzichtbarer Streifen für jedermann, der sich als echter Filmfan bezeichnen lassen will. Schlichtweg genial! Ich schließe mich an: Ein Klassiker! 8/10

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