„Das hat man davon, wenn man sich mit Kindern abgibt!“
Im Jahre 1970 drehte der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski („Der Start“) mit „Deep End“ ein außergewöhnliches Coming-of-age-Drama mit Erotik-Anleihen, das in den auslaufenden Swinging Sixties in London angesiedelt wurde.
Der 15-jährige Mike (John Moulder-Brown, „Das Versteck“) hat die Schule hinter sich und tritt einen Job in einem Schwimmbad an. Neben zudringlichen reiferen Damen trifft er dort auf die attraktive Kollegin Susan (Jane Asher, „Satanas - Das Schloß der blutigen Bestie“), die für die Betreuung der weiblichen Gäste zuständig ist. Mike verliebt sich in Susan, doch diese ist nicht nur mit dem unsympathischen Chris (Christopher Sandford, „Der Brief an den Kreml“) liiert, sondern unterhält nebenbei auch noch eine Affäre mit Mikes ehemaligem Lehrer (Karl Michael Vogler, „Die Reise nach Tilsit“). Mike versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und sie für sich zu gewinnen, indem er ihr nachstellt. Susan spielt zunächst mit ihm, nichtsahnend, wie sehr sie seine Obsession damit nährt…
Der interessanterweise zu großen Teilen in einem alten, auf englisch getrimmten Schwimmbad und einem Park in München gedrehte Film eröffnet mit einem Titellied von Cat Stevens und führt den Zuschauer in die Berufswelt der Schwimmbadangestellten ein, stellt seine Charaktere vor und macht nicht davor Halt, die Schwimmbadkunden bzw. insbesondere die Kundinnen als mitunter schräge und gerne mal an der Inanspruchnahme besonderer Dienstleistungen des jungen Mike interessierte Menschen darzustellen, womit von vornherein eine sexuell aufgeladene Stimmung erzeugt wird – die im krassen Gegensatz zur um Zucht und Ordnung bemühten Hausordnung des Schwimmbads steht, in dem die rigorose Geschlechtertrennung immer wieder betont mit. Als wolle „Deep End“ die neu gewonnene sexuelle Freizügigkeit skizzieren, lässt er Susan mit ihrem Freund im Kino einen Sex-Film besuchen und nimmt dies zum Anlass für ein folgenreiches Spiel Susans mit Mike: Dieser sitzt hinter dem Paar und betatscht sie zum Spaß. Während ihr empörter Freund den Geschäftsführer holt, küsst sie ihn.
Den Verführungsversuchen einer Kathy (Anita Lochner, „Und der Regen verwischt jede Spur“) widersteht Mike auf Arbeit und versucht schließlich, Susan in einen Nachtclub zu folgen. Skolimowski nimmt dies zum Anlass, die Kamera um die eigene Achse rotieren zu lassen und damit einen Effekt des Schwindelgefühls und der Verwirrung zu erzeugen. Da man den armen Mike nicht hineinlässt, wartet er vor dem Nachtclub auf sie und verspeist einen Hotdog nach dem anderen. Schließlich schleppt er einen Nackedei-Pappaufsteller mit sich herum, von dem er meint, dass er eine starke Ähnlichkeit mit Susan aufweise. Mit diesem muss er sich zwischenzeitlich gar bei einer Prostituierten (Louise Martini, „Mit Leib und Seele“) verstecken, die es auf seinen ersten Lohn abgesehen hat. All diese Szenen wirken wie aus einer turbulenten Komödie – auch dann noch, als er Susan, immer noch den Aufsteller mit sich führend, in der U-Bahn eine Szene macht. Jugendliches Ungestüm, Leidenschaft und leichte Verschrobenheit sprechen aus diesen Bildern und wie egal Mike die Menschen um ihn herum sind, da er sich nur für Susan interessiert, hat irgendwie naiv-sympathischen Charme. Dass er mit dem Aufsteller auch noch Baden geht, ist der skurrile Abschluss dieser Szenefolge.
Das Lachen bleibt jedoch verstärkt im Halse stecken, wenn er ihr auf bereits enorm ungesund wirkende Weise nachzustellen beginnt. Seine Obsession für Susan scheint außer Kontrolle geraten zu sein, eine andere Option als die, dass sie sein Begehren erwidert, scheint für ihn nicht mehr möglich. Doch es scheint sich für ihn zu lohnen! Als im Schnee ihr wertvoller Diamant verschwindet und er ihr beim Wiederfinden hilft, überwirft sie sich quasi nebenbei auch noch mit einem ihrer Liebhaber. Die Jugendlichen ziehen sich aus und kommen sich nahe. Doch mitnichten ist „Deep End“ ein Werbefilm für Stalking, denn das dicke bzw. tiefe Ende kommt erst noch, das den Film von einer juvenilen romantischen Komödie endgültig zur Tragödie macht.
Eine entfesselte Kamera fängt faszinierende Bilder ein, die München wie England aussehen lassen, die außerhalb des Parks spielenden Außenaufnahmen wurden indes tatsächlich in London, genauer: im Rotlichtviertel Soho gedreht. Cat Stevens und die Krautrocker „Can“ liefern den Soundtrack zu Mikes erster großer Liebe und dem daraus resultierendem fatalen Verlangen sowie Susans Verkennung des Ernsts der Lage, was schließlich in einem überraschenden Ende mitsamt Gänsehautgarantie mündet. Angesiedelt zu Zeiten des gesellschaftlichen Ungleichgewichts zwischen konservativer Elterngeneration und die neu gewonnene sexuelle Freiheit auslotender Jugend gerät diese Romanze aus den Fugen und hat, als der Film konsequent auf sein Ende hin zu steuern beschließt, nichts mit all den Hoffnung spendenden Liebes- oder die erste Liebe verklärenden Kitschfilmen gemein. Nein, aus Gefühlschaos, Sehnsucht und Begierde sowie einer Einsamkeit Mikes, die der Film nie direkt anspricht, aber spürbar werden lässt, entwickelt sich eine Eskalation, wie sie für die meisten unglücklich verliebten Jünglinge glücklicherweise die krasse Ausnahme bleibt. Die Sensibilität des Films führt zu einer Form von Melancholie und bizarrer Schönheit, gerade auch, weil die Schauspieler, allen voran natürlich die zeigefreudigen Jungmimen, mit viel Charme und Können dazu beitragen. In den Nebenrollen finden sich diverse deutsche Schauspieler; allen in allem also ein positives Beispiel für polnisch-britisch-deutsche Freundschaft – auch wenn „Deep End“ zwischenzeitlich dramaturgisch bisweilen etwas auf der Stelle zu treten scheint. Deshalb leichte Abzüge in der B-Note von mir, so dass ich auf 7,5 von 10 Badekappen komme, aber um eine durchaus nahegehende filmische Erfahrung reicher bin.