Ja, es gibt sie noch. Filme die mich emotional zutiefst berühren und überraschen. Tokyo Story von Yasujiro Ozu ist so ein seltenes Beispiel...leider.
Habe mir den Film auf der edlen Criterion DVD zu Gemüte geführt. Wusste nur das mich ein über 2 Stündiger, gut 50Jahre(! )alter Schwarz-weiss Film erwartet.
Und was für einer!
Im Mittelpunkt von Tokyo Story stehen Shukichi und Tomi, ein älteres, japanisches Ehepaar. Von einem kleinen Dorf einer abgelegenen Provinz, treten sie die lange Reise nach Tokyo an, um ihre bereits verheirateten Kinder und Enkel zu besuchen. Der Empfang der beiden fällt entäuschend und zurückhaltend aus. Niemand will sich so richtig mit Ihnen abgeben. Eine unüberwindbare Barriere zwischen den beiden Generationen ist entstanden.
Der Film wartet auf den ersten Blick mit einer erstaunlich simpel erzählten Geschichte auf. Doch je länger sich die Story dahinzieht, umso mehr wird man mit einem äusserst intelligenten, emotional und sozial komplexen Werk konfrontiert. Der Kern des Films widmet sich sicher dem damaligen Generationenkonflikt. Der Krieg ist vorbei, die Bevölkerung jedoch in ihrem Stolz tief verletzt. Aber auch heute wirkt Tokyo Story mit dieser feinfühligen Thematik äusserst aktuell.
Man wünscht sich den beiden einen herzlicheren Empfang, die Kinder dagegen verhalten sich äusserst kalt, geizig und selbstsüchtig gegenüber ihrer Eltern. Diese totale Entfremdung bringt der Film äusserst schmerzlich und real rüber.
Die weite Distanz und der fehlende Kontakt zueinander, die Veänderungen in den sozialen und wirtschaftlichen Strukturen des Landes, sowie verschiedene Interessensgebiete könnten Gründe dafür sein. Da wäre jedoch noch die warmherzige Noriko (Setsuko Hara) zu erwähnen, die sich gegenüber ihrer Eltern zutiefst respektvoll Verhält und im Film eine Schlüsselfigur darstellt. Sie ist Ozu's positiver Appell und Stimme an unsere Gesellschaft.
Als Tomi im Verlauf des Films völlig unerwartet stirbt, ist Shukichi auf sich alleine gestellt. Anstatt sich zu versöhnen und aufeinander zuzugehen, besteht weiterhin Distanz zwischen den Parteien. Von Kitsch keine Spur: Dafür wirkt der Film mit seinen Schwarz-weiss Bildern und seinen bewusst zurückhaltenden Dialogen zu realistisch.
Der Verlauf der Geschichte ist durchaus mit dem realen Leben zu vergleichen. Das Leben führt seine eigenen Regeln und Gesetze, denen man sich, so schmerzlich es ist, unterwerfen muss.
Tokyo Story endet dort wo er angefangen hat, und man wird sich bewusst, wie grausam und entäuschend das Leben sein kann.
10/10