Was will uns dieser Film nur sagen?!
„Kinder, schnappt euch eine Knarre und ballert eure Lehrer und Mitschüler ab?“ Wenn man nicht richtig hinschaut, läuft es darauf hinaus. Der Film möchte aber natürlich etwas ganz anderes. „Elephant“ zeigt einen kleinen Auszug aus dem Leben einiger Schüler, speziell zweier unauffälliger Jungs. Diese beiden Jungs decken sich mit Schießeisen ein und ballern sich zum Ende des Streifens durch ihre Schule. Dabei wird die Handlung so realistisch wie möglich gehalten. Dialoge gibt es nur spärlich. Und wenn etwas gesagt wird, sind es Banalitäten des Alltags. Man hat sich halt nichts mehr zu sagen. Zumindest dann nicht, wenn man sich in einer Umwelt wie die beiden Hauptprotagonisten des Films bewegt. Hier wird etwas Ursachenforschung betrieben. Warum und weshalb? Teilweise händeringend nach Erklärungen gesucht und doch nur an der Oberfläche gekratzt. Die beiden Kids sehen Hitler im TV, können ihn aber nicht zuroden – Versagen auf Seiten der Bildungswege. Sie spielen Ballerspiele, stellen aber keine Differenzierung zwischen Spiel und Realität her – Versagen des Elternhauses durch mangelnde Wahrnehmung der Aufsichtspflicht und damit dem versagen der Erziehungdurch die Eltern. Sie schauen sich Waffen im Internet an und könne diese auch problemlos bestellen – eine Allmächtige Waffenlobby, die sich längst den Kontrollmechanismen des Staates durch Unterwanderung entzogen hat. „Elephant“ scheint dabei oberflächlich zu sein. So oberflächlich wie die öffentliche Diskussion über die Gründe und Ursachen, wenn ein wie im Film dargestelltes Massaker an einer Schule stattfindet. Es werden einzelne Aspekte herausgegriffen, die vielleicht Einfluss auf die Täter hatten. Neben einer fehlenden Bindung zum Elternhaus, gilt auch hier das Interesse vor allem dem Einfluss von Gewaltdarstellung in den Medien. Da rücken sehr schnell Videofilme, Fernsehsendungen, Computerspiele oder aggressive Musik in den Mittelpunkt des Interesses. Sündenböcke sind schnell gefunden. Dabei wird oft vergessen, dass Jugendliche im Verlauf ihrer Entwicklung wesentlich mehr Einflüssen ausgesetzt sind, von denen Medien nur ein Teil sind. In der Pädagogik wird von vier so genannten Sozialisationsinstanzen im Leben ausgegangen. Das Elternhaus, die Schule, die Gruppe der Gleichgesinnten sowie die Medien. Der Jugendliche entwickelt seine Identität nicht nur aufgrund eines dieser vier Faktoren, sondern aus dem Zusammen wirken aller. Von daher ist die Frage nach den Gründen und Ursachen viel komplexer, als es dieser Film beantworten könnte und will.
„Elephant“ entpuppt sich als nüchterner Gegenwartsfilm der keine großartigen Erklärungen für das Gesehene und Geschehene liefert. Es wird gezeigt, drauf gehalten und im Hintergrund spielen sich die täglichen Tragödien des Lebens ab. Der Zuschauer soll sich gefälligst selber Gedanken zum Gezeigten machen. Hier wird kein fertiges Produkt abgeliefert, welches dem Zuschauer alles vorkaut.
„Elephant“ geht mit den genannten Themen weder heroisch, dramatisierend oder emotional verkitscht um. Der Film erscheint schon fast kalt (-blütig). Dem Zuschauer gelingt es nur schwer, zu einem oder mehreren Charakteren eine Bindung aufzubauen. Ein gewollter Effekt? Sollen wir Abstand halten und als stiller Beobachter von Außen die Ereignisse betrachten? Dadurch wird der Effekt erzielt, dass das Geschehen im Film noch eindringlicher wirkt. Ist es gewollt, dass die Darsteller in diesem Film wie Laien wirken? Sicher, denn wir agieren doch alle ständig wie Laien und nicht wie professionelle Schauspieler in einem durchgestylten Liebes- oder Actionfilm. Dieses Mittel der Laiendarsteller, gibt dem Film zusätzlich den Charakter des Realismus. Die Darsteller wirken überzeugend durch das agieren gegen jegliche gewohnte oder erwartete Sehgewohnheit.
Das Leben der Jugendlichen in diesem Film ist nicht wie das in anderen Filmen, die ein ähnliches Thema behandeln. Auch wenn der Film äußerlich als Actionfilm angepriesen, mit einem großen blutigem Massaker an einer Schule beworben wird, „Elephant“ ist kein Actionstreifen, der versucht zu unterhalten. Wie auch? Er möchte ja Gewalt als Unterhaltung anprangern. Da wäre es fatal, würde man sich auf das gleiche Niveau wie eben jene Actionfilme begeben, die Gewalt als reines Mittel der Unterhaltung des Zuschauers nutzen. Keine schnellen Schnitte, eine geradlinige und ruhige Kameraführung, kühl, ja sogar abstoßend wirkende Bilder. Über allem liegt das zu Erwartende, dass anscheinend Unvermeidbare, was doch vermeidbar gewesen wäre. Doch Lösungsvorschläge werden in „Elephant“ keine gezeigt. Nicht einmal ein Ansatz davon. Hier ist der Zuschauer gefragt, sich auf die Suche zu machen.
Das gezeigte Leben in „Elephant“ besitzt keine Action. Es ist öde und langweilig, zermürbend. Das mag den Film langweilig und tröge, ja sogar zäh erscheinen lassen. Aber ist den unser Leben geprägt von Action? Alle Action die wir wahrnehmen, findet in den Medien statt, die uns ein Leben voller Action vorgaukeln. Das Leben, ein Film. Die wahre Action im Leben besteht aus nervenaufreibenden Behördengängen und dem Kampf mit eben jenen, aus dem täglichem Trott zur Arbeit, Schule oder auf das Arbeitsamt, aus dem Nutzen der uns angebotenen Möglichkeiten, unsere Freizeit mit der Action zu füllen, mit welcher sich Geld verdienen lässt.
„Elephant“ zeigt die Demütigungen, die Ausgrenzung und den dadurch entstehenden Hass auf diese Gesellschaft, unabhängig in welcher ach so zivilisierten Industrienation wie gerade leben. Doch diese emotionale Ebene im Film, erreicht den Zuschauer nur selten. Denn wie gesagt, hier wird nur ein Abziehbild dessen angeboten, was wirklich passiert. Eine möglichst realistische Annäherung an das Thema wird von Regisseur Gus Van Sant bevorzugt. Eine Annäherung an das tatsächlich Stattfindende, nicht nur an amerikanischen Schulen. Gefühlskalte Schüler. Und jeder hat sich seinen eigenen kleinen „The Wall“ um sich aufgebaut. Nicht zuletzt diese Beliebigkeit des Schauplatzes und die austauschbaren Lebensstatisten, machen „Elephant“ sicher zu einem schwer verdaubaren Film. Wir sind verwöhnt, von schnellen, rasanten, im Sekundentakt zwischen Einstellungen wechselnden platten Actionfilmen. „Elephant“ setzt dem die elegische Ruhe des Zeigens entgegen. Ein Film in Echtzeit? Fast! Und so ist das, was viele Zuschauer hier als Langweile wahrnehmen, nur dem Verlust der aufgedrängten Sehgewohnheit des Zuschauers geschuldet. Gus Van Sant stellt sich gegen diese Action. Damit irritiert er den Zuschauer zutiefst, besonders den jugendlichen Zuschauer, welcher auf reißerische Darstellung der sich immer wiederholenden Story von Gut gegen Böse, schwarz gegen weiß, geeicht ist. Dabei ist das Geschehen im Film doch so leicht auf viele, vor allem junge Zuschauer, übertragbar. Hier können sie einen kleinen Blick in ihr eigenes Leben werfen. Natürlich ohne zu dem Schluss zu kommen, das jeder von ihnen ein potentieller Amokläufer ist. Ich habe 11 Jahre in einem Jugendhaus gearbeitet, 6 Jahre davon als Angestellter Sozialarbeiter, viele der Kids die den Weg durch das Haus genommen haben, hätten es aber sein können, die potentiellen Amokläufer. Gesellschaftsgeschädigt, gedemütigt, enttäuscht und ausgegrenzt. Der eine oder andere lernte vergleichbare Gewalttätigkeiten kennen und somit auch die Strafe der Justiz.
Letztendlich müssen wir uns fragen, wenn wir über solche Taten, wie den Amoklauf von Erfurt, reden, ob in unserer Gesellschaft und deren Werteordnung, nicht auch die Ursachen für solche Taten liegen. Wenn wir das gieren nach materiellen Werten und der Zwang zur beruflichen Karriere über alles gestellt wird, wenn Individualismus zu purem Egoismus verkommt und dabei ein solidarisches Miteinander in Vergessenheit gerät, sind die Voraussetzungen zur Entwicklung, solcher Tatmotive wie in „Elephant“ gegeben. Denn die Täter kommen aus unserer Mitte. Die Nöten und Sorgen jener, sind uns aber nicht bekannt, oder werden schlicht und einfach übersehen und ignoriert. All dies will uns „Elephant“ mit seiner sicher langweilig und langatmig wirkenden Erzählweise näher bringen. Aber wenn man sich auf den Film einlässt, verkehrt sich diese Langeweile und Langatmigkeit genau in das was das Leben vieler Menschen ist. Und das macht „Elephant“ zu einem Film mit nachhaltiger Wirkung. Hier soll zum Nachdenken angeregt werden. Über das eigene Leben und dem Umgang mit dem Leben anderer. Wider einer erkalteten und Egoistischen Gesellschaft, welche das eigene Ego über das anderer stellt und durch ständigen Druck – du musst diesen Fernseher haben, dieses Handy, diesen toll bezahlten Job, dieses Haus – jeden gegen jeden Ausspielt. Hier können solche Situationen wie in „Elephant“ auf einen nahrhaften Boden gedeihen, dem wir selbst ständig neue Nährstoffe durch unser eigenes, unüberlegtes und egoistischen Verhalten zuführen.