Einsame, raubeinige Cowboys, einsilbige Rächer, edle Weiße, böse Rote? Nicht in diesem Film!
Ron Howard, vielleicht der Regisseur, von dem man das am wenigsten erwartet hat, rettet doch tatsächlich das dahinsiechende Westerngenre mit einer Romanverfilmung, die dem Realismus des Westens endlich mal die Sporen gibt.
Und es geht weder edel noch nett noch lustig zu in diesem New Mexico des Jahres 1885. Howard macht ernst und das von Szene 1 an. Cate Blanchett als derbe Heilerin in einer halbverschneiten Einöde mit zwei Töchtern, einem Geliebten und ein paar Rindern hat ein Entree, wie ihn nur wenige bekommen in Hollywood.
Sie sitzt nämlich gerade auf dem Klo, einer knackigen Bretterbude derer von Abort, als sich ein Heiljob anbahnt. Nachdem sie sich mit ein paar Zeitungsseiten anschickt, den Allerwertesten zu säubern, reißt sie gleich noch in glorreicher Großaufnahme einer alten spanisch murmelnden Großmutti den letzten Beißer aus dem Kiefer.
Hier weiß man doch sofort, was einen erwartet: es wird hart, es wird herb und gemütlich wird's schon gar nicht.
Angespannt ist die Situation, denn die Gute schläft zwar mit Aaron Eckhart, aber verheiratet ist sie mit ihm nicht; ihre Töchter sind von zwei verschiedenen Männern; die Große macht Zicken und hat auch noch ihre Tage.
Und dann steht plötzlich ihr Apachendaddy vor der Tür, der von 20 Jahren wohl einem Falken gefolgt ist und niemals wiederkam, was ihrer Mutter das Herz brach und später versagen ließ und sie selbst arg verdrießlich machte.
Natürlich dauert die Familienzusammenführung den kompletten Film und der Katalysator ist die Entführung der älteren Tochter durch eine marodierende Gruppe indianischer Armyscouts, die von einem indianischer Hexer angeführt wird. Die wollen die jungen Damen in Mexiko verkaufen und machen grundsätzlich keine Gefangenen in punkto Restfamilie oder gar Liebhaber. Notgedrungen machen sich Mutter, junge Tochter und alter Halbindianer auf die Verfolgung.
Howard erzählt diese grimmige und harte Geschichte mit allem Gefühl, das aus der teils unmenschlichen, teils malerischen Landschaft heraus zu destillieren ist. Die Kamera schwelgt in Landschaften und Etappe für Etappe kommen die ungleichen Reisenden weiter voran, treffen Leute und verlieren sie wieder, erleben Abenteuer und geraten in Gefahr.
Was aber wirklich wunderbar gerät, ist die völlige Abwesenheit von irgendwelchen sülzigen Szenen. Howard hat seine Schauspieler unwahrscheinlich gut im Griff. Blanchett knüppelt die spröde Farmerin so bretthart durch den Film, daß es fast weh tut, während Jones gegen sein typisches halb stoisches, halb augenzwinkerndes Image anspielt, indem er den alten Indianer zu einem Motivationsrätsel macht, der erst nach und nach seine Beweggründe rausläßt. Die geraten dann auch noch so ungewöhnlich, daß man fast wieder schmunzeln könnte. Seine Synchronstimme läßt ihn manchmal etwas mitleidig-weinerlich erscheinen, doch das kann das tief verborgene Gefühlsleben dieses Mannes nicht gänzlich verwischen. Man sieht es Jones doch an den Augen an. Und immer gehen alle den geraden Weg weiter, der ihnen vorbestimmt ist, ohne heroische Klischees, sondern nur aus dem Herzen oder der Vernunft angetrieben, eine erfreulich Ausnahme von der Regel.
Trotzdem hat hier keiner was zu lachen, es geht um Leben und Sterben in der Wildnis: da werden Rehe ausgenommen, Herzen vergraben, Leute gefoltert und in Häute eingenäht, Wunden in Großaufnahme versorgt, Schädel eingeschlagen, eine halbverrückte Entführte pustet sich ihr Hirn raus, Angst und Verzweiflung kosten bei bester Absicht in einer Extremsituation einem hilfreichen Charakter das Leben. Howard macht keine Gefangenen und er tut gut daran, so dreckig und realistisch wie möglich zu sein, ohne den Bogen zu überspannen. "The Missing" ist ein Drama, ein Krimi vielleicht sogar, nur eben in der Zeit und den Kulissen eines Westerns; ein Wettlauf gegen die Zeit, die Jagd auf einen Psychopathen, ein Road Trip, ein Road Movie sogar manchmal, wenn man ahnt, daß die Annäherung der beiden Hauptfiguren unausweichlicher wird.
Leider geht trotz aller Ernsthaftigkeit dem Film gegen Ende hin ein wenig die Luft aus, denn das Werk will scheinbar kein Ende nehmen, die Episoden reihen sich endlos aneinander und ein Gefühl der Überladenheit (dramaturgischer Art) macht sich breit.
Ausgerechnet das einzige Novum in diesem Neo-Western, die mystisch-übernatürliche Komponente, der indianische Hexer mit seiner Voodoo-Attitüde, ist dabei das entscheidende Quentchen Unglaubwürdigkeit zuviel. Die Sequenz rund um den Krankheitsfluch, der Blanchett angehext wird samt der Abwehr der bösen Kräfte hätte man sich sparen können, denn bis dahin war der "Burjo", der Magier, lediglich ein Instinktmensch und hervorragender Anführer und Giftmischer.
Bei der Zeichnung des Mystikers hat man dann auch zu sehr in Monstrositätenkiste gegriffen, zum Glück hält man ihn von gelegentlichen gewalttätigen Ausbrüchen ziemlich kurz.
Das mag dann auch zum Mißerfolg des Films geführt haben, denn es fehlen die gängigen Elemente des Western. Es gibt keine wahren Helden, keine aufrechten Ritter des Sattels. Die größte Anstrengung unternimmt hier eine Frau, das Böse ist überall, die Army ist bürokratisch oder korrupt, die Sheriffs beschränken sich auf ihren Amtsbereich, es gibt nur am Ende richtige Schießereien, dafür ordentlich Spannungen zwischen den Charakteren. Und keiner ist edel und gut: Blanchett selbst verabscheut die Indianer (unterstellt ihnen Krankheiten), ist mürrisch, fast herrisch; Jones handelt nach eigener Aussage meist nur aus persönlichen Gründen; die entführte Tochter hat das harte Leben satt, die Kleine eifert der Mutter nach und lechzt nach einem Vater. Großes Kino, prachtvolle Schauspielerleistungen, aber wenig Klischees, dafür um so mehr Sperrigkeit.
Und weil dem Film eben doch nachhängt, eine Art Remake von dem Ford-Klassiker "The Searchers/Der schwarze Falke" mit John Wayne zu sein, der ebenfalls die Suche entführter Töchter und eine zerbrochene Familiengeschichte zum Inhalt hatte, bliebt doppelt so viel Einspiel für die Neuanordnung bekannter Elemente in Costners "Open Range" übrig.
Nur den besseren Film, den hat Howard gedreht. (8/10)