Duccio Tessari zum dritten: Nachdem ich jüngst seine Filme „Das Grauen kam aus dem Nebel“ und „Das Messer“ als kleine und unverschämterweise übergangene Meisterstücke des Giallo-Genres entdecken durfte (Seht sie euch an wenn ihr auch nur ein bischen für Gialli übrig habt!) folgte nun der kürzlich in Dänemark auf einer ansprechenden DVD erschienene „Mann ohne Gedächtnis“. Ein kleiner Mythos rankt sich um diesen Film: Senta Berger soll sich angeblich nach dessen Sichtung peinlich über das für damalige Verhältnisse relativ drastische Ende berührt, über den Film ausgeschwiegen haben.
Leider ist „L’Uomo senza memoria“ deutlich schwächer ausgefallen als die beiden oben genannten Werke Tessaris. Stellenweise ist er deutlich zäher und vor allem lässt er einen Gutteil der emotionale Tiefe vermissen, die die anderen beiden Filme so besonders erscheinen und inmitten der bodenlosen Giallo-Landschaft in der ersten Hälfte der 70ziger so positiv auffallen lässt. Doch nichts desto trotz ist auch „Mann ohne Gedächtnis“ ein überdurchschnittlicher wenn auch gewöhnungsbedürftiger Giallo, der bei denjenigen, die auch schon Tessaris übrige Genre-Beiträge schätzten, sicherlich auch auf Anklang stoßen wird. Doch wer das Giallo-Genre überwiegend aufgrund seiner sleazigen und gewalttätigen Vertreter verehrt, wird hier wohl nur schwerlich auf seine Kosten kommen.
Die geruhsame Entwicklung einer neuen Beziehung zwischen Ted und Sara (siehe Inhaltsangabe), das neue Entdecken des jeweils anderen, der ständige Versuch, Teds Erinnerung zurückzugewinnen und die verhalten aufkeimende Liebe nehmen viel Platz ein und so wirkt „Mann ohne Gedächtnis“ in der ersten Hälfte fast schon so wie die Italo-Crime-Variante von „In Sachen Henry“. Doch Tessari versäumt es nicht, zwischendrin sparsame erste Momente von Ted’s wiederkehrendem Gedächtnis und der permanent präsenten Bedrohung einzustreuen die einem ungeduldigen Zuschauer Tribut zollen und den kriminalistischen Hintergrund der Story nicht ins Hintertreffen geraten lassen. Diese raren Momente zeigen abermals- ebenso wie das unerträglich spannende Finale- das Duccio Tessari den Ruf des „italienischen Hitchcock“ mindestens ebenso sehr verdient hätte wie sein deutlich berühmterer Kollege Dario Argento. Oh- da hat sich doch ein Vorhang bewegt! Bei anderen Regisseuren wäre dies vielleicht nur eine Ankündigung aber Tessari weiß den Moment so einzufangen, das er ein unangenehmes Gefühl der Unsicherheit entstehen lässt. Und besonders der besagte Showdown, in dem Sara dem großen Hintermann alleine gegenüber steht bedient sich kräftig aber wirkungsvoll im Repertoire des „Master of Suspense“.
Eine gelungene Besetzung kann „L’Uomo senza memoria“ ebenfalls vorweisen: Der gutaussehende Franzose Luc Merende, als tougher Jäger eiskalter Mafiosos aus diversen Poliziottesci bekannt, darf sich hier einmal von seiner sanfteren und verletzlicheren Seite zeigen und liefert eine überzeugende Darstellung des zwischen die Fronten getriebenen und durch seine Ahnungslosigkeit hilflosen Ted, Senta Berger, eine der schönsten Diven des deutschen Kinos agiert im Vergleich zu vielen Kolleginnen im Giallo-Genre natürlich und unverbraucht und das ohne dem Publikum nackte Tatsachen zu präsentieren. George, der ewige Verfolger der beiden wird hervorragend gegeben von einem bekannten italienischen Schurkendarsteller, dessen Name mit leider gerade entfallen ist. Ansonsten sieht man aber nur wenige bekannte Gesichter aber außer diesen drei Rollen erfordert die Geschichte auch nicht viel mehr. Ein kleiner und besonders scharfsinniger Junge ist da auch noch, glücklicherweise sah ich diesmal keinen Grund, meine Abneigung gegen Kinder im Genre-Film zu nähren (Ich mochte Stephen King noch nie!). Erfahrene könnten den Drahtzieher der Schurkereien schon im Vorfeld ausmachen, doch mich hat die Regie erfolgreich ausgetrickst.
Hätte Duccio Tessari etwas mehr Akzent auf den „Thrill“ gelegt und seine nicht üble Story (wer den ähnlich gearteten „Mirage“ noch nicht gesehen hat sollte dies schleunigst nachholen) etwas bedachter ausgelotet, könnte „Mann ohne Gedächtnis“ reibungslos an seine großartigen vorangegangenen Gialli anknüpfen (ich kann es nur immer wieder betonen: Tessari hat es einfach drauf!). So ist er „nur“ ein sehr guter Vertreter dieser Sparte mit einigen Längen aber auch mörderisch spannenden Momenten, aufgenommen vor der herrlichen Kulisse der italienischen Mittelmeerküste und deren beschaulichen Städtchen.