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„Ich kann doch mein Gewissen nicht mit überholten Binsenweisheiten beruhigen!“

Im Jahre 1970 drehte der Österreicher Rolf Olsen („Blutiger Freitag“) gleich zwei Filme seiner St.-Pauli-Reihe mit Curd Jürgens („Die Dreigroschenoper“) in der Hauptrolle, „Der Pfarrer von St. Pauli“ ist einer davon – ein gewohnt unterhaltsamer, liebenswürdiger Kiezkrimi.

Nachdem Kapitän-Leutnant Konrad Johannsen während des U-Boot-Kriegs 1945 im Falle seines Überlebens Gottesfürchtigkeit schwor, verdingt er sich als katholischer Pfarrer im berüchtigten Hamburger Stadtteil St. Pauli und hat dabei keinerlei Berührungsängste mit dem Rotlichtmilieu. Eines Tages redet er einem Mädchen gut zu, das ungewollt schwanger wurde und einen Selbstmordversuch unternahm. Kurze Zeit später beichtet Gastarbeiter Luigi, dass er einen Anzugträger umgebracht hätte – woraufhin er selbst ermordet wird. Seinem Beichtgeheimnis verpflichtet, kann Johannsen der Polizei nicht weiterhelfen und beginnt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Gibt es gar einen Zusammenhang zwischen dem schwangeren Mädchen und Luigis Tod? Eine auf einen Rufmord hin erfolgte Strafversetzung auf eine friesische Insel erschwert seine Arbeit...

Olsen kombiniert Milieueinblicke mit reichlich Hamburger Lokalkolorit, viel Charme, Witz und einer zugegebenermaßen eher unglaubwürdigen Geschichte um einen menschlichen, engagierten, toleranten Mann als Vertreter des Klerus, gibt sich diesmal für seine Verhältnisse zurückhaltend, was die Zurschaustellung nackter Tatsachen betrifft und garniert das alles mit einem dicken Klecks Sozialkritik: So sind diejenigen, die verächtlich auf die Unterschicht hinabblicken, selbst die größten Verbrecher und so wird herrlich die eigenbrötlerische, aber hoffnungslos hinter dem Mond lebende Inselgemeinschaft (unter ihr die unvergleichliche und leider Gottes tragische Figur Helga Feddersen, „Vier Stunden vor Elbe 1“, „Sunshine Reggae auf Ibiza”) karikiert, bei der die Alarmglocken schrillen, wenn sie hören, dass der neue Pfarrer vom Kiez kommt. Olsen begibt sich jedoch selbst in konservative Fahrwasser, wenn er dem Sympathieträger und zentralen Figur des Films in den Mund legt, dass Abtreibung „Mord an ungeborenem Leben“ wäre.

Curd Jürgens zur Seite steht einmal mehr Heinz Reincke („Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“) als Mesner Titus Kleinwiehe, der mit breitem Hamburger Schnack und viel Wortwitz in gewohnt grandioser Weise für den komödiantischen Aspekt des Films garantiert und als Kontrast zum brummeligen, resoluten Jürgens agiert. Ein Werbefilm für die katholische Kirche ist „Der Pfarrer von St. Pauli“ natürlich nicht, zitierte Bibelstellen sind eher ethischer Natur und unproblematisch; zudem wird verdeutlicht, dass Johannsen eine Ausnahmeerscheinung ist, der auch Konflikte mit seinen Vorgesetzen durchzustehen hat. In diesem Zusammenhang werden Bigotterie und bürgerliche Spießigkeit angeklagt. Dennoch wollte sich Olsen sichtlich nicht allzu sehr mit der katholischen Kirche – de facto die weltgrößte Mafiaorganisation – anlegen; diese Versöhnlichkeit ist es, die den Film um eine höhere Wertung respektive Skandalträchtigkeit bringt. Zwischenzeitlich kann man auch schon mal vergessen, dass es sich um einen Kriminalfilm handelt, denn sonderlich um Spannung hat man sich nicht bemüht. Langweilig wird Olsens Film indes zu keinem Zeitpunkt, zuviel Spaß machen die Charaktere, denen man stundenlang zusehen könnte, die wienerische Interpretation norddeutscher Gepflogenheiten und all die netten Gimmicks und Ideen, die immer wieder eingestreut werden. Unterm Strich (huch, wie zweideutig...) ist „Der Pfarrer von St. Pauli“ ein intelligent gemachter Unterhaltungsfilm, dem der Spagat zwischen einer oberflächlich betrachtet proklerikalen Ausgangssituation und fortschrittlicher Geisteshaltung wunderbar gelingt. Reiht sich nahtlos in Olsens empfehlenswertes „Hamburger Heimatfilme“-Repertoire ein.

P.S.: Wir vermissen dich, Heinz. Durch deinen Tod ist die Film- und Fernsehlandschaft um ein großes Talent und einen ebensolchen Sympathieträger ärmer geworden.

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