"High Tension" ist ein Film, der - meiner Meinung nach - einen Interpretationsansatz voraussetzt, um sachlich bewertet werden zu können. User, die den Film bisher nicht gesehen haben, sollten dieses Review also besser nicht lesen.
Inhaltlich ist zunächst alles ganz einfach gestrickt. Die beiden Protagonistinnen Marie (Cécile Da France) und Alexia (Maiwenn Le Besco) fahren zu Alexias Familia auf's Land, um dort Ruhe zu finden und zu lernen. Doch die Idylle wird schon in der ersten Nacht gebrochen, als ein skrupelloser Killer in das Haus der Eltern eindringt und selbige dort auf eine sehr rabiate Art und Weise abmetzelt.
Das Wort "abmetzeln" ist hier keineswegs übertrieben, denn der Killer mordet auf eine Art und Weise, wie sie sicherlich den wenigsten Zuschauern bisher begegnet ist. Diese Brutalität des Killers ist aber das größte Problem des Films, auch wenn sie einen Zweck verfolgt und dem Film eigentlich dienlich sein sollte. Dienlich? Ja, denn während des Showdowns wird sehr schnell deutlich, dass es nie einen Killer gegeben hat. Marie wurde selbst zum Killer! Von der Sehnsucht nach Alexia übermannt, tat sie alles, um ihre Geliebte zu besitzen, sie ganz für sich alleine zu haben. Die Perspektivenwechsel tragen gekonnt dazu bei, Maries Schizophrenie zu verdeutlichen. Leider werden durch diese Aufklärung nachträglich Plot-Holes aufgerissen. Der Handlungsstrang, der bisher schlüssig schien, wird von dort an aufgelöst und durch einen in seiner ganzen Entstehung zweifelhaften Strang ersetzt. Davon kann man aber absehen, da der plötzliche Wechsel durchaus überraschend vollzogen wird. Die Brutalität musste an dieser Stelle also als Stilmittel dienen, um die Besessenheit von Marie darzustellen. Eigentlich ist da auch nichts gegen einzuwenden. Eigentlich! Dennoch muss die Frage gestellt werden, ob diese rabiate Art von Brutalität hier notwendig gewesen wäre. Denn selbst eingefleischte Horror-Fans dürften in der ein oder anderen Szene den Blick abseits des Fernsehers gerichtet haben. Um die Gier nach Alexia bildhaft darzustellen, hätten es auch weniger eindringliche Gewaltbildfluten getan.
Ansonsten ist an "High Tension" nicht viel auszusetzen. Der Film ist wirklich spannend, zieht den Zuschauer in seinen Bann und bleibt nachhaltig in seinem Gedächtnis - alleine schon wegen der gewaltigen Bildästethik. Nur zu schade, dass in der deutschen Fassung eine elementare Szene herausgeschnitten wurde, die den geteilten Handlungsstrang wieder vereint.
Fazit:
"High Tension" ist ein sehr guter Film in seinem Genre. Splatter und Gore-Fans werden hier sicherlich auf ihre Kosten kommen. Aber auch für Zuschauer, die geübt im rechtzeitigen Wegschauen sind, kann der Film durchaus eine gelungene Unterhaltung bieten. Eine weniger schlampige Auflösung von Maries Schizophrenie hätte dem Film eine noch bessere Wertung verschafft. 7/10