Review

Aber Holla, die Waldfee!
Frankreichs Kino rockt – und zwar gewaltig. Kein quietschender Teenie-Horror mit belangloser 08/15-Story, sondern endlich mal wieder was mit Pfiff, gänzlich ohne den lästig-störenden Humor und vor allem nicht erst einmal mit 'ne Jugendfreigabe im Kino, um mit der nachfolgender Director's-Cut-DVD doppelt abzuräumen. Muss bei diesem Filmchen auch nicht sein, die FSK tut mal wieder von selber ihren Teil, um dem deutschen Publikum das Vergnügen zu verleiden (entfernt dabei sogar mindestens eine Szene, die für das tiefere Verständnis des Ganzen unabdingbar ist!). Schade drum, doch der Deutsche lässt sich eben gerne bevormunden! Da lobe ich mir unsere westlichen Nachbarn, bei denen Film noch als Kunst gilt und somit von jeglicher Zensur ausgeschlossen ist. Wenn's scheppern soll, kriegt man alles, was das Herz begehrt im örtlichen Supermarkt – uncut!

Aber jetzt zum Film!
"Haute Tension" wurde ja überall im Internet heiß diskutiert, und die Geister haben sich richtig ordentlich gespalten. Fakt bleibt aber, dass jegliche Kritik an Logikfehlern schon nach den ersten paar Sekunden auszuschließen ist: Denn der Anfang (und später das Ende) spielt die entscheidende Rolle bei diesem Streifen. Zukünftige Seher seien hiermit aufgefordert, den ersten paar Bildern gesonderte Aufmerksamkeit zu widmen – und schon erstrahlt der Film in seiner ganzen Faszination! (Das gleiche galt schon bei Mulholland Drive – auch da kann ohne den verstandenen Anfang schnell Unmut aufkommen.)

Die Geschichte sollte weitgehend bekannt sein: Die zwei befreundeten Studentinnen Marie und Alexa ziehen sich zum besseren Lernen zu Alexas Familie zurück, die in einem Haus irgendwo in der Einöde wohnen. Nach ein paar einführenden Szenen, deren tieferer Sinn und psychologische Relevanz sich dann auch im Verlauf des Filmes dem aufmerksamen Zuseher erschließen, gehen alle ins Bett (alle?) und schon kommt der langersehnte Besuch...

Ohne viel Drumherum, aufwendigen Score und Klangspiele (das alles beschränkt sich schlicht auf ein Bimmeln hier und ein Rauschen dort – macht aber einiges der düsteren Stimmung aus), präsentiert uns Aja seinen Killer im Mechaniker-Overall. Keine überflüssige Maske auf der Nase, kein Riesenhackebeil, keine entstellten Gesichtszüge – ein Typ, der kommt und aufräumt, ohne Umschweife! Die Art und Weise, wie er dabei zur Sache geht, findet sich wohl nur selten derart auf Zelluloid gebannt: kompromisslos, roh und gnadenlos brutal. Aja hält ebenso offensiv die Kamera voll drauf, so dass auch hartgesottenen Gorefans bei den ersten Szenen das Lächeln zwischen den Ohren gefrieren sollte. Es kommen keine langen Erklärungsversuche, nervige Rückblenden über eine verkorkste Kindheit oder ähnliches. Der Killer kommt, haut drauf – das war's. Oder nicht?

Nach dem Massaker im Elternhaus nimmt der Film langsam mehr Fahrt auf, ohne dabei an sorgfältig aufgebauter Spannung zu verlieren. Die Szenerien sind unheilschwanger und morbide und tragen ihren Teil zur Stimmung bei. Die Kamera bleibt stets bei der Protagonistin – und das ist auch wichtig so (erinnern wir uns nochmals an die der ersten Szene des Filmes zu widmende Aufmerksamkeit!). Die Vorbilder Ajas sind dabei überdeutlich; er verballhornt aber nichts oder klaut sich seine Ideen zusammen, vielmehr ehrt er die Großen des Genres (v.a. der 80er Jahre) in zahlreichen gelungenen Anspielungen – vielleicht etwas klischeehaft, aber nie störend auffällig.

Nun ist es bei so einem Film stets ratsam, in einer Kritik nicht mit Spoilern den Plot zu zerlegen. Nur so viel sei gesagt: Zweimal anschauen hilft hier tatsächlich! Der vieldiskutierte Twist zur Erläuterung des Vorgefallenen mutet anfangs tatsächlich etwas unglaubwürdig an. Aber ein weiteres Mal erinnern wir uns an die erste Szene vom Film, deren Kreis sich mit den letzten Bildern des Werkes wieder schließt – und plötzlich ist alles logisch und dramaturgisch unbestreitbar glänzend umgesetzt. Alle kleinen und großen Kritikpunkte lassen sich detailliert erklären (auch ohne 20 Semester Psychologie studiert zu haben). Wenn man einen Film wie Kunst interpretieren kann, dann diesen. Alles Gezeigte ist relevant und hat seinen tieferen Sinn – was sonst wohl kein anderer Beitrag dieses Genres von sich behaupten dürfte.

Ergo: Ein brutaler Streifen aus der blühenden Kinolandschaft unserer gallischen Nachbarn. Kompromisslos hart und schmerzhaft explizit umgesetzt. Seine metaphorische und psychologische Tiefe entfaltet sich zwar erst nach mehrmaligem Anschauen, aber dank der genialen Inszenierung kann man sich hier getrost öfter vor die Flimmerkiste begeben und dabei fast jeder Szene gesonderte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Insgesamt ist "Haute Tension" dabei sicher nichts für Zartbesaitete, insbesondere wenn der Killer sich an sein Werk macht. Aja könnte ein ganz großer Stern am Horrorhimmel werden (nicht zuletzt der Altmeister Wes Craven soll ihn für ein Remake seines "The Hills Have Eyes" wollen). Simpel – geradlinig – meisterhaft. Wenn "Haute Tension" den neuen französischen Horror repräsentiert, kann man die amerikanischen Machwerke und Ideenklauer getrost in die Tonne treten.

Anschauen – und immer schön auf den Anfang achten... (10/10)

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