Nun hat er wieder zugeschlagen, der gute QT.
Sein vierter Lang-Film ist beendet und auch die zweite Hälfte in den Kinos angelangt. Der Mann ist ein Phänomen, „Quentin ist ein Freak, wie er im Buche steht, und er weiß es“ (Schnitt-online)... Immer, wenn man gerade anfängt, ihn zu verachten, weil man die etlichen Kopisten mit ihm selbst verwechselt und die Bezeichnung tarantinoesque schon nicht mehr hören kann, haut er einem den besten, ungewöhnlichsten, aufregensten, meistgeliebten, meistgehasstesten Film des Jahres um die Ohren.
Eigentlich weigert man sich ja, Tarantino zu mögen. Ist er doch derart ausgelutscht und man meint, alles über ihn zu wissen... man hasst ihn dafür, dass er das B-Kino en vogue gebracht hat und nun tausende von Matrix-Kretins die Arthouse-Kinos bevölkern, sich als Cineasten bezeichnen, weil sie drei Dialoge aus PULP FICTION beherrschen und JACKIE BROWN nur in den coolen Szenen mit de Niro geil, ansonsten eher langweilig fanden. B-Kino war doch unsere Welt, was suchen da Menschen, die auch STAR WARS gucken?
Man hasst ihn dafür, dass er auf Sachen kommt, auf die man selber gerne gekommen wäre und diese Plots/ Dialoge/Einstellungen nicht nur wie aus dem Ärmel geschüttelt aussehen, sondern auch noch geradezu archetypisch wirken.
Man hasst ihn, weil wir alle einen Drang zur Hochkultur verspüren und uns eigentlich als Pasolini-, Tarkowskij- oder Kurosawa-Goutierer sehen wollen und nun mit Schamesröte im Gesicht zugeben müssen, dass der wohl intelligenteste und aufregenste lebende Regisseur ein alles kopierender Videothekar, obendrein noch aus den USA, ist, der hemmungslos die Ressourcen des B- und Exploitation-Kinos nutzt („exploitet“) und mit seinen Filmen, vier der wichtigsten und stilbildensten Vertreter der letzten eineinhalb Dekaden fabriziert hat.
Fast erleichtert war man, dass KILL BILL Vol. 1 zwar ganz gut und interessant, aber eben auch recht kalt und unemotional war. Tja, einen solchen Trugschluss erliegt man nur, weil es eben erst drei QT-Filme gab und weil der letzte so lange her war. Es war halt nur die ERSTE HÄLFTE. Und wer würde ansonsten schon sagen, dass ein Film ihm großartig gefällt, aber wenn man die erste Hälfte separieren würde, wäre diese ja nicht gut. KILL BILL (und damit sind beide Teile als Einheit gemeint) passt nahtlos in QTs bisheriges Oeuvre und ist in seiner zweiten Hälfte sogar noch weiter als Jackie Brown. Den sog. „Fans“, die seinen Filme auf toughe und coole One-Liner und hemmungslosen Gewaltorgien reduzierten, versetzte er einen Peitschenhieb ins Gesicht. Vol.2 ist fast schon meditativ langsam, dialoglastig, dramatisch, wunderschön und verhältnismäßig actionarm (v.a. im Vergleich mit Vol.1). Erst jetzt versteht man die Struktur des Plots und der Idee. Eigentlich hätte man drüber stolpern müssen, dass ein Mann wie er nicht einfach nur einen versierten Stilmix aus einigen östlichen und westlichen Exploitationfilmen drehen wird. Man war verunsichert... Die Splatterfans rannten wie die irren sofort nach Kinostart in Vol.2, da sie sich ein ähnliches Fest erhofften, wie in Vol.1 geboten wurde und....wurden bitter enttäuscht. Beim Cineasten war die Erwartungshaltung durch Vol. 1 reduziert und man ließ den 17jährigen den Vortritt, da man es nicht mehr so eilig hatte und umso größer war die Überraschung: KILL BILL in seiner gesamten Schönheit und Länge ist nicht mehr oder weniger als mal wieder ein Meisterwerk aus der Feder QTs, über das noch viel gesprochen werden wird.
Auch hier gibt es natürlich etliche Referenzen und Querverweise durch das asiatische und auch westliche B-Kino. Sie alle aufzuzählen ist unmöglich, aber auch müßig, da sich mittlerweile nahezu alle damit beschäftigen.
Nur soviel: Fast jede Form der Aufnahmetechnik, Einstellung, Qualität des Filmmaterials etc. findet sich wieder und alles ergibt seltsamerweise Sinn und wirkt nicht wie ein Patchwork. Die Musik, sofern nicht Original, setzt sich aus Morricone-Stücken, Stücken Bacalovs aus italienischen Gangsterfilmen und den schon bekannten Stücken aus etlichen Martial Arts-Filmen zusammen.
War Vol. 1 eine Verbeugung vor dem japanischen Martial-Arts-Film, dem Manga und dem Italowestern, ist Vol.2 neben der Hommage an Hong-Kong-Kung-Fu-Filme komplett auf Western ausgerichtet. John Ford dringt durch alle Ritzen. Jedoch bleibt immer noch ein bisschen was über für Film Noir (speziell der Abspann), Lucio Fulci (dem er auch im Abspann dankt und dessen Sargszene aus EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL fast komplett und unglaublich klaustrophobisch kopiert wird) und und und.......
Man sieht nicht nur KILL BILL, man sieht 1.000 Filme gleichzeitig und seltsamerweise wirkt KILL BILL nie wie eine kopierte Verbeugung, nein, er wirkt seinen Vorbildern sogar überlegen (was natürlich nur so scheint), weil er sich ihrer auf die intelligentestmögliche Weise bedient.
QT ist aber eben auch ein grandioser Filmemacher. Die Liebeserklärung an seine großartigen Darsteller (allen voran natürlich lovely Uma) ist einzigartig. Nie war Travolta wieder so gut wie in PULP FICTION, Pam Grier macht jetzt genau was?, Michael Madsen hatte sowieso nur zwei ernst zu nehmende Filme gemacht, beide unter QT, und wo bitte war Darryl Hannah die letzten 10 Jahre? Alle diese Leute spielen sich die Seele aus dem Leib und sie wissen warum: Weil sie nie wieder in einem solchen Film mitspielen werden dürfen. KILL BILL Vol.2 ist ein verletzlicher Film, jenseits des Pop-Comic-Horizontes von Vol.1. Der Tonfall wird ernst und die vermeintlich einfache Rachegeschichte aus Vol.1 entpuppt sich als ein tragisches Seelendrama der Uma Thurman. Denn Bill (David Carradine, der Kwai-Chang-Kaine aus der Kung-Fu-Serie) war nicht nur ihr Peiniger, sonder auch ihr Liebhaber, Vertrauter, Mentor und Vaterfigur. Ihre Hochzeit mit einem unwichtigen No-Name war nichts anderes als ein Fluchtreflex vor der Welt, die Bill repräsentierte. Die Zuneigung zu und Abhängigkeit von Bill schien jedoch nie verloren. Wenn sie dann in der ersten halben Stunde von der Rachefurie aus Vol.1 zur besiegbaren, ängstlichen Frau wird, die von Sidewinder fast umgebracht wird, passiert das, was bei QT öfter passiert: Man meint, diese Situation schon mal gesehen zu haben und man kann auch etliche der Vorbilder aufzählen, aber war es je so gut und so echt?
So bekommt auch das Finale unmöglich zu erahnende Wendungen, da QT nach Belieben seine Welt des Pop-Universums verlässt und ins konventionelle dramatische Fach wechselt oder eine Mischform aus beiden darlegt. Sich immer des Bewusstseins des Zuschauers, gerade einen Archetyp-Movie zu sehen, seinerseits bewusst seiend und mit diesem Umstand spielerisch umgehend. Ein Hin-und Her der Gefühle überkommt einen. Spannung, Mitgefühl, Größe, ob der filmischen Vorbilder, Humor, Ästhetik etc. Gerade letzteres wird durch die schon in Vol.1 unglaubliche Kamerararbeit Robert Richardsons gewährleistet, der hemmungslos zwischen den gerade auf der Leinwand dargestellten Stilen springt, als sei er Chefkameramann bei Leone und Chang Cheh gewesen. Alles wird bedient und keines wird vernachlässigt. Wir befinden uns eben in einem Quentin-Tarantino-Movie.
Auch wenn ich es in drei Jahren wieder weit von mir weisen werde: Ja, ich bin bekennender Tarantino-Fan.
Mirco Hölling (06.05.2004)