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Der Titel klingt ein wenig nach Hohn. Von jenem Regisseur, der uns mit verschachtelt abgründigen (Alb-)Traumbildnissen zu verwirren und ängstigen wusste, kommt ausgerechnet ein Film mit dem Titel „The Straight Story“. Ein natürlich doppeldeutiger Titel, steht er sowohl für die Hauptfigur, Alvin Straight, für die tatsächlich sehr geradlinige Story und für einen ironischen Umgang mit einer an ihn gerichteten Erwartungshaltung. Was ist nun also passiert, ist er tatsächlich einem verfrühtem Anfall von Altersmilde zum Opfer gefallen?
Im Gegenteil, „The Straight Story“ fügt sich erstaunlich gut in sein übriges, gewöhnlich ungewöhnliches Schaffen ein, kein Stil- oder Gemütswechsel, sondern ein meditativ poetischer Film, der auch einige deutliche Parallelen zu seinen früheren Werken aufweist.

Gleich der Beginn ähnelt leicht dem von „Blue Velvet“. Wie bei jenem sehen wir idyllische Gärten in freundlich sonniger und parodistisch karikierter Beschaulichkeit, plötzlich ein lautes Geräusch, das uns unvermittelt aus jener Beschaulichkeit reißt. Ein dumpfer Knall, offenbar ein Sturz. Was bei „Blue Velvet“ ein Schlaganfall im satt grünen Vorgarten war, der Blicke ins Verborgene offenbarte und den Beginn eines abgründig verstörenden Albtraum markierte, ist in „The Straight Story“ ein alter Mann mit einem Hüftleiden, der im Haus gestürzt ist. Kein beginnender Trip ins Dunkle, sondern ein Prioritäten neu ordnender, einschneidender Augenblick eines gebrechlichen alten Mannes, der sich seiner Endlichkeit bewusst, den wirklich wichtigen Dingen, seiner Familie, zuwendet und dabei Strapazen in Kauf zu nehmen bereit ist.

Der Arzt, der nach dem Sturz darauf in Erscheinung tritt und Alvin untersucht, hat keine guten Nachrichten und macht auch einen eher betretenen Eindruck. Der Ratschlag, zumindest das Rauchen zu lassen und ein wenig kürzer zu treten, stößt bei Alvin auf taube Ohren, denn dass er ein sturer Bock ist, macht er seinem Umfeld immer wieder mit ein wenig trotzigen Stolz klar. Nach einer telefonischen Nachricht über den Schlaganfall seines Bruders, mit dem er sich vor gut zehn Jahren zerstrittenen hat, macht sich Alvin daran ihn zu besuchen. Seine Sehschwäche erlaubt es ihm nicht mehr ein Auto zu führen, der Busverkehr scheint für den gebrechlichen Mann zu umständlich und von anderen chauffieren möchte er sich nicht lassen, da laut Alvin dies eine Reise ist, die jeder für sich selbst machen muss. Letztlich bleibt nur sein in die Jahre gekommener Rasenmäher als einzige Lösung. Gute 300 Meilen sind es, die er bis nach Mount Zion in Wisconsin bewältigen muss, und nach einem Fehlstart macht er sich 6 Wochen lang daran, mit seinem Rasenmäher, der etwa 5 Meilen pro Stunde schafft, diese Reise zurückzulegen.

Der Film beginnt und endet mit dem gleichen Eintauchen in einen wunderschön träumerischen Sternenhimmel. Neben der gängigen Interpretation, eines gemächlichen Innehaltens und Betrachten der uns umgebenden Schönheit, nahe gebracht von einem altersweisen Mann, findet sich auch die Möglichkeit, den Film als langen und wunderschön traurigen Todesmarsch zu betrachten. Angefangen im kosmisch leuchtenden Sternenhimmel, als gefasst aufgenommene Todesahnung und uns entlassend mit einem in mehrer Hinsicht angekommenen alten Mann, der nach langer Zeit wieder vereint mit seinem Bruder auf einer leicht maroden Veranda sitzt und mit ihm wortlos in die Sterne blickt. Der Weg, der bekanntlich das Ziel ist, bildet einen traumverloren romantischen Blick auf ein in die Jahre gekommenes Land, auf starke, eingeprägte Erfahrungen und letztlich auf eine lange meditative Reise in die innere Ruhe.

Die typischen Lynch-Merkmale in Form von verschrobenen Charakteren sind ebenso wie der stets melancholische Stil hier wieder zu finden. Eine hektische Frau, die immer wieder an derselben Stelle einen Hirschen niederfährt (übrigens netter Verweiß auf „Wild at Heart“) und zwei streitsüchtige Zwillingsbrüder, die genauso verschlagen wie unreif zu sein scheinen, transportieren den für Lynch so typisch schrägen und auch stets leicht grimmigen Humor. Trotzdem wirkt „The Straight Story“ weniger verspielt und ja, erwachsener als viele seine anderen Werke. Man merkt ihm eine ernsthafte, ungekünstelte Liebe zu seinen Figuren an, die sich vor allem in lang, intim direkten Bildern mit dennoch stets respektvollen Abstand zu ihnen äussert. Etwa die von Sissy Spacek verkörperte Rose Straight. Alvins als „langsam“ verschriene Tochter wurde mit soviel Hingabe, so vielen subtilen Hinweisen auf den Charakter portraitiert und überdies von Spacek so liebevoll und nahegehend dargestellt, dass man die Academy angesichts ihrer verpassten (Oscar-)Chance einfach nur ohrfeigen will. Die Szene in der Rose, der man aufgrund ihrer Geistesschwäche ihre Kinder nahm, aus dem Fenster schauend ein kleines Kind mit einem herbeirollenden Ball betrachtet und plötzlich eine leicht gedrückte Stimmung ihr Gesicht verdunkelt, drückt in seiner sensiblen Subtilität so ungemein viel aus und bringt die tragische Tiefe der Figur einfach unübertrefflich auf den Punkt. Solcherlei Szenen sind im Film vielerorts vorzufinden und sie sind vor allem den ausbalancierten, nuancierten und genau ausgearbeiteten Charakteren zu verdanken bzw. wie sie Lynch sicher in Szene setzt und der großen Schauspielkunst aller Beteiligten allen voran Richard Farnsworth.

„The Straight Story“ ist ein letztes behutsames, elegant gefilmtes sowie spirituelles Resümee über die prägenden und wichtigen Augenblicke eines Lebens. Mit weiser Gelassenheit fährt Alvin verschiedene Stationen des Lebens ab, gibt Ratschläge, besinnt sich seiner Stärken und Schwächen und erfährt Dank und Bewunderung. Die sonnig goldfarben erstrahlenden Bilder dieser Reise, die Lynch mit Sorgfalt und bekannter Perfektion einfängt, untermalen den Film mit majestätisch warmer Vollkommenheit und wirken dennoch in ihrer Anmut irreal und fern eines wahren Abbildes. Eher ein poetisch verträumter und gelassener letzter Blick auf das Leben, ihre Etappen und die Welt. Einen schöneren letzten Film kann sich wohl kein Schauspieler wünschen. R.I.P. Richard Farnsworth

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