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„Damit dieser Film jedem verständlich wird, musste ich mehr Sexualität in die Szene bringen, als es bisher im Film üblich war.“

Um die sexuelle Aufklärung war es bis weit in die 1960er hinein in der BRD nicht sonderlich gut bestellt. 1967 war es dann soweit und mit „Helga - Vom Werden des menschlichen Lebens“ wurde ein Aufklärungsfilm vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben, der vor allem dadurch Aufsehen erregte, dass eine Geburt in voller „Pracht“ gezeigt wurde. Journalist Oswalt Kolle publizierte derweil in der Illustrierten „Neue Revue“ seine Aufklärungsreihe „Das Wunder der Liebe“ und machte sich damit nicht nur bei den Zensurbehörden, sondern vor allem bei einer Vielzahl Leser einen Namen. Im gleichen Jahr erschien der erste von acht Aufklärungsfilmen Kolles unter demselben Namen, als Regisseur engagierte man Franz Josef Gottlieb („Zärtlich, aber frech wie Oskar“). Die Zensur untersagte ihm, in Farbe zu drehen, um sich von Pornographie abzugrenzen und setzte zudem den Zusatztitel „Sexualität in der Ehe“ durch, um bloß nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, Sexualität könne auch außerhalb einer ehelichen Gemeinschaft stattfinden.

„Es ist ja nicht damit getan, dass jemand eine Geige hat. Es kommt darauf an, wie er sie spielt.“

Kolle eröffnet seinen Film betont sachlich und trocken, während er in den Illustrierten blättert, die seine Abhandlungen gedruckt haben. Es folgt eine Talkrunde mit den rauchenden wissenschaftlichen Beratern Prof. Dr. Dr. Hans Giese und Prof. Dr. W. Hochheimer, was ein bisschen wie eine Parodie von Loriot wirkt. Nach einer knappen Viertelstunde geht es dann endlich mit gespielten Sequenzen los und man widmet sich Fehlern in der Kindererziehung: Unterdrückung der kindlichen Neugierde in Bezug auf die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, die Vermittlung falscher Männlichkeitsideale, die Verteufelung von Selbstbefriedigung, die aufgrund nie erfolgter Aufklärung als erschreckendes Ereignis aufgefasste erste Menstruation. Etwas aus der Reihe fällt da eine Exhibitionistenattacke, die den Höhepunkt unfreiwilliger Komik dieser gestellten Szenen darstellt. Ferner wird die Doppelmoral in Bezug auf häufiger wechselnde Sexualpartner aufgegriffen und ein vermeintlicher Nachhilfeunterricht zwischen zwei jugendlichen Schülern entpuppt sich als Vorwand für ganz etwas anderes.

Nach dem Weg über Kindheit und Jugend kommt Kolle zum Kernstück seines Films und zeigt zwei längere, zusammenhängende Episoden inklusive nun mehr oder weniger offener Nacktheit, von denen die erste von einem frisch vermählten Paar handelt. Die Frau findet keine Befriedigung, da der Mann egoistisch auf die schnelle Auslebung seines eigenen Sexualtriebs fixiert ist. Das mitunter laienhaft und verschämt anmutende Schauspiel ist erneut von unfreiwilliger Komik und stellt das Kennenlernen der beiden nach, das mit Musik unterlegt wird. Offenbar wird versucht, tatsächlich so etwas wie eine erotische Atmosphäre auf die Leinwand zu transportieren und den dokumentarischen Pfad zu verlassen. Wenn auch die meisten Vorwürfe gegen Kolle selbstverständlich Quatsch waren, kann ich nachempfinden, dass er sich hierfür der Selbstzweckhaftigkeit verdächtig machte. Der erste Sex jenes Paars entpuppt sich dann als handfeste Vergewaltigung, ohne dass sie als solche bezeichnet würde oder der Kommentar näher darauf einginge. In der filmischen Gegenwart verarbeitet das Paar diese Erfahrung nachträglich und dröselt seine gesamte Sexualität auf, in deren Rahmen weitere Rückblenden Verwendung finden. Ab einem späteren Zeitpunkt kommentiert Kolle wieder aus dem Off und dank des sich Bewusstwerdens der Bedürfnisse des jeweiligen Partners bewendet sich alles zum Guten.

Die nächste Episode beginnt damit, dass die Kinder der Familie das gute alte DDR-Sandmännchen gucken. Ob das ein Seitenhieb Kolles auf den verglichen mit der DDR in Aufklärungsfragen peinlich rückständigen Westen war? Wie auch immer, der Familienvater hat jedenfalls nur noch seine Arbeit im Kopf und vernachlässigt seine Frau gerade auch in sexueller Hinsicht, weshalb sie Gefahr läuft, ihn zu betrügen. Überblendungen versinnbildlichen ihre Fantasien während der Selbstbefriedigung – erstmals agieren Kamera und Schnitt richtiggehend künstlerisch und versuchen sich merklich wieder an der Erzeugung erotischer Stimmung, den engen Rahmen sachlicher Aufklärung deutlich sprengend, so auch in späteren ausgewalzten Erotikszenen. Kolles Aussage, dass man durch ein offenes Miteinander, durch das Thematisieren von Problemen und Befindlichkeiten zahlreiche Eheprobleme bewältigen könne, erscheint trivial, musste in Zeiten der Tabuisierung der Sexualität aber anscheinend ausgesprochen werden und hat vielleicht wirklich neuen Pepp in manch „eingeschlafene“ Ehe gebracht.

Kolle schließt seinen Film mit geradezu mahnenden Worten und das war er dann – der erste nichtstaatliche deutsche Aufklärungsfilm, noch getriezt von der Zensur, einen etwas abenteuerlichen Spagat zwischen wissenschaftlicher Sachlichkeit und trotz aller nackter Tatsachen eher verklemmten denn offenen Erotik wagend, offensichtlich diverse Zugeständnisse machend, nicht nur deshalb aus heutiger Sicht unfreiwillig komisch – wobei letzteres vor allem auch dem Umstand gilt, dass derlei Filme überhaupt notwendig waren und sich die bundesdeutsche Gesellschaft so lange hat unter die Knute heuchlerischer Pseudomoral drängen lassen. Quasi alles, was Kolle in „Das Wunder der Liebe“ ansprach, ist richtig und heutiges Allgemeinwissen und somit kann ich dem Film weder guten Willen, noch inhaltliche Relevanz absprechen. Zudem traf er den Nerv seiner Zeit und avancierte zu einem vollen Erfolg, zum Missfallen moralistischer Kreise, die ihn selbstredend verächtlich beäugten. Filmhistorisch ist er ohnehin und nicht nur im (semi-)dokumentarischen Kontext von Interesse, denn gerade diese Art von Filmen war es schließlich auch, die die sexuelle Revolution auf der Leinwand weiter vorantrieben und einen Pseudo-Reportagenstil zu etablieren halfen, der sich bis heute gerade im eindeutig nichtwissenschaftlichen Erotik-Bereich exploitativer Ausschlachtung und damit einhergehend gewisser Beliebtheit erfreut.

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