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Bill White nimmt das Leben leicht. Seit 20 Jahren ist er Lokführer, und wenn sein Zug an dieser bestimmten kleinen Station vorbeifährt springt er raus, gibt sich ein Rührei, flirtet auf Teufel komm raus mit der süßen Bedienung, zählt nebenbei noch die vorbeifahrenden Waggons, zahlt, und springt rechtzeitig wieder auf den letzten Wagen um dann über die Dächer zu seiner Lok zu laufen. Sein bester Freund ist Jack, mit dem er seit 20 Jahren im Führerstand ein erstklassiges Team bildet. Die beiden sind so gute Freunde, dass Bill, als er im Vollsuff aus seinem möblierten Zimmer fliegt, problemlos bei Jack unterkommt und dort auch bleiben kann. Bill lacht viel, Bill singt, Bill pfeift sich eines, und eigentlich besteht sein Leben aus Spaß bei der Arbeit, Saufen und Weibern. Bis zu diesem Tag, denn an diesem Tag küsst er Lily, die Frau von Jack. Bill verliebt sich in Lily. Und Lily verliebt sich in Bill. Es ist vorbei mit dem Spaß und mit den Weibern, denn da ist diese unausgesprochene Beziehung, die zwar nie über einen einzigen Kuss hinausgekommen ist, die aber dieses Freundesdreieck böse belastet. So böse, dass Jack, der kein Dummkopf ist, merkt dass da etwas war, und Bill böse Vorwürfe macht, dass dieser mit seiner Frau rumgemacht hat. Der Vorwurf lautet Sex, und Bill wehrt sich dagegen. Es kommt zu einer Schlägerei, und das Resultat ist ein zerstörter Güterzug und ein schwer verletzter Jack – Jack erblindet bei der Prügelei, und er wird bis zu seinem Tod auch blind bleiben. Jetzt ist er auf die Hilfe derjenigen Frau angewiesen, von der er meint, dass sie ihm untreu war …

Es ist unglaublich und faszinierend, wie Regisseur William Wellman den Ton des Filmes innerhalb von Sekunden umdreht, wie aus einer leichtfüßigen und ausgesprochen frivolen Pre Code-Komödie, die Sex andeutet und Alkohol zeigt, ein düsteres Drama wird, dass dann diese Schwermut auch bis zum Ende problemlos durchhält. Bill wird durch diesen Kuss ein anderer Mensch – Er findet keinen Spaß mehr am Leben, und selbst Marie, die Bedienung aus der Lokführerkneipe, die Bill so gerne heiraten möchte, kann nicht mal mehr ansatzweise zu ihm durchdringen. Fast hätte sie ihn in seiner Lethargie so weit gebracht, dass er sie heiratet, aber im letzten Augenblick erkennt sie, dass sie für ihn nie etwas anderes wäre als ein Spielzeug. Ein Püppchen zum Flirten und schnell wieder vergessen. Bill lebt ab diesem Kuss in einer privaten Hölle, und Wellmann findet mit dem Unwetter, welches das letzte Drittel des Films in Wort und Bild beherrscht, auch die adäquaten Bilder. Bilder, die dem sonnigen und heiteren Familienleben diametral entgegenstehen, und die dadurch ausgesprochen realistisch wirken. Gerade weil Wellmann eine Geschichte erzählt, die trotz ihrer dramaturgischen Überhöhung so lebensnah ist – Von der himmelhochjauchzenden Glückseligkeit bis zur tiefsten Verzweiflung sind es halt meistens nur ein paar wenige Schritte, und Bill muss dies schmerzhaft am eigenen Leib erfahren.

Gleichzeitig zeigt uns Wellman das Leben der einfachen Leute, der Lokomotivführer und ihrer Frauen. Ein Leben voller Lebensfreude („Möchtet Du Dein Rührei zwischen zwei Brötchenhälften?“ „Zwischen zwei Brötchenhälften? Nein, das hatte ich erst letzte Nacht.“), wo gerne mal zu viel getrunken wird, und Nachbarschaftshilfe und Freundschaft keine leeren Floskeln sind. Gerade die Komponenten Sex und Alkohol, 1930 hatten die USA immerhin noch die Prohibition, werden hier mit einer Freimütigkeit behandelt, die nur ein Pre-Code-Film so darstellen konnte. Was dem Drama ausgesprochen gut tut, denn gerade dadurch bekommt die Geschichte diesen Dreh zum wirklichen Leben, werden die Figuren zu Personen aus Fleisch und Blut. Und bekommt der Film einen Drive, der ihn in seinem Schwung und seiner Hemdsärmeligkeit geradezu modern macht. OTHER MEN‘S WOMEN könnte auch ein Film mit und von George Clooney sein, und es macht unglaublich Spaß zu sehen, dass auch bereits 1931 Leichtigkeit und Schwere sich nicht zwingend ausschließen mussten. Für alle, die auf gut erzählte Geschichten stehen, ist OTHER MEN‘S WOMEN ein einziges Freudenfest! Und für alle filmhistorisch aufgeschlossenen ebenfalls. Und sei es nur wegen der formidablen Tanzszene James Cagneys …

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