“This is the Story of The Planet Spermula and her Star Whores”
“Spermula” ist eine Mischung aus Science-Fiction, Gesellschaftssatire, Erotikfilm und avantgardistischem Experimentalfilm und besticht in erster Linie durch einen interessanten, wummernden Synthie-Score und ein kreatives Produktionsdesign. Charles Matton, dem kein weiterer nennenswerter Film gelang, schafft es sein Werk auf diesem schmalen Grad über die gesamte Laufzeit zu retten und liefert einen beachtlich intensiven psychedelischen Trip. Außerdem überzeugen die Darsteller beinahe durchweg, wobei besonders die prominenten Namen Udo Kier und Eva Ionesco heraus stechen. Kier liefert eine gewohnt souveräne Vorstellung ab ohne sich zu sehr anzustrengen und bleibt in den meisten Sequenzen eher von stoischer Ruhe geprägt.
Das leidige Thema Eva Ionesco: Noch vor “Maladolescanza” ist die hier elfjährige (!) Darstellerin in eindeutig erotisierenden Positionen zu sehen. Dieser Faktor wiegt allerdings nicht so schwer wie im genannten Skandalfilm, da sie erstens weit weniger präsent und kürzer sind, zweitens weil sie in einem weitaus anspruchsvolleren künstlerischen Kontext stehen, nichtsdestotrotz frag- und diskussionswürdig bleiben. Bekanntlich bekam Ionesco nach ihrem skandalträchtigen und medienwirksamen Karrierebeginn nicht über unbedeutende Rollen hinaus, blieb hauptsächlich als nacktes Kind in der Erinnerung geschulter Exploitation-Fans. Selbst die Wiederveröffentlichung von „Maladolescenza“ aus dem Hause X-Rated hat vor wenigen Jahren nochmals hohe Wellen geschlagen und zu einer erneuten öffentlichen Diskussion geführt. Im Rahmen der Öffentlichkeit stand „Spermula“ dagegen nie, zu unbekannt blieb der Film um im Spiegel oder Stern besprochen zu werden oder zum internationalen Kultobjekt zu avancieren. Und das obwohl der mit Hardcore-Sprenkeln gezierte Kunsttrash weitaus provokativer daher kommt als so mach gestandener Kultfilm.
Die Story erinnert besonders in der internationalen Fassung deutlich an die Erotikklamotte „Ach, jodel mir noch einen“, der es aber im Gegensatz zu Matton’s Film bei frivol-obskurer Unterhaltung beließ und keine weiteren Denkanstöße bezweckte. Sicher kann man auch „Spermula“ als rein oberflächlichen Unterhaltungsfilm betrachten, diese Vereinfachung wird dem Film letztlich aber nicht gerecht. Zu pointiert sind die spitzen Bemerkungen zur Frauenbewegung und zu versiert ist die teilweise mit Farbfiltern verfremdete Optik gestaltet. Neben den sinnlich, wenn auch überbetont künstlich, ausgeleuchteten Erotikszenen offenbart der Film seine visuellen Qualitäten in der geschickten Kameraführung, die, trotz einiger Unsauberkeiten, mit guter Perspektivenwahl und einigen sehr gelungenen Fahrten überzeugt und sich weit über den konventionellen Schnitt hinweg setzt.
Glücklicherweise besinnt sich Charles Matton auf eine selbstironische Inszenierung, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten witzig auf die Schippe nimmt und so einen kruden Humor erzeugt. Überhaupt werden sich Erotikfans schwer zu tun mit den symbolbeladenen Bildern und dem langsamen Tempo – insgesamt verzichtet die Handlung streckenweise ganz auf den Einsatz erotischer Szenen und versinkt ganz in seiner ureigenen, traumartigen Atmosphäre. Aufgrund der teils surrealistisch anmutenden Handlung und den dazugehörigen Bildkompositionen leidet der Unterhaltungswert natürlich beträchtlich, was aber von der feinen Selbstironie zum größten Teil aufgefangen und relativiert wird. Unterhalb der provokativen Oberfläche entpuppt sich „Spermula“ aber als höchst individualistisches Plädoyer für freie Liebe und intelligente Parodie auf den französischen Kunstfilm – für unaufmerksame Augen getarnt als Abrechnung mit dem Mainstream-SciFi, so hat es Matton eher auf die Intellektuellen abgesehen. Außerdem gibt es versteckte Anspielungen auf die damals noch aktuelle Todesstrafe sowie zur fragwürdigen Kolonialpolitik Frankreichs.
Fazit: Ein Muss für Fans des Euro-Trashs. Streng genommen ist die originelle Genreverquickung zwar keiner filmischen Gattung verpflichtet, erinnert aber an die besten Momente von Exploitation-Größen wie Joe D’Amato, Jess Franco oder auch Jean Rollin. Irritierend, ästhetisch interessant und visuell ansprechend inszeniert ist „Spermula“ allemal – eine Entdeckung kann sich also durchaus lohnen.
7,5 / 10
Es existieren zwei in Grundton und Atmosphäre verschiedene Versionen, wobei die französische Originalfassung der internationalen Version eindeutig vorzuziehen ist. Leider sind beide Fassungen eher rar und daher als Geheimtipps zu betrachten.