Review

So langsam komme ich auf den Geschmack


Sergio Martinos „Der Killer von Wien" von 1971 begegnet einem recht zuverlässig und zügig, wenn man sich für das italienische Genre des Gallios interessiert. Den den unendlichen Weiten des Internets entnommenen Informationen nach gilt der Titel gemeinhin als einer der besten Gialli und so griff ich bei einer Sonderedition von Koch-Media dann vor einiger Zeit zu.
Beim ersten Ansehen muss ich dann aber irgendwie anderweitig beschäftigt gewesen sein, denn bei der Zweitsichtung kam mir vieles neu vor und erst jetzt habe ich den Film mit der gebührenden Aufmerksamkeit verfolgt. Das hat sich dann auch gelohnt, denn Martino serviert uns hier tatsächlich eine prototypische Genreperle, die qualitativ eher überdurchschnittlich anzusiedeln ist und gerade in Bezug auf die Handlung das ein oder andere Wendemanöver hinlegt. 

Dabei wirken diese geschlagenen Haken und das Ende nicht wie hinzugeklatschte psychologische Erklärungen, die irgendwie den Rahmen für das Eyecandy nachträglich festigen sollen, wie es bei anderen Filmen des Genres, beispielsweise bei dem auch sehr gelungenen „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" von Dario Argento, der Fall ist. Tatsächlich wird ein bis dahin auf der Handlungsebene eher mittelprächtiger Thriller durch die Ortswechel und die damit verbundenen Plottwists erst so richtig interessant.

Die Schauspieler sind Freunden italienischen Genrekinos sicherlich bekannt, denn die hier noch sehr junge Edwige Feneche sollte noch in zahlreicheren weiteren Filmen ihre Hüllen fallen lassen dürfen und George Hilton war durch den Italowestern bereits eine feste Größe des italienischen Kinos. Das markante Gesicht von Ivan Rassimov kommt einem auch sofort bekannt vor, wenn man sich für europäisches Kino der Sechziger und Siebziger interessiert; selbst, wenn man ihn nur einmal zuvor gesehen hat. Was mir außer der Story in Erinnerung geblieben ist, ist die gelungene Machart, die zahlreiche schöne Kamerablickwinkel und Setdesigns bereithält und einen Soundtrack liefert, der tatsächlich ebenso markant wie das Gesicht von Rassimov ist. Nora Orlandi hat es dann mit ihrer Kernkomposition „Dies Irae" letztlich durch Tarantino in „Kill Bill Vol. 2" zu Weltruhm geschafft. 

Und hier kommt eben das Besondere dieser Genrefilme zusammen: Die Musik ist extrem stimmungsvoll und ergibt mit dem Look des Films eben die Atmosphäre, die man von einem Giallo halt erwartet. Das ist eine Mischung aus Drama mit Grusel, Mystery und Thrill, die zumindest tonal mit einer großen Portion hingebungsvoller Melancholie angereichert wird. Natürlich gibt es auch immer wieder diese ungeschickt wirkenden Sequenzen, in denen das Schauspiel oder die Kameraführung etwas vernachlässigt werden, aber das gehört zum italienischen Kino offenbar immer dazu. 
So schick wie bei dem früheren Argento wird hier allerdings nicht fotografiert, aber dafür hält man sich angenehm mit selbstzweckhaften Gewaltszenen zurück, die oftmals Genrebeiträge zu sehr in die Schmuddelecke rückten. Hier sei "New York Ripper" von Lucio Fulci als Negativbeispiel angeführt. Von solchem Mist ist Martino hier meilenweit entfernt.


Fazit

„Der Killer von Wien" bedient die zum Erscheinungstermin des Films noch recht frischen Genrekonventionen bravourös und erlangt in seiner Gesamtwirkung darüberhinaus noch eine große Eigenständigkeit, die ihn vom oftmals plakativen Durchschnittsgiallo abhebt. Sergio Martino ist somit nicht nur ein guter Genrebeitrag gelungen, sondern auch eine generelle Filmempfehlung für diejenigen, die sich gerne dem europäischen Kino der Nachkriegszeit widmen. Allerdings muss man mit der misogynen Grundausrichtung der Filme zurecht kommen, die hier aber zumindest klar verurteilt wird. Als große Filmkunst würde ich das nicht unbedingt bezeichnen, aber für einen aus rein finanziellem Interesse gedrehten Film gibt es hier ziemlich viel Charakter und bei mancher Einstellung würde manch ein Arthouse-Flick vor Neid erblassen.

Und das Beste für mich: Der Film hat mir so viel Lust auf das Genre bereitet und es gibt noch so viel zu entdecken. Sollte auf zehn Filme dann jeweils einer von der Qualität von "Der Killer von Wien" kommen, würde sich das schon lohnen.

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