Dass Michael Haneke Filme keine leichte Kost und daher schwer zugänglich sind, sollte einem klar sein. "Code: unbekannt", "Die Klavierspielerin" oder mein Favorit "Funny Games" sind zwar allesamt Gesellschaftsdramen, aber nicht im herkömmlichen Sinn. Wo viele andere Werke des Genres Manches vernachlässigen oder der Quote wegen gar nicht erst ansprechen, zieht es der österreischische Regisseur Haneke bis zum bitteren Ende durch, er bedient sich Tabus und deckt jedes kleine Detail schamlos auf.
So auch in "Wolfzeit", der storytechnisch an "28 Days later" oder "Quiet Earth - Das letzte Experiment" erinnert. Eine Familie mit 2 Kindern ist auf dem Weg zu ihrem Ferienhaus, abgeschieden von der Zivilisation. Dort angekommen, wird der Vater von einem anderen Mann ermordet, der mit seiner Frau und seinem Kind mutwillig in das Haus eingebrochen ist. Fortan ist die Witwe mit ihrer Tochter und ihrem Sohn auf sich alleine gestellt und flüchtet vor dem Mörder ins große Unbekannte. Denn schon bald stellt sich heraus, dass sie nicht nur von der Zivilisation abgeschottet sind, sondern aufgrund einer Katastrophe sämtliche Ressourcen äußerst knapp sind, Kühe verbrannt werden und Leichen in den Feldern liegen. Als sie doch noch auf Mitmenschen stoßen, droht die Lage aber zu eskalieren.
"Wolfzeit". Der Name ist Programm. Der Mensch wird zum Raubtier, zum Wolf, wenn es ums eigene Überleben geht und die Mittel dazu begrenzt und immer rarer werden. Als die Mutter, Anna ihr Name, mit ihren Kindern Eva und Ben von Haus zu Haus gehen und um Lebensmittel fragen, wird sie meistens rücksichtslos stehen gelassen und weitergeschickt. Essen und Trinken sind zu Luxusgütern geworden, die Landschaft ist äußerst bedrückend von Nebel eingehüllt. Minutenlang wird Nichts geredet, schweigend bewegt sich Anna mit ihren Kindern fort, eine Reise ohne Ziel und vor allem ohne große Hoffnung. Diese wächst, als die Drei einen verlassenen Bahnhof auffinden, in dem schon ein paar andere Opfer der Situation hausen. Über die Katastrophe, die stattgefunden hat, wird zu keiner Sekunde gesprochen, geschweige denn irgendwelche Anspielungen darauf gemacht. Ein großes Mysterium also, welches aber eh nicht von großer Bedeutung ist. Vielmehr geht es Haneke darum, aufzuzeigen, wie sich Menschen verhalten und verändern, wenn sie einmal in eine solche Situation geraten.
Das Antreffen anderer Mitmenschen entpuppt sich aber als gar nicht so großes Vorteil, denn die Zeiten, in denen es zumindest meistens Werte wie Moral und Normen gab, sind nun längst vorbei und ein Leben ohne Richtlinien ist nicht lebenswert und vor allem nicht lange mehr ein Leben. Ein paar Anführer der Gruppe haben sich schon hervorgetan, die die aussichtslose Lage in die Hand nehmen, ganz zum Leidwesen anderer. Speis und Trank kann nur erworben werden, indem man mit Gütern wie Feuerzeuge, Fahrräder oder Uhren tauscht. Dinge, die im normalen Leben als das Selbstverständlichste angesehen werden, sind nun von elementarer Bedeutung und würden schmerzlichst vermisst werden. Auch mit körperlichen Diensten kann oder muss bezahlt werden, wenn es keine anderen Tauschmöglichten mehr gibt.
Ein Junge, den die zentrale Familie auf ihrem Weg zum Bahnhof aufgegabelt hat, sieht es realistisch und hat die erschreckende Erkenntnis, sich lieber abzuseilen und sein eigenes Leben auf die Beine zu stellen, fern des Bahnhofs und der darin hausenden und vergewaltigenden Wesen. Denn was ist ein Leben ohne Regeln. Zu gefährlich, ja auch zu animalisch. Wie Wölfe eben.
Das große Problem an "Wolfzeit" jedoch ist, dass er wirklich quälend unterhält. Nämlich eigentlich gar nicht. Das ist sicher auch nicht im Sinne des Regisseurs und seiner Story, doch der Zuschauer leidet schon sehr an der Stoik und der unglaublichen Behutsamkeit, mit der Haneke seine Geschichte erzählt. Das ist mitunter kaum erträglich und nervend. Nun kann man diskutieren, ob genau das nicht sogar ein Vorteil am Film darstellt, weil diese Handlung ja auch nicht großartig unterhaltsam sein soll, doch für 108 Minuten ist das zu schleppend und für einen Film ganz einfach zu anstrengend.
"Wolfzeit" ist sicher anspruchsvolles und bedeutungsschwangeres Kino, das sogar mit ein paar schönen Bildern überzeugen kann, doch Alles in allem ist er für mich zu langweilig und teilweise wirklich unerträglich. Nicht dass ich mir bei derartigen Filmen Kurzweile und grenzenlose Unterhaltung wünsche, doch Haneke hat meines Erachtens bei "Die Klavierspielerin" und vor allem bei "Funny Games" bestens bewiesen, dass man Gesellschaftskritik auch kurzweilig, ja bisweilen sogar unterhaltsam gestalten kann. Nicht zu unterschätzen, aber sicherlich nicht Hanekes bester Film.
6/10 Punkte