31 Jahre nach seinem „letzten Tango“ kehrt Regisseur Bernardo Bertolucci mit seinem neusten Werk „the Dreamers“ nach Paris zurück und liefert erneut einen Beitrag zum Thema „sexuelle Befreiung“ – dieses Mal mit jugendlichen Charakteren im Rausch der Sinne, ähnlich freizügig, aber weniger nachhaltig (von dem Prädikat „Klassiker“ trennt dieser Film Welten). Zwar veranlasste die sehr offen in Szene gesetzte Sexualität ein amerikanisches „NC-17“-Rating, löste jedoch keinen (medien-) wirksamen Skandal aus. In Deutschland gab man den Film bereits „ab 16 Jahren“ frei (vielleicht durch einen „künstlerischen Bonus“?), was meiner Meinung nach aber auch nicht ganz passend ist…
Erzählt wird die Geschichte von Matthew (Michael Pitt), der in den späten 60er Jahren auf einer Demo gegen die Schließung eines Kinos in Paris die schöne Isabelle (Eva Green) und deren Bruder Theo (Louis Garrel) kennen lernt. Die gemeinsame Begeisterung für klassische Filme verbindet sie auf Anhieb, und schon bald zieht Michael bei dem Zwillingspaar ein, die in einem edlen Appartement quasi für sich alleine leben, da ihre Eltern die meiste Zeit unterwegs sind.
Michael ist gefesselt von Isabelles verzaubernder Art, muss sich aber über die Intimität der innigen Geschwisterbeziehung wundern – beide schlafen beispielsweise in nackt einem Bett und scheinen ihr Leben fast ausschließlich zusammen zu verbringen. Trotzdem ist er glücklich, endlich Gleichgesinnte gefunden zu haben, und so verbringen sie die Tage mit „Filme raten“ oder dem Nachstellen berühmter Kinoszenen.
Mit der Zeit werden die Spielchen jedoch immer direkter und nehmen intime Züge an: Theo muss sich beispielsweise nach einer verlorenen Herausforderung vor den anderen selbst befriedigen, und als Matthew schließlich eine Frage nicht rechtzeitig beantworten kann, fordert ihn Theo zum Sex mit seiner Schwester in seinem Beisein auf, wobei er sie dann gar entjungfert...
Fortan entflammt eine heftige Affäre zwischen den beiden, in dessen Verlauf Matthew versucht, Eva etwas von dem Einfluss ihres Bruders zu lösen, was sie jedoch nur zu einem geringen Maße zulässt. Freizügig, mit Drogen, Alkohol, politischen und filmischen Debatten, spielt sich ihr Leben in der Folgezeit fast ausschließlich innerhalb der Wohnung ab, doch irgendwann werden die drei Träumer von der bitteren Realität eingeholt – sie werden mit schmerzhaften Ernüchterungen konfrontiert (wie als die Eltern sie gemeinsam nackt schlafend erwischen), und unüberwindliche Differenzen der Lebenseinstellungen von Matthew und den Geschwistern tun sich auf, welche das Ende ihrer persönlich gefundenen Unschuld (gegenüber der Außenwelt) einläuten…
Ich wollte diesen Film wirklich mögen, denn allein die Prämisse erschien mir großartig und mit Bertolucci auch in den richtigen Händen:
Eine filmische Liebeserklärung an die goldenen Zeiten des Kinos, gespickt mit Zitaten, Referenzen und (Original-) Filmausschnitten. Die sexuelle Befreiung der Jugend, erzählt vor einem Hintergrund des Umbruchs – zu der Zeit wurden nämlich etliche Kinos von der französischen Regierung „zur Bewahrung der kulturellen Werte“ geschlossen, 1968 entflammten die Studentenunruhen als Prostest gegen den Vietnam-Krieg auf den Straßen von Paris…
Nicht nur angesichts der hohen Erwartungen ist Bertolucci in meinen Augen jedoch leider gescheitert: Die Stimmung der auflodernden Kulturrevolution wird kaum eingefangen – stattdessen fixiert sich die Handlung zu sehr auf das Treiben innerhalb des Appartements. Die Demo am Anfang, mit der integrierten Verbindung zum Kino, war sehr gut gewählt, doch dann geht es nur noch um den (mentalen wie körperlichen) Strip der drei Charaktere, die am Ende vorm Abgrund stehen, bevor eine Straßenschlacht ihnen neue Impulse verleiht, die Verbindung der beiden Parteien jedoch durchtrennt. Diese letzten 5 Minuten des Films versuchen das Chaos des Umbruchs aufzuzeigen, wirken aber gerade dadurch plakativ (und sind zudem noch unbefriedigend steril inszeniert worden). So wie dieser politisch angehauchte Abschluss wirken viele Szenen einfach aneinandergesetzt, statt als Gesamtbild zu harmonieren.
Hinzu kommen noch logische Brüche und Fehler: Zum Beispiel ist in einer Szene das Geld verbraucht, so dass die Drei ihr Essen aus den Mülltonnen heraussuchen müssen – kurz darauf ist alles jedoch wieder in Ordnung (jene Tatsache wird nie wieder erwähnt, und erst viel später im Film erhalten die Geschwister schließlich einen neuen Scheck der Eltern als Lebensgrundlage)…
Punkten kann der Film in Sachen Musikuntermalung (Hendrix, the Doors, Janis Joplin etc) und wenn Originalaufnahmen (der zitierten Filme oder von den tatsächlichen Demonstrationen) mit den neuen Szenen verbunden werden. Die Schauspieler agieren gut und trotz der Freizügigkeit natürlich – vor allem Eva Green ist eine echte Entdeckung (hier in ihrem Debüt, demnächst in Ridley Scotts „Kingdom of Heaven“ zu sehen). Die Inszenierung ist unspektakulär, aber edel und sehr schön anzusehen.
Man muss dem Film einige absolut großartige Momente zugestehen: Als „die Träumer“ den Lauf durchs Louvre-Museum aus Goddards „Bande a Part“ nachstellen, werden die Szenen des Originals mit denen dieser Handlung kombiniert, was einen brillanten Effekt erzeugt. Der Gesichtsausdruck der Eltern, als sie die Kids nackt schlafend vorfinden, Isabelles Mimik, als ihr wenig später bewusst wird, dass ihre Eltern sie so gesehen haben und wortlos wieder gegangen sind – einprägsam und intensiv. Meine Lieblingsszene bleibt jedoch, als Isabelle Matthew zum ersten Mal küsst, und ihre Haare dabei aus versehen in die Kerze geraten – das ist einer dieser magischen Momente des Kinos, die man nicht so schnell vergisst, da diese eine Szene die gesamte Handlung versinnbildlicht und mehr ausdrückt als tausend Worte…
Und nun noch ein Wort zu den freizügigen Szenen: Zwar sind sie allesamt sehr offen, direkt und realistisch, doch zwingend notwendig (für Handlung oder künstlerischen Anspruch) waren sie in ihrer Gesamtheit nicht unbedingt (das war schließlich auch der Grund, warum „Donnie Darko“-Star Jake Gyllenhaal die Hauptrolle ablehnte). Schon bei „Stealing Beauty“ warf man Regisseur Bertolucci die Verwirklichung von Altherrenphantasien vor – das könnte man auch in diesem Fall, schließlich zeigt er Schamlippen, halb erigierte Penisse, eine blutige Entjungferung, Menstruationsblut in Badewasser, Pinkeln in Waschbecken, eine ausführliche Masturbation und etliche „full frontal“-Aufnahmen aller Beteiligten. Gestört hat mich das persönlich nicht, aber es lenkt von den Hintergrundmotiven des Films ab, den man mehr Aufmerksamkeit hätte zukommen lassen müssen, als bloß die Darsteller gut und nackt in Szene zu setzen…
Der Film hat mich unweigerlich an Zalman Kings „Delta der Venus“ erinnert: Auch jene Romanverfilmung behandelte sexuelles Erwachen vor dem Hintergrund von Protesten und Ausschreitungen in Paris, doch wollte jener Film wenigstens nicht mehr sein als er war – ein einfaches Softsex-Drama, und genau so wirkt „die Träumer“ letztendlich.
Fazit: „the Dreamers“ soll eine Liebeserklärung an das Kino und eine Studie sexueller Befreiung vor dem Hintergrund der französischen Kulturrevolution sein – nur leider werden diese Elemente von der Gewichtung des Regisseurs zugunsten eines pseudointellektuellen Sex-Dramas in den Hintergrund gerückt … daher nur 5 von 10.