Es blaut die Nacht, die Sternlein funkeln.
Ich sitze in der guten Stube, der Kamin prasselt und Richard Curtis rückt den Eierpunsch erst raus, wenn ich eine brauchbare Kritik abgeliefert habe. Durchs Fenster sehe ich die Adventszyniker ein neues Klagelied vom Ausverkauf der Gefühle, von Schmalz und Schwulst anstimmen. Ich vermute, sie haben Recht, aber ich gebe trotzdem nichts. Ich mache nicht auf – schließlich ist bald Weihnachten.
Alle Jahre wieder ist es soweit, das Kino präsentiert uns ein Rührstück zum Fest, vorzugsweise bunt und klebrig, als wären deutsche Innenstädte nicht schon Folter genug.
Man kann das lieben oder hassen und die meisten fallen drauf rein, der Rest rümpft die Nase.
Von besonderer Penetranz sind dabei die Amis, die jeglichen Ansatz von Subtilität oder Originalität gern mit der Keule erlegen. Das soll gegen Herbstdepression helfen und da braucht man nun mal was fürs Herz. Nur sind dieses Jahr die Engländer dran und zwar in Form von Richard Curtis Regiedebüt. Das macht Mut, denn Briten besitzen deutlich mehr Schärfe und Curtis kann es. Zu Beginn seiner Kinokarriere lieferte er die meisterhaft komischen Drehbücher für den Geheimtipp „Das lange Elend“ und das Meisterstück „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und selbst wenn er jetzt nicht mehr auf der Höhe seines Könnens ist („Notting Hill“ war etwas zu formelhaft, um mehr als zu gefallen), so kennt er sich auf seinem Fachgebiet, der Romantikkomödie doch immer noch hervorragend aus.
Leider nur kommt hier kein schlüssiges Originalskript zum Tragen, sondern sein ganz persönlicher Zettelkasten, in dem sich so manche romantische Idee angesammelt hat, die nicht das Format für einen ganzen Film. Inmitten einer vielsträngigen und untereinander verflochtenen Episodenhandlung haben sie aber eine Chance, denn was sich als nicht so stark erweist, kann durch die besseren Ideen wieder ausgeglichen werden.
So fällt das Ergebnis dann auch sehr unterschiedlich aus, was die Qualität betrifft. Grundsätzlich sind es kleine, feine Geschichten rund um die Liebe, irgendwo zwischen Realitätsnähe und reiner Filmutopie, aber immer mit der nötigen Portion Witz und Ironie veredelt.
Einiges ist gänzlich überflüssig, wie die beiden Pornodoubles, die sich langsam anfreunden – ein fast komplett unentwickelter Einfall. Auch der nicht allzu hübschen Kellner, der sich von einer Reise in die USA massenhaft willige Chicks erwartet und unglaublicherweise exakt das bekommt, was er wollte, ist die Filmzeit kaum wert.
Anderes schwankt zwischen hübscher Vignette (der frisch getrennte Autor, der sich in seine portugiesische Haushaltshilfe verliebt, obwohl beide nicht wissen, was der andere sagt) und feiertäglicher Routine (der Chef, der um ein Haar Ehebruch begeht und bemerken muss, dass seine Ehefrau ebenso aufmerksam wie opferbereit ist).
Natürlich sind auch ein paar Standards dabei, wie etwa (ein geradezu unheimlich fehlbesetzter) Hugh Grant als Premierminister, der sich in seine Hausangestellte verguckt oder Rowan Atkinson in einem hinreißend zurückhaltenden Cameo, aber das war eben zu erwarten. Grant zieht sein Ding aber wie immer gekonnt durch und solange er seine Standards so gekonnt präsentiert, braucht er kaum schauspielerische Herausforderungen.
Angenehm fällt Keira Knightley Auftritt als frischgebackene Ehefrau aus, die versucht, sich mit ihrem unkooperativen Trauzeugen anfreunden will und plötzlich mit einer ungeahnten Überraschung konfrontiert wird. Das ist nicht sooo originell, aber sowohl die per Video präsentierte Wahrheit als auch die dylaneske Auflösung, sind frisch.
Gut, wenn auch nicht neu, eine der beiden eher traurigen Episoden, in der eine junge Frau, die einen Kollegen seit ewigen Zeiten anhimmelt, sich zwar erfolgreich ein Herz fasst, aber anderen Realitäten ihres Lebens nicht entkommen kann.
Das absolute Highlight ist und bleibt jedoch der britische TV-Star Bill Nighy, der als abgehalfterter 70‘s-Singer mit einer scheußlichen Coverversion von „Love is all around“ das Comeback versuchen soll und nicht unversucht lässt, um sich in allen Medien danebenzubenehmen. Allein diese Episode atmet die für den früheren Curtis so typische Außenseiterspritzigkeit a la „Das lange Elend“ und sorgt auch für die besten Lacher, noch dazu mit einer versöhnlichen Note.
Dass sich dabei namhafte Darsteller ein Stelldichein geben, hätte man kaum noch erwähnen müssen. Emma Thompson hatte zwar schon Besseres zu tun, aber ihre Tränenszene, die sie solo abzieht, nachdem ihr die traurige Gewissheit unter dem Weihnachtsbaum um die Ohren geschlagen wurde, ist verdammt gut. Alan Rickman als Gatte verleiht dem Spröden seinen urtypischen Witz, während Heike Makatsch leider kaum charakterlich zur Geltung kommt, aber auch nichts wesentlich falsch macht.
Ein bisschen neben der Spur vielleicht noch Liam Neeson, der als frischgebackener Witwer seinem elfjährigen Stiefsohn plötzlich aus Liebesnöten helfen muss. Neeson ist zum Glück so aktiv wie selten, was ihm aber trotz einiger schöner Überraschungen nicht hilft, wenn sein Filmsohn ein hyperentwickelt unwahrscheinliche Ausschneidefigur ist, die sogar „About a Boy“ in den Schatten stellt.
Am Ende ist das Resultat uneben, aber eben doch sympathisch. Es ist kitschig, aber tritt (weil es britisch ist) immer im letzten Moment auf die Bremse, bevor die Szene zu kippen droht. Die Charaktere sind unrealistisch, aber gleichzeitig liebenswert. Was heißen soll, dass der Film grundsätzlich die Kurve kriegt, auch wenn der richtige Rahmen fehlt, denn ausgerechnet der die Episoden einklammernde Rahmen über Flughafenhallen ist eine komplette Niete, selbst wenn man 11/09-Erwähnung herausnimmt.
„Tatsächlich Liebe“ kann getrost verrissen werden, aber gleichzeitig darf man ihn auch mögen, denn es gibt Schlimmeres als einen Film, der einem nur zwei schöne Stunden zum Träumen verschaffen will, ohne in Realismus zu versinken. Curtis wendet sich an die Erwachsenen und die brauchen manchmal einfach so einen Film zum Drinversinken – und ich hab einfach mal mitgemacht. Und Gott ja, es war schön.
Für die Zukunft allerdings braucht Curtis mal wieder ein paar zündende Ideen, bevor er sich in seiner Kreativität selbst in eine Ecke treibt. Vielleicht mal mutig sein und auf Grant verzichten und stattdessen auf Thompson und Rickman zurückkommen, die geeignet sind, frischen Wind in romantische Ideen zu bringen.
So, das war’s – Curtis ist ganz zufrieden, hat aber den Punsch ausgetrunken. Dafür haue ich mich in seinen Sessel und schmeiße Goldblum und Thompson in „Das lange Elend“ ein. Damals stand auch schon ein Song im Mittelpunkt, den Madness-Sänger McPherson persönlich zu Gehör brachte: „It must be love“.
Tatsächlich, so muss es sein.
Der Butler schließt die Vorhänge, der Wind heult ums Haus, draußen ist Nacht. Bald ist Weihnachten!