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„Ich bin keine Nutte!“ – „Bist du so sicher?!“

Italo-Regisseur Emilio Miraglia hat’s irgendwie mit dem Namen Evelyn: In seinem im Jahre 1971 veröffentlichten Grusel- und Sleaze-Giallo „Die Grotte der vergessenen Leichen“ ließ er sie aus dem Grab steigen, wie es der (trotz fehlendem Komma wesentlich stimmigere) Alternativtitel „Die Nacht in der Evelyn aus dem Grab kam“ verriet. Ein Jahr darauf erschien sein italienisch-deutsch koproduzierter Giallo „The Red Queen Kills Seven Times“ alias „Die rote Dame“, in dem eine Evelyn es ihrer Namensvetterin vermeintlich gleichtut. Es wurde Miraglias sechste und letzte Regiearbeit (die seltsamerweise keinen deutschen Kinostart erhielt und erst später auf Video ausgewertet wurde).

„Ich bin hier und will mit dir bumsen.“

Eine alte Legende besagt, dass zwei Geschwister, die schwarze und die rote Königin, sich einst spinnefeind gewesen seien. Die schwarze habe ihre Schwester eines Tages ermordet, doch sei diese aus dem Totenreich zurückgekehrt, um sieben Menschen zu ermorden – als letzten ihre Schwester. Seither wiederhole sich dieses Ereignis jedes Jahrhundert. In der Gegenwart tötet die Würzburger Modefotografin Kitty Wildenbrück (Barbara Bouchet, „Milano Kaliber 9“) versehentlich ihre Schwester Evelyn im Streit, lässt den Leichnam im Familienanwesen mithilfe ihrer älteren Schwester Franziska (Marina Malfatti, „Die Farben der Nacht“) und deren Ehemanns Herbert (Nino Korda, „Die Jungfrau und die Peitsche“) verschwinden und erzählt auf Nachfragen, Evelyn halte sich in Amerika auf. Als jemand Weißmaskiertes im roten Umgang sich durch Kittys Umfeld brutal zu meucheln beginnt und es auch auf sie abgesehen hat, scheint sich die Legende zu bewahrheiten. Ist Kitty aufgrund ihrer Tat verflucht…? Oder stecken doch ganz weltliche Motive hinter der Mordserie?

Ein in Deutschland gedrehter und spielender Giallo – das ist doch schon mal etwas Besonderes. Der in der Vergangenheit spielende Prolog vorm als herrschaftliches Gruselschloss inszenierten Würzburger Schloss verströmt Gothic-Ambiente, obwohl er lediglich in der Kindheit der Geschwister angesiedelt wurde, die um eine Puppe streiten. Evelyn spielt, inspiriert von einem Gemälde, die mörderische rote Königin und zerstört die Puppe. Opa Wildenbrück (Rudolf Schündler, „Die Lümmel von der ersten Bank“) erzählt den Kindern daraufhin die alte Legende. Fortan spielt „The Red Queen…“ im Erwachsenenalter der Geschwister. Der erste Mord wird im Stile eines Horrorfilms inszeniert, Franziska sorgt im heißen Fummel für einen ersten Erotik-Touch. Eine Rückblende illustriert den Tod Evelyns. Dass der drogenabhängige Peter (Fabrizio Moresco, „Death Walks on High Heels“) Geld von Evelyn will und daher nach ihr sucht, verschärft die Situation, zumal er nicht zimperlich ist und Kitty bedroht.

So weit die Ausgangslage dieser unheimlichen Mordserie, deren Narration einige Sleaze-Einsprengsel bereithält: Ex-Hure Lulu (Sybil Danning, „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“) hatte eine Affäre mit ihrem Chef, einem weiteren Opfer der Red Queen, mit dem zusammen sie Orgien mit Prostituierten feierte. Ein Fotomodell vögelt sich durch Kittys Unternehmen und wirft sich ihrem Lover Martin (Ugo Pagliai, „Blutrache einer Geschändeten“) nackt an den Hals. Kitty wird Opfer einer Vergewaltigung. Miraglia setzt vor allem Danning aufreizend in Szene und kontrastiert die sexuelle Komponente mit Mystery-Grusel-Aspekten: Die tote Evelyn scheint nicht nur zu morden, sondern auch auf Kittys Anrufbeantworter zu sprechen, doch ihr geheimes Grab weist nach wie vor einen mumifizierten Leichnam auf – neben ihm jedoch der rote Mantel. Und Martins verrücktgewordene Ehefrau Elizabeth (Carla Mancini, „Das Geheimnis der blutigen Lilie“) sitzt in der Klapse und glaubt, mit Evelyn Kontakt zu haben. Hinzu kommen psychologische Deutungsmöglichkeiten und Hinweise – leidet Kitty unter einer gespaltenen Persönlichkeit? – ebenso wie weltlich-kriminalistische – eine Erbschaft kommt ins Spiel –, wenngleich die Polizei genretypisch die meiste Zeit im Dunkeln tappt, aber immerhin Martin verdächtigt.

Tatsächlich entwickelt „The Red Queen Kills Seven Times“ aus diesem Verwirrspiel und seinen Genreversatzstücken eine nicht ungefähre Spannung bis zum Finale. Der hohe Anteil charakterlich nicht unbedingt vorteilhaft gezeichneter weiblicher Figuren erweckt indes den Eindruck eines intriganten Hühnerhaufens. Die Alpträume der gewissensbissgeplagten Kitty werden anschaulich visualisiert. Auch sie zählt zum Kreis der Verdächtigen, möglicherweise wird jedoch auch nur bewusst der Verdacht auf sie gelenkt. Ganz dem Giallo verpflichtet ist die überraschende Wendung gegen Ende, die einer Prüfung auf innere Logik leider kaum standhält und mutmaßlich auch deshalb derart schnell heruntergerattert wurde. Damit krankt dieser Film an einer ähnlichen Abschlussschwäche wie die deutsche Fußballnationalmannschaft, vor allem aber wie manch Genre-Kollege, bietet dem italophilen Publikum ansonsten aber prima Unterhaltung mit abwechslungsreicher Motivik, einem namhaften Schauspielensemble, einer wohlklingenden musikalischen Untermalung Bruno Nicolais, offensiven J&B-Produktplatzierungen und einem zuweilen geschmacklos im Frühsiebziger-Schick überstylten Interieur, wie ich es im damaligen Würzburg nun wirklich nicht vermutet hätte…

Manch Edgar-Wallace-Kenner(in) macht übrigens Parallelen zwischen diesem Film und dem „Grünen Bogenschützen“ aus, den ich zugegebenermaßen jedoch nie gesehen oder gelesen habe.

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