Das Pferd ist schon alt, aber wenn es einen so hübschen, modisch-bunten Sattel trägt und noch rennen kann wie der Teufel... lasst es gewähren.
Danny Pang, dessen bislang erfolgreichste Hinterlassenschaft die “The Eye”-Gruselfilme aus der “Ring”-Welle sind, begann mit ätherischen, romantisierten Actiondramen mit Love Story-Einschlag. “Nothing to Lose” ist nach “Bangkok Dangerous”, dem gemeinsamen Debüt mit seinem Zwillingsbruder Oxide Pang Chun, seine erste eigenständige Arbeit. Es fehlt klar an Innovationen, doch um einen Filmabend kurzweilig zu gestalten, eignet sich das poppige Spektakel durchaus - nicht zuletzt wegen geistesblitzartiger Momente, die sich immer wieder über die 90 Minuten verteilen.
Dass Arissara Wongchalee als Go-Go und Pierre Png als Somchai ein lebensmüdes Killerpärchen spielen, das mit der titelgebenden “Nothing to Lose”-Einstellung aus einem verschobenen Selbstmordversuch die Kraft schöpft, anstatt zu sterben einfach weiterzumachen und die letzten Momente zu genießen, ist Fluch wie Segen zugleich. Es garantiert einerseits ein spannendes, rasantes Actionabenteuer schon rein aus der Situation heraus, in der sich die beiden Protagonisten befinden. Vollkommene Befreiung von allen Normen übt aus soziologischer Sicht einen ungemeinen Reiz aus, den sich Danny Pang geschickt zu eigen macht.
Andererseits zeigt die gute Inszenierung zwar, dass Thailands Filmindustrie im Kommen ist, die zugrundegelegte Story demonstriert aber, dass Thailand im direkten Vergleich mit Hong Kong, Japan oder Südkorea immer noch ein Entwicklungsland ist, das sich Anleihen bei den großen Filmmächten holen muss. “Nothing to Lose” ist nicht weniger und nicht mehr als eine hübsche Mischung aus Einzelmotiven von Filmen wie Bonnie & Clyde, Natural Born Killers, Fear & Loathing in Las Vegas und The Boondock Saints, verpackt in bonbonfarbene MTV-Ästhetik.
Insgesamt ist dabei bemerkenswert, wie sehr es Pang gelingt, diese Anleihen ohne auffällige Nähte zusammenzufügen. Der Handlungsfluss wird kaum beeinträchtigt, setzt sich dennoch ähnlich spontan und sprunghaft fort wie bei Oliver Stones einflussgebender Mediensatire, was aber natürlich an Charakterisierung und Motivation der Hauptdarsteller liegt - die Entscheidungen, die sie treffen, sind bewusst auf Spontaneität ausgelegt und beziehen dadurch ihren Reiz. Denn so bleibt der Handlungsverlauf abgesehen vom unvermeidlichen Finale unvorhersehbar und man weiß nie, wohin die Reise führt.
Hilfreich, um den Film nicht ganz als uninspirierte Kopie zu entlarven, sind Pangs zum Teil unwiderstehliche Einfälle, mit denen er sein althergebrachtes Konstrukt schmückt. Obwohl im Ansatz an Terry Gilliams sphärischen Drogentrip angelehnt, wird mehrfach mit psychedelischen Sequenzen gespielt, die sich entweder aus Drogenkonsum, Flashbacks oder Visionen / Tagträumen Somchais ergeben. Ohne seine Folgewerke zu kennen, mutmaße ich einfach mal, dass Pang bei seiner Umorientierung auf die Horrorfilmschiene diesen Ansatz ausgebaut hat; wenig überraschend ist es nämlich, dass dies die Momente des Films sind, die am originellsten erscheinen und sich am meisten von den Vorbildern lösen können. Die Vision mit dem roten Getränk und der Kanüle in der Wetthöhle ist in Idee und Ausführung ebenso beeindruckend wie die absurde, arg horror-gerichtete Situation im Hotelzimmer, als Somchai einen Bericht über Go-Go im Fernsehen sieht. Die Schnittechnik ist in diesen Momenten höchst effektiv und dabei ausgesprochen kreativ, wobei sich der Regisseur zweifellos als Mann mit Potenzial entpuppt.
Ansonsten nämlich lebt das Road-Movie eher schlecht als recht von dem, was der Plot ihm an Brocken zuwirft. Manchmal glaubt man, Pang habe sich nun mit Hilfe absurdester Ideen endgültig von den US-Vorbildern gelöst, als er sich dann plötzlich erst recht in deren Vorgaben suhlt. Viel zu spät erfolgt beispielsweise die Einführung der polizeilichen Ermittlungen, der wir fern des Pärchens auf nächster Nähe beiwohnen dürfen und die ein unmissverständlicher Wink in Richtung von Troy Duffys Gewaltgroteske ist, wobei dessen ungewöhnlicher Gebrauch der Parallelmontage hier äußerst schwach und unfertig umgesetzt wird. Der Polizeikommissar ist in seiner Überheblichkeit ein Abziehbild von Willem Dafoes Rolle und letztendlich nicht mehr als ein notwendiges Mittel, um die Geschichte zu einem Ende zu bringen. Insgesamt sind die Ansprüche, dem komplexen Erzählstil des nach “Pulp Fiction” posthumen Crime-Thrillers nachzueifern, noch nicht ausgewachsen genug, um selbst überzeugen zu können. Pang legt nicht die gleiche liebevolle Sorgfalt über seine beiden zentralen Charaktere vor wie ein Oliver Stone es mit Mickey und Mallory tat oder fast noch mehr ein Tony Scott mit seinem Clarence und seiner Alabama. Was fehlt, ist die Fähigkeit, den Zuschauer durch die Augen von Somchai und Go-Go sehen zu lassen, wie es Stone mit seiner anti-cineastischen Schnittechnik tat und Scott mit den romantisierenden, zutiefst ironischen Dialogen und dem euphorischen Score arrangierte. Die farbenprächtige, überladene Optik und der rasante Soundtrack von “Nothing to Lose” hingegen reichen nur den Ansprüchen der Unterhaltung, für die Entwicklung der Charaktere sind sie jedoch unbedeutend.
Dabei sollte eigentlich Pierre Png die Identifikationsfigur für den Zuschauer sein, die er zwar tatsächlich auch ist, ohne aber seinen Wandel vom gewissenhaften, wenn auch verzweifelten Menschen zum Outlaw begreiflich machen zu können. Png ist derjenige, dem wir in der Anfangssequenz aufs Dach folgen, und mit ihm zusammen stürzen wir uns beinahe in den Tod - die Figur von Arissara Wongchalee treffen wir erst dort an, und so ist sie den kompletten Film über für uns das Gegenstück, nicht jedoch diejenige, mit der wir uns identifizieren könnten - dazu ist sie Png gegenüber viel zu dominant, sie ist zu kriminell und hat zu viele Leichen im Keller, die nach und nach geborgen werden. Png agiert auch sehr passiv, fast unscheinbar, was die Identifikation durchaus erleichtert, während Wongchalee ein wenig ins Chargierende verfällt und es mit ihren Grimassen ein ums andere Mal leicht übertreibt. Dabei ist zu sagen, dass die deutsche Synchronstimme ihr viel von ihrer Ausstrahlung nimmt, denn entgegen Png, der mit einer bekannten Stimme gesegnet wurde (wenn mich nicht alles täuscht Matthias Hinze, der u.a. auch Matt Damon in den meisten Filmen seine Stimme leiht), muss Wongchalee im Deutschen mit eher amateurhafter Arbeit vorlieb nehmen, auch wenn sie nicht ganz so grauenvoll ausgefallen ist wie bei Filmen à la “Ring” (Original). In jedem Fall bleiben die Figuren am Ende zu oberflächlich. Als Motivation für die Todessehnsucht werden lediglich Spielschulden beim einen und Unverständnis der Gesellschaft bei der anderen ziemlich platt angegeben, und alles weitere baut auf dem funktionalen “borrowed time”-Schema auf und bezieht relativ billig daraus seine Anziehungskraft. Interessante Aspekte wie die winkende Todeserscheinung, die Beziehung zur Schwester oder der Mord an der lesbischen Nachbarin werden aufgeworfen und nicht weiter verfolgt, während sich das Duo Infernale relativ unbeeindruckt von allen äußeren Umständen seinen Weg bahnt. Ironische Passagen oder etwas in der Art entsteht deswegen höchstens mal im stets unverblümten Dialog zwischen beiden, der durch die schwache Synchronisation aber wohl auch erst in der Originalfassung so richtig genossen werden kann. Der im Film selbst zur Sprache gebrachte Bezug zu Arthur Penns tragischem Roadmovie-Archetypen bleibt schlicht bei Konstellation und Idee; einen Verbindung zur Emotionalität kann Danny Pang nicht aufbauen.
Wenigstens die Generation X wird “Nothing to Lose” einiges entfiltern können. Stets kurzweilig anzuschauen, vollführt Danny Pangs bruderloses Regiedebüt zwischen Vorhersehbarkeit in der Grundidee und Überraschung in der Inszenierung einen Tanz auf dem Drahtseil, um einen im Endeffekt doch eher inhaltsleeren Film zu erzählen, der sich zwar manchmal in die Metaphorik traut, jedoch nie etwas mit aller Konsequenz weiterführt außer seinen attraktiven optischen Stil. Der Thematik jedenfalls gewinnt Pang nichts mehr ab, er köchelt diverse US-Vorbilder höchstens gekonnt zu einem wohlschmeckenden Süppchen zusammen, das man sich ansehen kann. Arissara Wongchalee und Pierre Png geben ein ansehnliches Killerpärchen ab, ohne sich nun mit Ruhm zu bekleckern. Stilistisch in vielen Momenten magnifique, substanziell belanglos: 6/10