Als er bei einem Einsatz eine Panikattacke erleidet, die einen Kollegen das Leben kostet, ist es vorerst aus mit der Karriere von Oskar Gwiazda (Piotr Witkowski) - der Endzwanziger muß das Spezialeinsatzkommando der Polizei verlassen und woanders seine Brötchen verdienen. Als er kurz darauf seinem ebenso alkoholkranken wie spielsüchtigen Vater den launigen Rat gibt, sich doch selbst umzubringen, und dieser sich daraufhin in der Garage mit Autoabgasen das Leben nimmt, ist die Kacke erst richtig am Dampfen - denn der Vater hinterließ neben seinem Haus auch einige Schulden in nicht unbeträchtlicher Höhe.
Der aalglatte Banker Tomczyk (Piotr Adamczyk) empfiehlt daher Oskar und seiner Schwester Marta (Aleksandra Adamska), das Erbe anzunehmen, das Haus zur Schuldentilgung zu verkaufen und den Rest in Zukunft irgendwie abzustottern. Ein Ratschlag, der Oskar gar nicht schmeckt, da er das Haus, in dem er selbst aufgewachsen war, nicht verkaufen will. Die schwangere Marta jedoch, die mit Oskars ehemaligem Kollegen Sylwek Zajfert (Konrad Eleryk) in einem kleinen Wochenendhaus am Flussufer zusammenlebt, betrachtet diese Lösung als alternativlos - woher soll schließlich das Geld kommen?
Zunächst sieht sich Oskar nach einem neuen Job um - als Wachmann im örtlichen Markt findet er schnell eine Anstellung. Ebensoschnell durchschaut er die Machenschaften der Händler dort, die bei angekündigten Kontrollen in dem Riesengebäude plötzlich alle Registrierkassen unter dem Tisch hervorzaubern. Dabei kommt er der Gangsterfamilie Czorny auf die Spur, die an den Schwarzverkäufen federführend beteiligt ist. Oskar entwickelt den kühnen Plan, in deren Villa einzusteigen, das Geld zu rauben und sich damit bei Tomczyk freizukaufen. Schwager Sylwek, immer noch Beamter bei der Sondereinheit, läßt sich breitschlagen, dabei mitzumachen - von den dazu benötigten Ausrüstungsgegenständen, die Oskar zuvor bei seinem früherem Dienstgeber mitgehen lassen hat, weiß er allerdings nichts. Als er dies hinterher erfährt, will er auch nicht mehr die ihm angebotene Hälfte des Geldes annehmen.
Der Coup gelingt also (trotz eines toten Leibwächters), setzt jedoch eine ganze Kette fataler Fehleinschätzungen und Aktionen in Gang - denn der überfallene Mietek Czorny (Cezary Zak) und seine beiden Söhne, die weder einen Oskar noch dessen Schwager Sylwek kennen, sind davon überzeugt, daß jener Tomczyk hinter dem Raubüberfall steckt...
Der Titel Idz przodem, bracie, zu deutsch: Augen zu und durch, Bruder beschreibt ganz anschaulich, um was es in der polnischen Netflix-Serie geht: ein ex-Cop mit angeknackster Psyche und ohne allzuviel Skrupel beschließt, sich seinen Teil des Kuchens auf die harte Tour zu holen - entsprechend rau geht es in den 6 Episoden zu je etwa 1 Stunde Laufzeit dann auch zu. Während der Plot nicht sonderlich innovativ ausgefallen ist und an manchen Stellen sogar ins Unglaubwürdige abdriftet, kann sich immerhin die ungeschminkte Gewaltdarstellung Pluspunkte verdienen - die Figurenzeichnung der handelnden Charaktäre dagegen ist fast durchwegs als gelungen zu bezeichnen.
Dabei taugt die vermeintliche Hauptfigur Oskar noch nicht einmal als Sympathieträger - viel zu unüberlegt und aus dem Bauch heraus trifft der durchtrainierte Mann mit dem leicht schielenden Blick seine Entscheidungen, deren Konsequenzen er mangels Intellekt nicht einmal im Nachhinein einzuschätzen in der Lage ist. Ganz anders dagegen sein Schwager Sylwek, der sich seiner Frau zuliebe immer wieder auf deren Bruder Oskars krumme Touren einläßt, dabei eine ausdauernde Physis an den Tag legt und bis zum Schluß auch sehr viel aushalten muß.
Ebenso unterschiedlich sind die beiden Sprößlinge des ähnlich einem italo-amerikanischen Dons auftretenden Gangsters Mietek Czorny - während Damian (Marcin Kowalczyk) ein eisenharter Fighter ist, der locker selbst in einer Spezialeinheit dienen könnte (und selbiger auch größte Probleme z.B. bei einer Krankenhaus-Erstürmung bereitet), ist dessen Bruder Grzesiek (Michal Filipiak) das genaue Gegenteil: ein vollgefressener Parvenü, der vollkommen von sich selbst überzeugt gerne mal vom Dach pinkelt, in den entscheidenden Momenten jedoch stets kläglichst versagt und dabei um keine noch so blöde Ausrede verlegen ist - die Schande der Familie, wie der betont ruhige, in solchen Momenten jedoch aus der Haut fahrende Mietek öfters betont. Das Familienoberhaupt selbst bekommt vom Drehbuch allerdings auch sein Fett weg, indem dessen Marotten und Angewohnheiten (beim Haareschneiden, Schuhe zubinden, welcher Ring am Finger etc.) genüßlich dargestellt werden - darin unterscheidet er sich übrigens nicht merklich von seinem Gegenspieler Tomczyk, einem älteren Hedonisten, der guten Wein und klassische Musik schätzt und seiner aufgedackelten Frau eine Stelle als Puffmutter zugeschanzt hat.
Mit diesen Figuren, die eine gewisse Liebe zum Detail seitens der Regie erkennen lassen, haben die temporeich inszenierten Episoden auch einen gewissen Unterhaltungswert, gleichwohl einige Begebenheiten völlig überflüssig sind (z.B. dass sich Oskar Hals über Kopf in eine völlig reizlose ukrainische Hilfskraft verliebt, was die Story leider in keinster Weise weiterbringt) und andere wenig glaubwürdig erscheinen (z.B. daß der eigentlich brave Sylwek wiederholt seine Karriere aufs Spiel setzt, indem er - widerwillig - bei kriminellen Aktionen mitmischt, oder auch die Machtlosigkeit bzw. das Desinteresse der Polizei gegen die und an den Mafiosi).
Oskar selbst, charakterlich eher einer Metzgersaushilfe, nie im Leben jedoch einer Spezialeinheit der Polizei zuzuordnen, scheint so gesehen ebenfalls nur ein künstlich geschaffener Anti-Held zu sein (auf seine ab und zu auftretenden Panikattacken wird zu keiner Zeit näher eingegangen), der ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch zuschauen kann, wie die Dinge, die allein er verursacht hat, ihren Lauf nehmen.
Diese Mischung aus Sozialdrama und krudem Gangster-Habitus, in der ein Draufgängertyp in die Phalanx bärtiger Schläger in schwarzen Vans ohne Rücksicht auf Verluste einzudringen versucht, machen - garniert mit einigen augenzwinkernden Spitzen - den speziellen Reiz der Serie aus, die plottechnisch zwar zunehmend unglaubwürdiger wird, dafür dank ihrer Unterhaltsamkeit jedoch kaum Längen aufweist. Eben einfach Augen zu und durch, Bruder! 6 Punkte.