"Antropophagus": Wieder mal ein Horrorstreifen, den ein paar Möchtegernspezialisten kurzerhand zum schlechtesten Film aller Zeiten erklären, weil sie vermutlich seine Qualitäten beim gelangweilten Warten auf Tötungsszenen nicht mitbekommen haben. Ich habe ihn jetzt zum dritten Mal begutachtet und war ein weiteres Mal sehr angetan von einem Klassiker des bösen Kinos.
Ein paarmal ("Buio Omega", "Rosso Sangue" und der hier vorliegende Film) hat sich Aristide Massaccesi alias Joe D'Amato mit dreckigen, gemeinen und konsequenten Horrorstreifen ohne den sonst (in Filmen wie "In der Gewalt der Zombies" u. ä.) bei ihm üblichen Laura-Gemser-Erotikschwulst hervorgetan. "Antropophagus" hält sich mit diesem Element gänzlich zurück. Der Film setzt ganz auf seine starken Atmosphärefaktoren: Zu einer sehr seltsamen, permanent ein leichtes Unwohlsein provozierenden minimalistischen Synthetik-Musikuntermalung irren ein paar Touristen über eine menschenleere Insel, während eine Gefahr, die sie lange gar nicht kennen, sie nach und nach dezimiert. Wenn das Bild- und Werbematerial zu diesem Film, mit denen beispielsweise die NSM-DVD den Rezipienten überschwemmt, nicht schon eindeutigen Aufschluss über das Monster bieten würde, könnte die Spannung noch erheblich stärker greifen.
Der Horror, in den sich die Reisenden auf der Insel unbewusst begeben, wird in unheilvollen Ahnungen, die unter anderem durch eine Kartenlegerin zum Ausdruck gebracht werden, schon vorhergesagt. Das ist zwar nicht die originellste Idee, aber wie fast alles in dem Film auf gelungene Weise in Szene gesetzt, und Szenen wie die, in der die Kartenlegerin ihr Tarot-Blatt mit ausdruckslosem Gesicht ins Meer gleiten lässt, bleiben über die Filmdauer hinaus im Gedächtnis.
Die Höhepunkte des Film sind nicht, wie bei US-Slasherware üblich, einzig und allein die Splatterszenen, sondern es gelingt Massaccesi, über die gesamte Filmdauer den Eindruck eines lastenden Unheils zu erwecken, das wie eine stets zur Entladung bereite Gewitterwolke über den Köpfen der ziellos umherlaufenden Opfer schwebt. Sensible femmes fragiles wie Tisa Farrow und Margaret Mazzantini tragen dazu bei, das Treiben des Menschenfressers in seiner omnipräsenten Bedrohlichkeit zu intensivieren. Auch die bereits oben angesprochene, sehr karge Musik, deren Klangflächen - offenbar absichtlich - befremdlichen Tonhöhenschwankungen ausgesetzt sind, setzt sich wie ein dumpfer Druck im Kopf des Hörers fest und lässt stets neue Schrecken erwarten.
Darüber hinaus kann der Film auch mit sehr gelungenen punktuellen Schockeffekten aufwarten. Das erste Auftauchen des Menschenfressers, den man bis dahin nur im Off erleben durfte, hätte Massaccesi gar nicht besser machen können. Luigi Montefiori alias George Eastman steht mit seinem ekligen Gesichtsüberzug auf einmal da und ringt sich ein völlig krankes Grinsen ab, das muss man einfach gesehen haben. Auch die alte Frau, die ab und zu unversehens auf der Insel auftaucht, sorgt für das eine oder andere Erschauern. Vor allem was im Treppenhaus der alten Villa passiert (ich will hier nicht zuviel verraten), ist einfach spitzenmäßig umgesetzt und erinnert an Dario Argento in seinen besten Tagen.
Was die blutigen Szenen angeht, muss man jedoch sagen, dass die Effekte hier schon etwas besser sein dürften. Kein Vergleich zu dem, was zum Beispiel Giannetto de Rossi damals schon geleistet hat. Schließlich sind wir hier schon in den Achtzigern, und zu diesem Zeitpunkt wäre wohl besseres möglich gewesen, wenn das Budget ausgereicht hätte. "Buio Omega" hat in dieser Hinsicht die Nase vorn. Das ändert aber nichts daran, dass sich Massaccesi hier, wie auch in anderen Filmen, einige der bösesten Horrorszenen ausgedacht hat, die die Filmgeschichte zu bieten hat, und da kann man über das eine oder andere unecht wirkende Detail auch mal hinwegsehen. Wie schon eingangs gesagt, wenn man einzig und allein auf fiese Morde aus ist und nicht die hammermäßige Atmosphäre des Films auf sich wirken lässt, entgeht einem auch der schönste Aspekt dieses Films.
Wer italienischen Horror zu schätzen weiß, sollte sich "Antropophagus" auf keinen Fall entgehen lassen. Zweifellos kein Film für Moralapostel und hollywoodverwöhnte Popcornfresser, aber aus einem Guss und ein hinreißend böses Stück Filmgeschichte.