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Mit ihrem Spielfilm-Debüt „Spirit in the Blood“ aus dem Jahre 2024 erzählt die in Hamburg lebende Kanadierin Carly May Borgstrom eine Mischung aus Coming-of-Age-Drama, -Abenteuer und -Thriller, für die sie sich in Ästhetik und Stimmung bei Kids-on-Bikes-Filmen irgendwo zwischen den Stephen-King-Verfilmungen „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“ und „Es“ bedient. Und das Besondere: Endlich einmal geht um eine reine Mädchenclique!

Der Vater (Greg Bryk, „Der Spion von nebenan“) der 15-jährigen Emerson (Summer H. Howell, „Curse of Chucky“) zieht mit seiner Familie zurück in die kleine, religiöse Gemeinde zwischen den Wäldern Kanadas, in der er einst aufgewachsen ist. Die sensible Emerson hadert mit ihrem neuen Umfeld, und dass sie in der Schule von ihren neuen Mitschülerinnen und -schülern nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird, macht es nicht besser. Als dann auch noch die vermisste Schülerin Rebecca tot im Wald aufgefunden wird, glaubt sie der Darstellung, Rebecca sei Opfer eines Raubtiers geworden, kein bisschen, sondern sieht sich darin bestätigt, kürzlich ein Monster im Wald gesehen zu haben. Gemeinsam mit ihrer Mitschülerin Delilah (Sarah-Maxine Racicot), die sich als erste mit ihr anfreundet, führt sie ein von ihren Lieblingscomics inspiriertes Ritual durch, das ihnen die innere Stärke verleihen soll, dem Monster zu trotzen. Nachdem Delilah sie dazu drängte, vor versammelter Schulgemeinschaft von ihrer Monstersichtung zu berichten, ist dies Emerson zwar höchst unangenehm und sie wird verlacht; doch schon bald kontaktieren sie weitere Mitschülerinnen, die ebenfalls etwas Unheimliches im Wald gesehen haben wollen…

Die deutsch-kanadische Koproduktion verrät nie, wann genau sie eigentlich spielt, einiges weist jedoch auf die frühen 1990er-Jahre hin. Tatsächlich wirkt der Ort komplett abgeschottet und isoliert, wodurch die Darstellung Emersons Gefühlswelt entspricht. Der Film wird konsequent aus ihrer Perspektive erzählt. Da das, was Emerson im Wald sieht, auch fürs Filmpublikum nur schemenhaft zu erkennen ist, bleibt bis zum Schluss offen, worum es sich eigentlich handelt und ob tatsächlich eine übernatürliche Kreatur ihr Unwesen treibt oder nicht – oder gar alles nur Einbildung ist. Daraus bezieht die Narration ihre Spannung, die auch mit Hinweisen und Ablenkungsmanövern handelt – eine Begegnung mit einem unheimlich wirkenden Mann hier, ein vage Richtung Schizophrenie oder gar Jekyll/Hyde- oder Werwolf-Sujet tendierender Wink dort, visualisierte Alpträume, die Delilah zum Inhalt haben, obendrauf.

Eingebettet ist dies in den einerseits US-amerikanisch anmutenden, ganz realen Kleinstadthorror (wie man ihn aus anderen Genrefilmen kennt), der hier jedoch derart dörflich wirkt, dass der Film tatsächlich eine starke Note des noch dünner besiedelten Kanadas erhält. Den Erklärbär lässt Borgstrom dabei nicht von der Leine, die Macht der religiös-rückwärtsgewandten Strukturen und ihre Auswirkungen auf ein gerade erwachsen werdendes Mädchen belässt sie bei Andeutungen und drückt viel über Atmosphäre, Mimik und Emotion aus. Doch dadurch, dass die noch eher kindlich wirkende Emerson in der deutlich reiferen (aber nicht unbedingt klügeren) Delilah eine Verbündete findet, findet sie die Kraft zur Rebellion, sodass die Erwachsenenwelt fortan nur noch in Form von Randnotizen stattfindet. Ähnliches gilt für Jungs, um die es ebenfalls nur selten geht, woraus der Film ein emanzipatorisches Moment bezieht: Nein, die Mädchen sind nicht als Love Interests da und interessieren sich nicht vornehmlich für Jungs, Mode und Schminke.

Vielmehr dreht sich „Spirit in the Blood“ um Abkapselung von den Eltern, aber auch anderen Autoritäten, um Selbstermächtigung und die Kraft der Freundschaft. Und wie es für Jungs Usus ist, schlagen hier auch mal die Mädchen über die Stränge, bauen Scheiße, „schänden“ gar die Dorfkirche. Das ist hier kein Blümchen-Bienchen-Wunderland, hier hat man Dreck unter den Fingernägeln, die noch nie ein Nagelstudio gesehen haben, hier wird geraucht und gesoffen und werden hygienisch fragwürdig Handflächen mit Messern aufgeschlitzt und sich mit Blut besudelt. Hätte ich als Junge eine solche Mädchenbande kennengelernt, hätte ich um Aufnahme gebeten.

Dies ändert aber nichts daran, dass die Geschichte einfühlsam statt krawallig erzählt wird, den Jungmiminnen viel Raum zur Entfaltung zwischen kindlichen Verhaltensmustern und Erwachsenwerden gibt und starke Bilder sowie den einen oder anderen Gänsehautmoment hervorbringt. Einer davon: Delilah singt (das in Cyndi Laupers Interpretation bekannteste) „All Through The Night“. Dass der Score, wie heutzutage anscheinend öfter, ein bisschen an jenen von „Stranger Things“ erinnert: geschenkt, denn: Warum auch nicht?

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