Review

Achtung! Leichte Spoiler!

In der Nähe einer amerikanischen Kleinstadt stürzt ein mit einem bakteriologischen Kampfstoff namens Trixie geladenes Militärflugzeug ab. Jeder, der von Trixie befallen wird, verliert den Verstand und stirbt - und es gibt noch kein Gegenmittel. Aus dem Grunde werden mehrere Armeen Bundessoldaten - mit weißen Schutzanzügen und einer Art Gasmaske ausgestattet - aufgefordert, die Bewohner der Stadt in dem örtlichen Gymnasium zu sammeln und die Stadt unter Quarantäne zu setzen. Wer den Versuch unternimmt zu fliehen, wird erschossen. Dennoch gelingt fünf Leuten die Flucht. Doch Maskierte und Viren sind überall - und die Regierung spielt mit dem Gedanken, eine Bombe auf die Stadt zu werfen...
George A. Romero inszenierte mit “Crazies” ein unter die Haut gehendes Schreckensszenario mit verstörendem Ende. Der Film rüttelt gerade deshalb emotional ungemein auf, weil die gezeigten Bilder - vor allem durch die im Dokumentarstil gehaltene Kameraführung - eine erschreckend reale Wirkung erzielen. Der Vorgänger des weitaus harmloseren starbesetzten Katastrophenfilms “Outbreak” aus den 90er Jahren (u.a. mit Dustin Hoffman) beinhaltet aber viel mehr als die bloße Abfolge krasser Szenen, sondern auch eine ausgeprägte Portion Gesellschaftskritik.
Es ist unglaublich, mit welch einer Skrupellosigkeit und Menschenverachtung die Gasmaskenträger gegen die armen, zum Teil schon infizierten Stadtbewohnern vorgehen. Sie zerren sie nicht bloß gewaltsam aus ihren Häusern und erschießen diese bei Fluchtversuchen. Vor dem Verbrennen der Leichen nehmen sie ihnen zudem deren Wertsachen ab und stecken sich das Geld in ihre eigenen Taschen.
Die noch nicht befallenen Bürger selbst erfahren gar nicht erst, was der Grund für ihren Abtransport in die Schule ist - schon gar nicht, daß die Regierung plant, eine Bombe auf die Stadt zu werfen, um den Unfall zu vertuschen. Besonders intensiv wirkt eine Szene gegen Ende des Films, als ein Doktor das Gegenmittel gefunden zu haben scheint, aber - im Gymnasium angekommen - für verrückt gehalten wird und bei einem Fluchtversuch die Treppe hinunterstürzt und sich das Genick bricht - mit dem rettenden Serum in der Hand.
In vielen Szenen erinnert “Crazies” an Romeros ähnlich schonungslosen und gleichfalls schockierenden Zombieklassiker “Die Nacht der lebenden Toten”. Die unter ihren Schutzanzügen und Masken in Anonymität verkleideten Bundessoldaten, die auf alle Menschen rücksichtslos schießen, die nicht ihren Befehlen gehorchen, sind ähnlich bedrohlich und nicht viel anders als die gewissenlosen menschenfressenden Untoten; hier sind es fünf Menschen, die sich vor den Soldaten zu retten versuchen, in Romeros legendärem Zombiefilm kämpfen sieben Leute in einem Landhaus gegen die Übermacht. Doch während “Die Nacht der lebenden Toten” hauptsächlich mit der Absicht gedreht wurde, Geld zu verdienen, und die Kritik an der Gesellschaft dort noch stärker im Hintergrund stand, so ist diese hier offensichtlich und Schwerpunkt des 103-minütigen Horrorfilms.
Die zweite Handlung ist die nicht minder fesselnde Flucht der fünf Personen: das (noch) kinderlose Liebespaar Judy und David, Davids Freund Clank sowie Art und seine junge Tochter Kathie, die frühzeitig mit dem Virus infiziert wurde. Fünf Personen - fünf verschiedene Charaktere, zwischen denen im Laufe der Zeit immer deutlichere Differenzen auftauchen. Alle fünf leben in ständiger Angst, von dem Virus befallen zu werden, und genauso schockiert wie die Flüchtlinge reagiert auch das Publikum, wenn es sich gewahr werden muß, daß ein zuvor noch völlig normal redender Protagonist plötzlich nur noch wirres Zeug redet und den Verstand verliert. So dezimiert sich die Anzahl der Flüchtlinge bis zum Ende auf einen einzigen, wobei der letzte verbliebene zum Schluß augenscheinlich verrückt geworden ist. Leider bleiben die Hauptdarsteller allesamt ziemlich blaß und nichtssagend.
Als ich “Crazies” das erste Mal sah, stockte mir zeitweise schon der Atem - zu beklemmend, zu spannend, zu grausam waren die zu sehenden Bilder. Der erschreckend offene Schluß mit dem unerwartet auftauchenden Abspann - ohne den Hauch eines Happy-Ends - ließ mich unruhig und lange Zeit schlaflos zurück. Dieses Szenario hat es wirklich in sich und ist für schwache Mägen ungeeignet.
Denn zu einem echten “Romero” gehören natürlich nicht nur beklemmende, sondern auch blutige Bilder. Zwar fließt nicht so viel Blut wie in den Fortsetzungen seines “Die Nacht der lebenden Toten”, aber dennoch ist der Gehalt relativ hoch - genauso wie die Anzahl der Toten sich weit über dem Durchschnitt anderer Produktionen befindet. Das Verbrennen der Leichen ist zwar nicht detailliert zu sehen, aber sorgt immer noch für ein ausreichend ungutes Gefühl im Magen und gibt Romeros Machwerk einen brutalen Gesamteindruck. Dadurch ist die Wirkung aber noch um so höher.
Hans-Jürgen Jagau sagte zu dem Film im FILMBEOBACHTER: “Crazies ist ein Horrorfilm. Aber nicht der Film, die Wirklichkeit ist zynisch.” - Die Aussage sagt alles.

Fazit: Graueneinflößender, schlichtweg verstörender, zum Nachdenken anregender und schwer zu ertragender Schocker mit gewollt menschenverachtender Grundtendenz (deshalb wohl die Indizierung). Sehr spannend, voller drastischer Grausamkeiten, emotional enorm aufwühlend - und die bittere und sehr deftige Gesellschaftskritik - das zeichnet dieses “Fast-Meisterwerk” von Romero aus. Die Darsteller hingegen bleiben ein wenig blaß.
Fast ein Remake von “Die Nacht der lebenden Toten” - allerdings noch böser.

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