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„Japan zu Beginn des 17. Jahrhunderts: Azumi wird als neunjährige Waise mit neun anderen Kindern zu einer perfekten Attentäterin ausgebildet. Ihre Mission: auf alle Warlords, die zukünftig die bestehende Ordnung zu gefährden drohen, tödliche Anschläge zu verüben. Auf dem gleichnamigen Comic von Yu Koyama basierend, zeichnet sich auch dieser Film von Ryuhei Kitamura ("Versus", "Alive") durch seine Markenzeichen aus: rasante Action-Szenen, ungewöhnliche Kameraführung und ein rekordverdächtiger Bodycount.“ (Japanisches Filmfest Hamburg)

War der m.E. zu Unrecht gehypte VERSUS noch ein in üppige Kamerafahrten gepackter Amateurflick im Möchtegern-Tarantino-Style, ALIVE eine Fingerübung, ARAGAMI ein brauchbarer, aber unwesentlicher Genrebeitrag, ist Kitamura nun im Big-Budget-Millieu gelandet...und er macht sein Sache gut.

AZUMI atmet in jedem Bild den Willen zum großen, ist jedoch weit entfernt davon, an die Tradition der Samuraidramen eines Kurosawa anzuschließen, weil sich Kitamura auch ganz deutlich als Vertreter der Postmoderne entpuppt. Die Motive des klassischen Schwertkampfdramas werden verarbeitet und im Stile der durch Tarantino in den 90ern etablierten ironischen Brechung recycelt. Trotzdem funktioniert AZUMI auch auf der Ebene des Dramas, des Epos gar, ordentlich bis gut. Das Drehbuch - auf einem Manga basierend - ist gut durchdacht verleiht den Figuren, trotz eher durchschnittlicher Leistungen, reichlich Kontur. Etliche düstere und sogar zynische Wendungen lassen Empathie mit den Handelnden aufkommen. Kitamura macht hier - wie auch schon in ARAGAMI nicht mehr - nicht den Fehler, alles den gut inszenierten Fightszenen unterzuordnen. Die Dialogebene und der narrative Teil erhält ausreichend Platz und ist durch eine einfühlsame Bildgestaltung, die häufig zwei oder mehr Motive in unterschiedlichen Entfernungen und Bildteilen gleichzeitig einfängt, geprägt. Kleine, aber effektive Einfälle unterstützen das innere Drama in der Figur der Azumi recht ordentlich. So, wenn die unter Männern aufgewachsene von einer Frau aufgefordert wird, sich doch endlich als Frau zu geben und die Schwerter an den Nagel zu hängen. Töten sei nichts für Frauen. In der Originalfassung wird Azumi dann obendrein dazu gedrängt ihre Männersprache aufzugeben (im japanischen gibt es eine "Männer-" und eine "Frauensprache". So hat das Wort ICH mehrere Begriffe und eine Frau sagt anders ICH als ein Mann. Azumi hat sich natürlich diesen Männerdialekt angeeignet und nutzt ihn - in Japan undenkbar für eine Frau - permanent. Dieser Teil ist mangels Darstellungsmöglichkeit natürlich auch in der untertitelten Fassung schlichtweg übergangen worden.).

In den Fightszenen wiederum scheint Kitamura dem Wahnsinn verfallen zu sein. Die Kamera kreist wie im Rausch um die Kontrahenten, wobei nicht selten 2 Protagonisten ca. 300 Antagonisten bekämpfen müssen. Alles gipfelt in einer vertikalen 360 Grad-Kamerafahrt. Die Kämpfe sind (manchmal zu) lang und eindrucksvoll inszeniert und choreographiert. Langeweile kommt selten auf, weil Kitamura immer wieder einen draufzusetzen vermag. Leider jedoch ist das Finale zu selbstverliebt. Ein Film der nicht enden mag, wenn man meint, nun wars das wohl kommt immer noch ein weiteres Finale, was etwas unnötig ist, da der Film mit gut 140 Minuten sowieso einiges an Sitzfleisch erfordert.

Die Musik (Orchesterscore ) ist gut bis effektiv und streckenweise sogar brilliant. Großartig sind die Szenen, wenn tragische Streicherklänge bewegende Kampfszenen in Zeitlupe und ohne Originalton unterstützen.

Die Schauspieler passen sich dem Buch und der Inszenierung an, wissen jedoch nicht zu brillieren. Lediglich die weiblichen Darstellerinnen sind niedlich anzuschauen, das Mitgefühl des Zuschauers resultiert jedoch eher aus der guten Inszenierung als aus der gehobenen Schauspielkunst der Darsteller, aber sie stören gottseidank auch nicht weiter.

M.E. problematisch sind die Augenblicke des unendlichen Kitsches und der oben angesprochene postmodern ironische Zitier-Habitus Kitamuras. Einige Situationen oder Plottwists sind so bewusst cool oder modisch zynisch-lustig gemeint, dass eine in der vorherigen Szene gut entwickelte dramatische oder düstere Wendung unnötigerweise ihrer Wirkung beraubt wird.

Trotzdem ist AZUMI ein gelungener Big Budget-Film, der amerikanischen Vertretern des Pomp-Kinos á la TROY in nichts nachsteht. Man munkelt, dass GODZILLA wohl sein nächstes Projekt sein wird und ob des Hypes um Kitamura gehe ich jede Wette ein, dass er binnen 5 Jahren seine erste Hollywood-Produktion anfertigen wird.

In Europa kursiert eine 35-mm-Kopie (extra für Europa angefertigt), die um gut 20 Minuten Handlung gekürzt wurde, was aufgrund einiger weniger Längen durchaus diskutabel ist, trotzdem sollte man aufpassen, was einem im Kino seiner Wahl vorgesetzt wird und im Zweifel auf die ungekürzte DVD zurückgreifen.

Mirco Hölling (26.05.2004)

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