Japan im 17.Jahrhundert: Machtgierige Warlords verheeren das Land mit Krieg und Gewalt im ewigen Streit um den wahren Thronfolger. Dem altgedienten Samurai Gessai erscheint ein Priester im Traum und erteilt ihm die Lebensaufgabe, kämpferisch begabte Kinder aus dem ganzen Land um sich zu scharen und zu Attentätern auszubilden. Diese Attentäter sollen kaltblütig ihr Ziel verfolgen, jene kriegslüsternen Warlords zu vernichten um so Japan wieder zur Einigkeit zu verhelfen. Unter den jungen Samurai-Kriegern findet sich auch das Mädchen Azumi wieder, die sich als besonders gelehrige Schülerin erweist und mit ungewöhnlicher Kraft und Schnelligkeit ihre Freunde in den Schatten drängt. Als für die Freunde der Zeitpunkt kommt, ihre bis dahin geheime Mission auszuführen, versammelt der Meister sie für einen letzten, finalen Test, der mit grausamer Effizienz die Spreu vom Weizen trennen soll. Nur die Besten werden überleben.
Kitamura ist zum Glück klug genug, nicht mehr Tiefsinn in die dünne Handlung zu packen als tatsächlich herauszuholen wäre. Trotz aller historischer Andeutungen und romantisch-verklärter Spiritualität („But where do the stars go during the day?“) möchte Ryuhei Kitamura an erster Stelle den Zuschauer unterhalten, ihm eine geballte Ladung Action ins Gesicht schleudern und durch angenehmes over-acting melodramatische Reaktionen entlocken. Man muß sich einfach mitreißen lassen und nicht zu lange über holperige Charakterzeichnungen und Lücken in der Handlungslogik nachsinnen.
Obwohl „Azumi“ in nahezu jeder Kameraeinstellung den Willen zu etwas Großem und Epischen atmet, scheitert dieses Vorhaben letztendlich an der eigenen Trivialität. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn was bleibt sind seine Wurzeln in der Comicwelt, wo der Film seine volle Blüte entfaltet. Es ist eine überhöhte Realität, die uns Kitamura schildert, eine „larger-than-life“-Wirklichkeit, die dennoch lebendig wirkt. Es ist eine Welt, in der eine Gruppe Ninjas scheinbar aus dem Nichts in einer Rauchwolke erscheint und ebenso spurlos verschwindet. Eine Welt, in der eine Sänfte explodieren kann wenn sie einen Abhang hinabstürzt. In dieser Welt kann eine Schwertklinge auf mysteriöse Weise Feuer fangen, ein aquamarinblauer Mantel flattert genauso cool und schnittig wie man ihn in einem Manga zeichnen würde um rasantes Momentum darzustellen. Nach jedem Schwertstreich wird Blut gespuckt, egal wo der Gegner getroffen wurde, aber genau dann, wann man es erwartet. Azumi hat ein knappes Miniskirt an, das nur knapp ihre Schenkel bedeckt, Mädchen tragen sich gegenseitig Lip-Gloss auf und im Wortschatz der jungen Samurai-Krieger finden sich postmoderne Redewendungen aus der Popkultur wieder: „That´s cool, brother“ und „She´s cute.“
Was Kamera und Regie angehen, erscheint es einem zunächst wie eine eher konventionell-solide Führung mit erstaunlich wenig Schnitten. Sehr oft verharrt die Kamera für längere Zeit in einer Totalen um das ganze Panorama eines Schauplatzes einzufangen. Aber dies wäre kein Kitamura Film, wenn es nicht immer wieder total schräge Winkel gäbe, ungewohnte Perspektiven und rasante Zooms, die aber keinerlei künstlerischen Subtext oder Aussage haben, sondern nur aus einem Grunde da sind: weil es einfach verdammt cool aussieht! Alles gipfelt in einer revolutionäre 360-Grad-Vertikal-Rotation, bei der einem durchaus schwindelig werden kann.
Doch war das Popsternchen Aya Ueto der Herausforderung einer Hauptrolle wirklich gewachsen? Da dies kein Schauspielerfilm ist, erwartete man im Grunde nicht mehr von ihr, als niedlich auszusehen und in Kampfszenen entschlossen dreinzublicken. Beides meistert sie mit Bravour: in Kampfszenen schwingt sie das Schwert mit kraftvoller Eleganz, in storylastigen Abschnitten bringt sie dagegen Emotionen wie Mitgefühl, Trauer, Zorn und Hilflosigkeit überzeugend zum Ausdruck.
Für die Actionszenen war Yuta Morokaji verantwortlich, ein Newcomer im Filmgenre, und erstmals wird einem die Abwesenheit solcher Choreographie-Legenden wie Yuen Wo-Ping („Matrix“), Donnie Yen („Princess Blade“) oder Cory Yuen („So Close“) schmerzlich bewußt. Das soll nicht heißen die Kämpfe wären schlecht; es ist äußerst solides Mittelmaß mit down-to-earth Hack-and-Slash und gelegentlichem Wire-Work. Nur leider vermisst man die hyperkinetische Dynamik, die obig aufgezählten Action-Choreographen zueigen ist. Trotzdem ist das Swordplay rasant genug inszeniert um den Zuschauer bei Laune zu halten und immer wieder gibt es spektakuläre Momente, wenn zum Beispiel Azumi einen abgeschossenen Pfeil mit dem Schwert in zwei Hälften zerteilt um damit zwei hinter ihr stehende Schurken gleichzeitig auszuschalten, oder die Kämpfer abrupt in coolen Posen verharren und sich auf den nächsten Schwertwechsel vorbereiten.
Was die Darstellung von Gewalt angeht zeigt sich „Azumi“ moderat. Selten werden Austrittswunden oder abgetrennte Gliedmaßen gezeigt, trotzdem darf man sich auf die eine oder andere Enthauptung freuen. Viele Treffer werden nur angedeutet aber die Soundkulisse ergänzt das wunderbar und Kunstblut wird auch eifrig vergossen und gespuckt. Wahrscheinlich wollte der Regissseur Aya Uetos treue Fans im zarten Teeniealter nicht gänzlich verschrecken.
Wer Hollywoods computergenerierte Armeen satt hat und mal wieder Menschen aus Fleisch und Blut in echten Schlachten erleben möchte, in einem Film, in dem nicht CGI-Effekte der Star sind, sondern höchstens das Gesamtbild subtil unterstützen, für den ist „Azumi“ die richtige Anlaufstelle. Nicht empfehlenswert ist der Film für jene leidigen Realismusfanatiker, die beim Anblick von Mädels in knappen Röckchen wutentbrannt den nächsten Historien-Atlas aus dem Schrank zerren und mit dem Finger auf den Abschnitt über japanische Mode im 17. Jahrhundert deuten. Trotz allem ist es ein ernster Film, der aber selbst nicht allzu ernst genommen werden sollte.
9 von 10 Samurai-Schminksets mit Lip-Gloss und Wurfstern.