Wenn es einen Film gibt, mit dem man Ingmar Bergman auf Anhieb in Verbindung bringt, dann dürfte dies wohl sein Anfang der 60er Jahre entstandenes Psychodrama "Das Schweigen" sein. Besonders in Deutschland sorgte der alles andere als massentaugliche Streifen für volle Kinokassen. Infolge des aufgebauschten Skandals wegen ein paar Sexszenen, geschah das Gleiche wie etliche Jahrzehnte später mit "Die Passion Christi"- einfach jeder wollte dieses berühmt-berüchtigte Werk sehen! Nun ist es ja leider in den meisten Fällen so, dass Skandalfilme selten von wirklicher Qualität sind. Demi Moore´s achso provokanter "Striptease" war im Endeffekt nur ein lachhaftes Trashfilmchen und zugleich blamables Vehikel für seine Hauptdarstellerin. Paul Verhoeven`s "Showgirls" eine klischeebeladene Tittenparade mit viel unfreiwilliger Komik und plumper Möchtegernerotik. Caspar Noe lieferte mit seinem "Irreversibel" zwar ein durchaus beeindruckendes Filmchen ab, das mit teils heftiger Gewaltexzesse zu schockieren und tollen Szenenübergängen (die Handlung wird wie bei "Memento" rückwärts erzählt) zu faszinieren vermochte, konnte dabei aber nicht über den fragwürdigen Inhalt und die geradezu unverhohlen herausgekehrte Schwulenfeindlichkeit hinwegtäuschen. Und Mel Gibson´s "Passion"? Nun, die war auch nicht mehr als ein mit lächerlichem Pathos vollgepropfter Gewaltmarathon, bei dem selbst die ordentliche Besetzung nicht von der eigentlichen Botschaft ablenken konnte, die weder Sinn noch Verstand hatte.
Auf der Gegenseite stehen allerdings auch einige wenige Filme, die definitiv sehenswert sind und das verruchte Skandalimage im Grunde gar nicht nötig haben: egal ob Bernardo Bertoluccis fesselnder Striptease der Seelen und Körper in "Der letzte Tango in Paris" oder Stanley Kubrick´ s unterschätztes Abschlusswerk "Eyes Wide Shut"- diese Streifen haben mehr zu bieten als nur Sex und Gewalt!
Ebenso "Das Schweigen", das vom letzteren ohnehin kaum etwas hat, vom ersteren aber deutlich mehr als der Großteil der damaligen Filme zusammen. Alles dreht sich um die angespannte Beziehung zweier Schwestern. Ester (Ingrid Thulin) ist introvertiert und zudem schwer krank. Anna (Gunnel Lindblom) wiederum das pure Gegenteil: lebens- und vor allem liebeshungrig, wenn auch sehr egoistisch. Ihr eigener Sohn Johann (Jörgen Lindström) ist wohl eher eine Belastung für die ungestüme Frau, weshalb er in erster Linie die Nähe seiner Tante sucht. Als die drei wegen Esters Gesundheit gezwungen sind, in einer unbekannten Stadt Halt zu machen, beginnen die Probleme erst. Nicht nur, dass sie die Landessprache nicht verstehen und offenbar Krieg herrscht, auch ihr Hotel ist derart entvölkert, dass die innere Leere zwischen ihnen nur umso drückender wird. Während Johann sich die Zeit damit vertreibt, Erkundungen durch das teils unheimliche, teils faszinierende Gebäude zu machen, sucht Anna direkt auf der Straße nach Abwechslung. Die findet sie auch, in Gestalt eines Kellners (Birger Malmsten), mit dem sie bald nur noch auf körperlicher Ebene kommuniziert. Ester kann das alles nicht ertragen und sucht das Gespräch. Nun brechen alte Wunden wieder auf, da sich beide Schwestern dem Unausgesprochenen stellen müssen- dem jahrelangen Schweigen...
Bergman ist hier ein absolut eindringliches Juwel gelungen, das auch noch über 40 Jahre nach seiner Entstehung zu begeistern vermag. Zugleich wurde hiermit der Grundstein für all die Kammerspiele der letzten Jahre gelegt. Filme, in denen die Protagonisten ihre inneren Dämonen bekämpfen und sich gegenseitig bittere Wortgefechte liefern, waren in der Folgezeit immer häufiger anzutreffen. Das Besondere an Bergmans kleinem Meisterwerk ist dabei, dass er sich in keinster Weise anbiedert. Die für die damaligen Verhältnisse recht offenherzigen Sexszenen dürften eine Ahnung davon vermitteln, wobei sie jedoch alles andere als reiner Selbstzweck sind. Vielmehr sind es die wirklich bedrückende Atmosphäre und die ständig brodelnde (An-)Spannung zwischen den Figuren, die den Zuschauer gefangen nehmen und ihm die Kehle zuschnüren. Wobei die hervorragenden Darstellerleistungen ihr Übriges tun.
"Das Schweigen" ist im Grunde ein bleischwerer Film. Doch es gelingt Ingmar Bergman durchweg dafür zu sorgen, dass der Zuschauer gefesselt bleibt und sich, durch die doch sehr deprimierende Atmosphäre, nicht angeödet fühlt. Wenn Annas kleiner Sohn Johann das große Hotel erkundet (was wohl auch Stanley Kubrick für "Shining" inspiriert haben dürfte) und dabei geradezu merkwürdige Entdeckungen macht, Anna selbst Zeugin eines schamlosen Geschlechtsaktes in aller Öffentlichkeit wird oder die verzweifelte Ester mit dem Tode ringt, fühlt man sich den Figuren ganz nah- ohne sie allerdings vollkommen entschlüsseln zu können. Was aber auch gar nicht nötig ist, denn "Das Schweigen" lebt vom Rätselhaften wie vom Ausgesprochenen. Seiner sperrigen Geschichte zum Trotz übertreibt Bergman nie derart wie bei seinem später entstandenen "Persona". Die Symbolik stellt sich hier zu keinem Zeitpunkt über die Handlung, sondern unterfüttert sie nur. Deshalb ist der Film auch immer dann am Stärksten, wenn Ester und Anna ihr "Schweigen" brechen- und endlich Klartext miteinander reden. In diesen Passagen erlangt der Streifen eine Intensität, die auch für den Zuschauer recht schmerzhaft ist. "Persona", mag ja im direkten Vergleich, die verstörenderen Bilder aufweisen. In Sachen Emotionen ist "Das Schweigen" aber der stärkere Film und das trotzdem, oder gerade weil, Bergman jegliche Rührseligkeit aus der Inszenierung getilgt hat.
Das Ergebnis ist kraftvoll, direkt und von tiefer, ergreifender Tragik, was dazu führt, dass einem dieses Werk auch Wochen später noch im Kopf herumspuken wird. Das ist der Stoff aus dem zeitloses Kino gemacht wird. Ein Film, den jeder Cineast mindestens einmal in seinem Leben gesehen haben sollte!
9/10 Punkten