In Erinnerung an Udo Jürgens, gestorben am 21. Dezember 2014
Die Wahl des Tanz- und Schlagerfilms "Die Beine von Dolores" scheint vordergründig ungeeignet als Andenken an einen über Jahrzehnte erfolgreichen und beliebten Musiker, dessen Name erst spät in den Credits auftaucht und der hier nur einmal in einer Gesangsszene als Partner von Christa Williams auftrat, deren Schlager "Onkel Tom" er im Duett mit ihr intonierte - eine typische, mit leicht exotischen Rhythmen Internationalität vortäuschende 50er Jahre Komposition, die schnell in Vergessenheit geriet. Tatsächlich verdankten viele Künstler dem seit den frühen 50er Jahren aufkommenden Schlagerfilm ihren Karrierestart, denn bevor sich das Fernsehen in Deutschland Anfang der 60er Jahre als Massenmedium durchsetzte, waren ihre Auftritte im Rahmen einer austauschbaren Komödienhandlung eine erste Möglichkeit, sich einem großen Publikum vorzustellen.
Für Christa Williams - ebenfalls erstmals in "Die Beine von Dolores" auf der Kinoleinwand zu sehen - wurde der Film zu einer unmittelbaren Initialzündung. Noch im selben Jahr trat sie erneut als Sängerin in "Nachts im grünen Kakadu" (1957) in Erscheinung. Weitere ähnlich geartete Rollen sollten folgen, bis sie in "Das habe ich in Paris gelernt" (1960) sogar in einer Hauptrolle an der Seite von Chris Howland besetzt wurde. 1959 war ihr erfolgreichstes Jahr - zusammen mit Gitta Lind landete sie mit "My Happiness (Immer will ich treu dir sein)" auf Platz 3 der deutschen Charts und vertrat die Schweiz beim "Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne", dem heutigen "Eurovision Song Contest", wo sie immerhin Vierte wurde. Für andere Gesangs-Stars wie René Carol, der die erste deutsche "Goldene Schallplatte" nach dem 2.Weltkrieg für "Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein" (1952) erhielt, der zum Vorbild für den gleichnamigen, im folgenden Jahr herausgekommenen Film wurde, oder für die erfahrene US-Amerikanerin Olive Moorefield bedeuteten ihre Auftritte in "Die Beine von Dolores" dagegen schon Routine.
Auch die uncreditierten Renée Franke, seit Ende der 40er Jahre erfolgreich, und der damals schon sehr populäre Peter Alexander konnten auf eine Vielzahl von Film-Engagements verweisen, aber für Udo Jürgens blieb die Angelegenheit zäh - nicht zuletzt auch, weil der Christa Williams-Schlager untypisch für seinen Stil war. Zwar wurde er ein Jahr später in einer Nebenrolle in „Lilli, ein Mädchen aus der Großstadt“ (1958) besetzt, aber den Film-Durchbruch schaffte er erst mit "...und du mein Schatz bleibst hier" (1961), in dem er seine erste Hit-Single „Jenny“ von 1960 interpretieren durfte. Am Klavier sitzend verkörperte Udo Jürgens als Mitglied einer Studenten-Jazzband schon einen lässigen, modernen Stil, der kaum gegensätzlicher zu seinem ersten Auftritt in „Die Beine von Dolores“ hätte ausfallen können. Begleitet wurde er dabei von Gus Backus an der Gitarre, mit dem er gemeinsam in den folgenden Jahren die Rolf Olsen-Trilogie über die „Tollen Tanten“ nicht nur musikalisch prägen sollte („Unsere tollen Tanten“ (1961), „Unsere tollen Nichten“ (1963) und „Unsere tollen Tanten in der Südsee“ (1964)). Für den Sänger der Beginn seiner produktivsten Phase als Schauspieler, die für ihn aber im Gegensatz zu vielen Protagonisten des Schlagerfilms, die nach dem Ende der Ära, Mitte der 60er Jahre, vollständig aus dem Fokus des Publikums verschwanden, zu keiner Sackgasse werden sollte.
Dagegen befand sich Germaine Damar, eine begabte Tänzerin aus Luxemburg, 1957 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Seit „Tanzende Sterne“ (1952) war sie zu einem großen Star im deutschen 50er Jahre Musik- und Komödienfilm („Die Drei von der Tankstelle“ (1955)) aufgestiegen und drehte allein unter Regisseur Géza von Cziffra sieben Filme, von denen ihr gemeinsamer Vierter „Die Beine von Dolores“ Damars größter Erfolg wurde. Wie gewohnt war weniger ihr schauspielerisches Vermögen als die titelgebenden Beine gefragt, die sie gekonnt einsetzte. Der Filmtitel zitierte einen Schlager von Gerhard Wendland aus dem Jahr 1951, der wiederholt angespielt wurde und auch als Name für die Revue herhalten musste, um die sich die Story dreht. Dolores Martens (Germaine Damar) wurde in der Hauptrolle besetzt, wovon ihre gestrenge Mutter (Grethe Weiser), die glaubt, ihre Tochter hätte einen „anständigen“ Beruf gelernt, aber nichts wissen darf. In ihrer Not hatte Dolores behauptet, in der Klinik des Psychiaters Dr. Hans Lorenz (Claus Biederstaedt) als Krankenschwester zu arbeiten, wovon der in sie verliebte Arzt aber nichts weiß. Als die resolute Mama überraschend in der Nervenklinik auftaucht, um einem der dortigen Ärzte dessen Tasche zurückzubringen, die tatsächlich dem Choreografen der Show (Ralf Wolter) gehört, droht die Situation zu eskalieren.
Bis in die Nebenrollen verfügt der Film über eine damals sehr populäre Besetzung. Neben dem männlichen Co-Star Claus Biederstaedt - in den 50er Jahren nahezu omnipräsent als Schwiegermutters Liebling - sorgten Grethe Weiser, Bum Krüger, Theo Lingen, Ralf Wolter, Ruth Stephan und Gunther Phillip für die notwendige Abwechslung zwischen den Musiknummern, die erstaunlich aufwändig choreografiert und in Szene gesetzt wurden. Deren teils anzüglichen Witze ließen den Widerspruch zwischen Erotik á la Paris und den biederen 50er Jahre-Moralvorstellungen, die gewahrt bleiben mussten, noch deutlicher werden. Während auf der Tanzfläche die leicht gekleideten Damen die Beine schwangen und „Olala – c’est la vie!“ erklang, musste Grethe Weiser als fürsorgliche Mutter alles dafür tun, dass der gute Ruf ihrer Tochter gewahrt blieb, weshalb Claus Biederstaedt als zukünftiger Ehemann im weißen Doktor-Kittel geradezu zwingend zur Verfügung stand. Auf die Nachfrage der gewagt gekleideten Bedienung, warum er so gut gelaunt auf die Abfuhr von Dolores reagiert hätte, antwortet er: „Ich freu' mich, dass sie mit mir nicht gleich am ersten Abend ausgeht!“ – eine Aussage mit Signalwirkung, die beispielhaft für den Charakter des Schlagerfilms der 50er Jahre steht, dessen sexueller Subtext mit möglichst viel Anstandsgeplänkel kaschiert werden musste.
Weniger Hemmungen bewies Géza von Cziffra dagegen beim Verfassen des Drehbuchs, dessen Witz sich an den gängigen Vorurteilen bediente. Besonders die Szene in der Nervenklinik, in der Mutter Martens ohne viel Federlesens von den an ihrem Verstand zweifelnden Doktoren in eine Gummizelle gesperrt wird - Gunter Phillip verkörperte „seinen“ Psychiater mit Kinnbart und Gesichtszuckungen - erfüllten alle Erwartungen an eine „Irrenanstalt“. Auch die Slapstick-Einlagen mit Theo Lingen und einer schwergewichtigen dunkelhäutigen Sängerin, denen der Boden beim Tanzen unter den Füßen weggezogen wird, so dass sie in einem Trampolin herumzappeln, geben ein deutliches Zeichen damaligen Humorverständnisses. Einzig Grethe Weiser mit ihrer resoluten Art ist es zu verdanken, dass diese Momente nur wenig in Erinnerung bleiben. Weder verliert sie die Contenance, als sie in der Gummizelle landet, noch lässt sie sich aus der Ruhe bringe, als herauskommt, dass sowohl ihre Tochter, als auch ihr Ehemann in dem Revue-Theater beschäftigt sind. Souverän behält sie die Meinungshoheit und lässt daran deutlich werden, dass die Story sowieso nur eine Funktion hatte – als oberflächlich unterhaltende Rahmenhandlung für eine Vielzahl von Gesangs- und Tanznummern, die die damaligen Stars auch ins rechte Bild rückten, darunter erstmals auch Udo Jürgens.(6/10)