Für Elio Petri war "Un tranquillo posto di campagna" sein letztes Werk, bevor er versuchte, mit seinen Filmen etwas zu bewegen, wie er selbst einmal anmerkte - aus heutiger Sicht befindet sich der Film im Zentrum seines Schaffens als Regisseur, entstanden 1968 als Sechster von elf Langfilmen, die Petri zwischen 1961 und 1979 drehte. Oberflächlich betrachtet wirkt die Tour de Force eines zeitgenössischen avantgardistischen Künstlers, die Elio Petri gemeinsam mit Drehbuchautor Tonino Guerra schon 1962 erdachte, ohne Zusammenhang zu Petris sonstigen Filmen - weder der zuvor entstandene "A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung, 1967), der sich ernsthaft den sozialen Abhängigkeiten auf Sizilien widmete, noch der folgende "Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1971), eine Satire über die Allmacht der Executive in Italien, verfügen über inhaltliche Parallelen - typisch für Petris gesamtes Oevre.
Doch obwohl die Idee zu dem Film sechs Jahre vor dessen Realisierung entstand, traf "Un tranquillo posto di campagna" - wörtlich "Ein ruhiger Ort auf dem Land", leider mit dem zu sehr den Horror-Aspekt betonenden Titel "Ein verfluchtes Haus" in Deutschland veröffentlicht - den Nerv seiner Zeit, Ende der 60er Jahre, und wurde zu einem wichtigen Bindeglied in Petris Werk. Der Regisseur betrachtete seinen Film an der Schwelle zu den 68ern stehend, als Darstellung eines bürgerlich, intellektuellen Künstlers, der versucht, der von ihm geforderten Serienproduktion und der damit verbundenen materiellen Abhängigkeit zu entkommen - womit Petri ein politisches Statement abgab, das davon ausgeht, das bürgerliche Grenzen nicht mit bürgerlichen Mitteln überwunden werden können.
Die Eingangssequenz - die Fantasie des an einen Stuhl gefesselten Künstlers Leonardo (Franco Nero), der von seiner Freundin und Managerin Flavia (Vanessa Redgrave) mit den modernsten elektronischen Geräten traktiert wird - lässt schon dessen Aversion erkennen, aber es gelingt ihm nicht, sich ihrem Einfluss zu entziehen. Flavia verkörpert in Perfektion die moderne Frau - modisch gekleidet und in einer Pop-Art-Wohnung lebend, die auch in Petris Zukunftsvision "La decima vittima" (Das zehnte Opfer, 1965) gepasst hätte - die sich, immer auch die wirtschaftlichen Aspekte mit einbeziehend, aufopferungsvoll um einen Künstler bemüht, der sprunghaft und unberechenbar wie ein Kind agiert. Während sie eine Ausstellung in einer mondänen Villa organisiert, um die reichen Sammler zu weiteren Käufen zu animieren, bevor er sich dort für drei Monate zurückziehen soll, entdeckt er stattdessen ein seit Jahren leer stehendes Anwesen auf dem Land, in das er unbedingt einziehen möchte, um wieder arbeiten zu können. Trotz des finanziellen Aufwands erfüllt sie ihm diesen Wunsch, weil sie hofft, dass er so seine Blockade überwindet.
Flavia wirkt in ihrer geduldigen, immer freundlichen Art wesentlich sympathischer als Leonardo, der hektisch Leinwände bemalt, getrieben durch das geheimnisvolle Haus streift und seine Umgebung abweisend behandelt. Er erfährt von dem Hausverwalter Attilio (Georges Géret), dass nach dem Tod der schönen Contessa Wanda kurz nach dem Krieg Niemand mehr in dem Haus gelebt hatte - die Kugeln der Maschinengewehrsalve, die sie angeblich getötet hatten, sind noch gut in einer Mauer zu erkennen - und er beginnt ihr nachzuforschen. Immer mehr scheint das Haus ein Eigenleben zu entwickeln und die Fantasien um Wanda nehmen konkretere Züge an. Petris Vorliebe für Genre-Elemente zeigt sich in dieser Konstellation, die Anleihen bei Horror- und Giallo-Szenarien nimmt, aber ohne damit Erwartungen an einen Unterhaltungsfilm zu erfüllen, weshalb Genre-Liebhaber von "Un tranquillo posto di campagna" häufig enttäuscht werden. Denn Petri nutzt diese als das, was sie tatsächlich sind - als Ablenkung von der Realität.
Das gilt auch für eine Sexualität, die hier anders als in Petris sonstigen Filmen visuell stärker in den Vordergrund rückt. Prinzipiell spielte Sexualität in allen seinen Filmen eine wichtige Rolle als Ausdruck einer degenerierten Sozialisation, aber in der Regel verwendete Petri sie unterschwellig. War sie in "La decima vittima" Teil einer generellen Emotionslosigkeit, beruhte die Motivation des Protagonisten in "A ciascuno il suo" auf seiner verklemmten sexuellen Begierde. Im folgenden Film "Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" basierte die Story auf dem Mord an der Geliebten, die den Täter ob seiner sexuellen Obsessionen zunehmend der Lächerlichkeit aussetzte und damit seine männliche Dominanz in Frage stellte, und in "La classe oparaia va a paradiso" (Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies, 1972) ist der Protagonist impotent bis auf einen kurzen Moment des persönlichen Triumphs, der zu einem ungeschickt, verkrampften Sexualakt führt.
In "Un tranquillo posto di campagna" zitiert Petri dagegen konkret die aufkommende sexuelle Revolution, lässt seinen Protagonisten stapelweise Sex-Hefte beim Zeitschriftenhändler erwerben und verschiedene Frauenbrüste betasten, um damit deren ablenkenden Konsum-Charakter zu betonen - selbst der sexuelle Akt zwischen Leonardo und Flavia vermittelt keine intensiven Gefühle, sondern ihren Versuch, ihn bei Laune zu halten. Doch das misslingt, denn Leonardo steigert sich zunehmend in seine Ablehnung, um den an ihn gestellten Erwartungen zu entkommen. Franco Nero spielt Leonardo überzeugend als Künstler, der seine Intellektualität und sein künstlerisches Vermögen verweigert, doch er muss damit scheitern, da er die grundsätzlichen Voraussetzungen nicht in Frage stellt.
Eine entscheidende Rolle spielt die Musik in Petris Film, die von der „Gruppo di improvvisazione nuova consonanza“ eingespielt wurde, unter der Leitung von Franco Evangelisti mit Ennio Morricone an der Trompete. Diese avantgardistische, üblichen Hörgewohnheiten widersprechende atonale Musik wurde nicht extra für den Film ersonnen, sondern Petri gab Morricone und seinen Mitstreitern die Gelegenheit, ihre seit 1964 entwickelte musikalische Ausrichtung kongenial mit der Handlung zu verbinden. Nicht nur die innere Zerrissenheit des Künstlers und seine Horror-Fantasien werden so erfahrbar - diese Musik ist auch eine Alternative zu den bürgerlichen Gewohnheiten, in einer Konsequenz, die Leonardo nicht gelingt (9/10).