Sexpuppen sind nicht mehr nur horribel dreinblickende Luftmatratzen, die im weitesten Sinne einer Frau ähneln. Wer im Internet aktiv ist und sich hier und da mal für die bizarren Phänomene unserer Wohlstandsgesellschaft interessiert hat, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Community mal über einen Link zum Beispiel zur Real Doll gestolpert sein. Das sind im Verhältnis zu den eher Scherzartikeln gleichkommenden Produkten aus den Sex-Shops der Rotlichtmilieus und den Katalogen findiger Lustramschvertriebe quasi schon lebensechte Nachbildungen von Menschen, die man sich für einige tausend Dollar in ihren Aussehensmerkmalen individuell zusammenstellen kann; auch intersexuell.
Love Object handelt von Kenneth Winslow, einem Kunden eines solchen Luxusartikels, welcher kreidebleich in einer Holzkiste geliefert sogleich den Arm wie durch einen postmortalen Reflex emporreckend den Eindruck einer Leiche unterstreicht. Der schüchterne Autor von Bedienungsanleitungen hat seinen Wunsch nach sexueller Erfüllung geäußert, teuer bezahlt und stürzt sich sogleich in einem Akt der Quasi-Nekrophilie auf das tote Stück, welches er nach dem rasanten Verkehr enttäuscht von der Bettkante stößt. Es soll ein erstes Merkmal der bis zu pathologischen Ausmaßen wachsenden Obsession sein, welche in diesem grotesken Liebesdrama über die isolierten Einzelschicksale unserer zeitgenössischen Gesellschaft reflektiert wird. Kaum aber entspricht Love Object dem Horror-Thriller, als welcher das Werk gemeinhin angepriesen wird.
In trostloser Einsamkeit wünscht sich der moderne Mann nicht einfach schnelle Befriedigung, sondern strebt einer idealisierten Phantasie nach. Nicht in der Lage über den beruflichen Kontakt hinaus mit seiner neuen Arbeitskollegin Lisa Bellmer in Kontakt zu kommen, was gewissermaßen zudem ein Tabu für sich darstellt, haucht die Hauptfigur seiner Puppe Leben ein, indem er von ihm favorisierte Züge der Frau an seiner geschäftlichen Seite auf das private Objekt seiner Begierde projiziert. Die Puppe weist ihn in seinen Wünschen nie zurück, ist zugleich Übungswerkzeug für die Liebesanleitungen, die Kenneth unter anderem aus Artikeln von Lisa bezieht. In Love Object unterstreichen Parabeln aus dem BDSM-Bereich die Unterwerfungsbeziehung, in der Kenneth zunehmend in ein Abhängigkeitsverhältnis gerät, das eine Hürde zwischen ihm und Lisa errichtet.
Dennoch gelingt es ihm auch, die mit einer bildhübschen Natürlichkeit ausgestattete Frau bedingt nach seinen Vorstellungen zu formen. Als sich beide näher kommen entdeckt Kenneth plötzlich Makel, die seine bisherige Phantasie zerbrechen. Kurzzeitig kann er die Situation stabilisieren, wird jedoch schließlich von seinen Handlungen eingeholt, als Lisa erkennen muß, daß die zwischenmenschliche Ebene von einem krankhaften Zwang sie zu benutzen durchwachsen ist. Hier verhindert der publikumsgerechte, pauschalisierende Eskapismus dann leider die Erkenntnis, daß Liebe im Grundsatz schon eine Geisteskrankheit darstellt. Die Sexpuppe lediglich als Verbildlichung des Begehrens, welches Lisa hierüber deutlich wird, würde zunächst auch ihr Unverständnis für die Phantasien ihres Gegenübers beinhalten. Erst die hier extreme Ausprägung kann diese Empathie grundsätzlich nicht einforderbar machen.
Der eher als TV-Produzent bekannte Robert Parigi beschreitet in seinem Film Love Object einen Weg, welcher die vorverurteilende Überspitzung als eine mögliche Situation offen stellt, die sich hinter jeder Wohnungs- oder Bürowand in unserer Nähe befinden könnte. Der Nachbar, der Kollege oder gar der Chef – wer weiß schon, was all diese Personen in ihrem Privatleben treiben, welches wir gar nicht kennen?
Love Object ist damit eine modernisierte Variante eines Themas, welches sich in dieser Form so wirklich erst in jüngerer Zeit abspielen könnte. Zwar gab es schon früher Fetischismen und Filme über Menschen, die sich die perfekte Frau aus Leichenteilen errichten oder in der Abgeschiedenheit die vermodernde Mutter kultifizieren, war es auch möglich abweichende Neigungen vor dem Tratsch der Kaffeetanten zu verbergen, jedoch haben sich die Lebensweisen als solche geändert und die Absonderlichkeit bevorteilt.
Es würde nicht einmal auffallen, wenn man plötzlich nicht zur Arbeit erschiene, solange alle Termine eingehalten sind, heißt es im Film. Die Kollegen würden ein Fernbleiben ohnehin nicht bemerken. Der Mensch als Roboter in einem parallelen Dasein mit der Selbstbefriedigung als höchstem Ziel, so wird das Leben der in Verschlägen direkt nebeneinander hockenden Büroarbeiter beschrieben. Eine gewisse Menschenscheu jedoch mischt sich in die Charakterisierung der Hauptfigur, nebst der Hilflosigkeit sich unter offeneren Menschen zu orientieren.
Schließlich ist es der Selbstanspruch, der Erwartungen anderer suggeriert und die Bedienungsanleitung für eine Beziehung erforderlich macht. Nichts ist aufreizend an diesem Sex, der so getrennt von Lust wie reiner Konsum erscheint, bei dem die korrekte Durchführung Bedingung für das eigene Wohlbefinden zu sein scheint und somit weiter in einem ich-bezogenen Kosmos weilt.
Frei ist, wer die Anleitung fortwirft, nur nicht zwingend glücklich oder lebendig. Es ist kein Platz für Fehler in einer Welt, in der Kontrolleure gegen ihr eigenes Chaos ankämpfen. Ein Sachverhalt, der in Bezug auf unsere soziale Struktur zu überdenken ist. Mit einem perfektionistischen Soziopathen nach dem Vorbild American Psychos ist Love Object der vielleicht authentischte Film für die erste Dekade der Zweitausender, in der man sich getreu der Tagline “Some people are just made for each other.” seinen Geschlechtspartner nach den Wunschvorgaben im Internet bestellt.